Finanzbranche im Umbruch

Niedrigzinsen, veraltete IT, gleichgültige Kunden, Überregulierung: Etablierte Finanzhäuser durchleben schwere Zeiten. Nun machen ihnen auch noch Fintechs das Leben schwer. Deren Zukunft ist allerdings auch nicht uneingeschränkt rosig. Die neuen und die alten Player am Markt können sich entweder alleine durchwurschteln (schlecht) oder auf neue Allianzen setzen (besser).
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Gemeinsam stärker

Und so haben die Vertreter beider Seiten eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Alleine weiterzumachen und sich möglichst viel Know-how beziehungsweise möglichst viele Kunden der jeweils anderen anzueignen. Oder zu kooperieren.

Kaum ein großer Player im Bankwesen, der in den vergangenen Jahren weder Innovationszentrum, -Lab oder -Hub, noch Accelerator oder Incubator eröffnet hätte. Das Engagement reicht von der Start-up-Finanzierung über den Aufkauf bis zur Entwicklung eigener Ideen. Die Commerzbank gründete unter anderem 2013 ihre Tochterfirma Main Incubator, die in vielversprechende Start-ups investiert. Erst im September dieses Jahres startete das neue Innovation Lab der DZ Bank, in dem interne Teams neue Ideen entwickeln sollen; das nimmt sich bescheiden aus gegenüber der knapp vier Wochen später eröffneten „Digitalfabrik” der Deutschen Bank in Frankfurt. Die kleckert nicht, sie klotzt: Rund 400 Mitarbeiter aus
14 Nationen sitzen im „Entwicklungszentrum für digitale Bankprodukte”. Für Fintechs stehen 50 zusätzliche Arbeitsplätze bereit, denn die will die Deutsche Bank von Anfang an einbinden. Bis 2018 sollen 800 kluge Köpfe in dem Innovationszentrum arbeiten, das mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) kooperiert. Die Eröffnung der Digitalfabrik sei „eine weitere Etappe auf dem Weg der Deutschen Bank hin zu einem Technologieunternehmen. Wir werden auf die Digitalisierung nicht nur reagieren, wir werden sie aktiv gestalten. Die Zahl erfolgreicher Anbieter im Bankengeschäft wird kleiner, die schnellsten unter ihnen werden Marktanteile gewinnen“, sagte Deutsche-Bank-Vorstand Christian Sewing.

Auch die Institutionen der Branche bewegen sich auf die Fintechs zu: Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz Bafin, strebt laut Jahresbericht „eine moderne und serviceorientierte Kommunikation” mit den Fintechs an. Der Hauptgeschäftsführer des altehrwürdigen Bankenverbands Michael Kemmer postulierte schon Ende 2015: „Fintechs sind eine Chance für den Finanz- und Technologiestandort Deutschland. Politik und Regulatoren sind aufgefordert, die Bedingungen für Gründung und Wachstum dieser Unternehmen weiter zu verbessern.“ Der Verband sehe eine Menge Kooperationspotenzial zwischen Fintechs und Banken – insbesondere für Fintechs, deren Geschäftsmodell in der technischen Unterstützung von Bankdienstleistungen liege.

Um beide Welten zusammenzubringen, etablierte der Verband im April eigens ein Kommunikationsforum: Es ist zunächst auf ein Jahr angelegt; insgesamt viermal sollen die rund 40 Fintech-Vertreter mit gut 20 Kollegen aus Banken und Bankenverband Themen wie EU-Richtlinien, Roboadvice (automatisierte Anlageberatung), Bankenaufsicht und Geldwäschebekämpfung diskutieren und sich dabei näherkommen.

Marktplatz für Fintechs

Gemeinsam stärker – daran glaubt auch N26 und setzt auf eine ganz andere Variante der Kooperation: Seit Juli verfügt das 2013 gegründete Fintech über eine Vollbanklizenz; bis dahin hatte das Start-up mit der Wirecard Bank kooperiert. Wirecard oblagen alle Funktionen rund ums Finanzgeschäft, N26 kümmerte sich um Marketing, Customer-Experience, Usability, Service. „Wir haben Banking gemacht ohne Banker”, lacht Maximilian Tayenthal.

Es sei eine „bürokratische Challenge” gewesen, die Vollbanklizenz zu bekommen, berichtet der Mitgründer und CFO von N26 und lobt die Behörden, die N26 bei dem Prozess sehr unterstützt hätten. N26 gründete eigens eine Tochtergesellschaft, in der nun ein erfahrenes Bankteam arbeitet.

Warum der Aufwand? Weil N26 mit einer eigenen Lizenz deutlich schneller ist und mit seiner eigenen IT – laut Tayenthal „das modernste Kernbanksystem Europas” – arbeiten kann. Die Banklizenz dient außerdem als deutliches Unterscheidungsmerkmal zum Fintech-Wettbewerb, sie wirkt vertrauensbildend bei den Kunden und sie macht N26 attraktiv für andere Fintechs: „Wir wollen in jeder Kategorie das beste Produkt haben. Es geht dabei um Time to Market, deshalb entwickeln wir manche Produkte nicht selbst, sondern holen verschiedene Player auf unsere Plattform”, erklärt Tayenthal.

Datenvolumen statt Zinsen

Transferwise und Vaamo sind bereits dabei, weitere sollen folgen. Das erklärte Ziel: N26 soll ein Marktplatz für Bankprodukte werden, quasi ein Banking-Amazon. Die Vorteile liegen auf der Hand: Das Unternehmen verbreitert sein Portfolio, die Partner bekommen Zugang zu einer attraktiven Zielgruppe, die Kunden haben eine größere Auswahl an verschiedenen Services in einer App. Eine ebenfalls bemerkenswerte Allianz schlossen unlängst die Internetbank Fidor (im Juli von der französischen Bank BPCE gekauft) und Telefónica Deutschland: Sie bieten unter dem Label „O2 Banking” ein mobiles Bankkonto. Unter dem Motto „Megabytes statt Magerzinsen” bietet das O2 Konto neben schneller Anmeldung, einfachen Überweisungen oder kleineren Sofortkrediten je nach Nutzung des Kontos mehr Highspeed-Datenvolumen statt Zinsen. Im Interview mit „Focus Online“ argumentierte Fidor-Chef Matthias Kröner: „Wir leben in einer Welt, in der klassische Banken und Sparkassen Negativzinsen diskutieren. Es mag ja sein, dass Banken, die ihren Kunden nichts anderes bieten können als Zinsen, so denken müssen. Für unseren Partner Telefónica gibt es da natürlich ganz andere Möglichkeiten und damit auch Ideen, den Kunden ein wirklich herausragendes digitales Angebot machen zu können.” Durch die Kombination zweier Branchen und damit zweier Angebote entstehe für den Kunden ein deutlicher Mehrwert.  

O2 Banking ist zwar noch jung, aber schon preisgekrönt: „Handelsblatt“ und „Euroforum“ zeichneten das Produkt als „herausragende digitale Innovation“ aus. Konkrete Nutzerzahlen der am 25. Juli gestarteten App mag die Telefónica-Zentrale in München nicht rausrücken. „Fidor hat das Produkt, O2 hat die Kunden. Ob die Kunden von O2 für Finanzdienstleistungen ansprechbar sind, muss man abwarten. Telekommunikationsunternehmen haben immer schon versucht, in den Banking-Markt zu kommen, das hat bisher aber nie funktioniert. Es kann sein, dass es jetzt gemeinsam mit einer Bank klappt”, so die Einschätzung von Prof. Dr. Jens Kleine, Professor für Bankmanagement an der Hochschule München.

Gewinner sind die Kunden

Zusätzlich zu all den Faktoren, die die Finanzhäuser ohnehin in die Offensive zwingen, tragen Fintechs dazu bei, dass ein stürmischer Innovationswind durch die Bankenbranche weht. Neue Geschäftsmodelle, innovative Angebote und interessante Marktkonstellationen sind die Folge. Ein Ende der Umbruchphase ist nicht abzusehen. Mark Miller von Catcap ist überzeugt, dass weiterhin viel Venture-Capital in Fintechs fließen wird: „Die Party geht noch weiter.” Interessant wird sein, wie sich die Transaktionstechnologie Blockchain  auf die Finanzbranche auswirkt  – viele halten sie für das neue ganz große Ding. Ebenfalls spannend wird es, sollten Google und Paypal, Apple, Facebook oder Amazon ins Bankengeschäft einsteigen.

Peter Barkow mag nicht voraussagen, welche Player reüssieren werden, eines aber stehe fest: „Wer immer sich durchsetzt – der Kunde ist der Gewinner, denn der Wettbewerb wird für günstigere und kundenorientiertere Banking-Konditionen sorgen.” Dann werden die Menschen vermutlich gerne zur Bank gehen – aber eher online