SAP-Personalchef: Mitarbeiter-Glück hat mit Geld wenig zu tun

Wie bewältigen die Personaler von SAP die Corona-Krise? Was bedeutet der Rückzug von Jennifer Morgan? Und sind die Mitarbeiter des Software-Konzerns wirklich so zufrieden? Darauf antwortet Cawa Younosi, der Personalchef von SAP Deutschland, im Interview.
Cawa Younosi: "Wir befähigen unsere Mitarbeiter, sich neue Sachen zuzutrauen und Ideen vorzuschlagen, ohne Angst zu haben." (© SAP)

Herr Younosi, Corona bedeutet einen Schock für die deutsche Wirtschaft. Wie reagiert die Personalpolitik in einem Unternehmen wie SAP darauf?

CAWA YOUNOSI: Viele unserer Kunden sind in einer schwierigen Situation, trotzdem profitieren wir vom verstärkten Digitalisierungsdruck. Wir stellen weiterhin ein, wenn auch nicht mehr in der Geschwindigkeit, die wir zu Jahresbeginn eingeschlagen haben. Wir betreiben jetzt noch mehr Aufwand, um unsere Kolleginnen und Kollegen in ihrer Arbeit zu unterstützen. Wir haben Initiativen aufgelegt für besonders beanspruchte Familien mit Kindern, aber auch mit vielen Angeboten für Singles und Expats, die wir nicht zuhause vereinsamen lassen.

Für sein Verwöhnprogramm ist SAP auch in normalen Zeiten berühmt: Fitnessstudio, Tennisplatz, Sauna, Kita für Kinder ab drei Monaten, Dienstwagen für alle, kostenloses Mittagessen, Dinner to go, Achtsamkeits-Training… Ist das nicht zuviel des Guten?

Wenn du deinen Job liebst, liebst du deinen Arbeitgeber und umgekehrt. Mag sein, dass, von außen betrachtet, der Eindruck eines Überangebots entstehen kann. Aber wir haben fünf Generationen im Haus, verschiedene Nationalitäten und Lebensentwürfe. Faktisch ist das Angebot für jeden einzelnen durchaus überschaubar.

Keine Angst vor Anspruchsdenken?

Die Furcht ist immer, dass sich Mitarbeiter weniger anstrengen. In der Realität bewahrheitet sich das nicht. Mitarbeiter-Happiness und High Performance schließen sich nicht aus, im Gegenteil. Das zeigt der Unternehmenserfolg. Den bewirken schließlich unsere Mitarbeiter. Und wenn einmal jemand nicht erwartungsgemäß Leistung liefert, kann man sehr empathisch und vorwärtsgerichtet Feedback geben: Wie kannst du es in Zukunft besser machen? Was ist der Grund für das Mismatch? Das gelingt uns sehr gut. Unsere Mitarbeiterzufriedenheit liegt bei 84 Prozent.

Was macht Mitarbeiter glücklich?

Wenn sie sich ganzheitlich angenommen fühlen und nicht das Gefühl haben, gegen Widrigkeiten ankämpfen oder sich gar verstellen zu müssen. Die Botschaft lautet: Egal wie ich bin – ich bin gut, wie ich bin. Und ich kann mich voll auf meine Arbeit konzentrieren, weil ich in einem Unternehmen arbeite, das auf die Bedürfnisse seiner Angestellten proaktiv eingeht.

Sie sagen: Ein Prozentpunkt mehr Mitarbeiterzufriedenheit ist gleichbedeutend mit 50 bis 60 Millionen Euro mehr Gewinn. Wirklich?

Tatsächlich haben wir diese Marke sogar übertroffen. 2010 lag unsere Mitarbeiterzufriedenheit bei 64 Prozent, sie ist seither also um fast ein Viertel gestiegen. Der Gewinn von SAP hingegen hat sich von drei auf acht Milliarden Euro mehr als verdoppelt.

Was hat sich bei Ihnen durch das Virus verändert?

Das Onboarding läuft jetzt virtuell, Rechner werden nach Hause geschickt und Videokonferenzen intensiv genutzt. Die technischen Voraussetzungen haben wir seit Langem, was sich jetzt bezahlt macht. Aber man braucht einfach mehr Zeit und Aufwand, um den Kontakt persönlich zu gestalten. Das ist auch für Führungskräfte wichtig. Unser vor zwei Jahren gestartetes Mindfulness-Programm ist dabei sehr hilfreich, denn im Homeoffice muss man besonders auf Pausen und die Arbeitszeit insgesamt achten.

Es geht im Personalbereich immer auch um Veränderungsmanagement…

… dieses Wort mag ich nicht. Es klingt, als ob es auf der einen Seite einen Schlaumeier gibt und auf der anderen Seite unmündige Mitarbeiter. Veränderung ist ein Mindset-Thema. Wir befähigen unsere Mitarbeiter, sich neue Sachen zuzutrauen und Ideen vorzuschlagen, ohne Angst zu haben. Darum geht es: Eine Kultur zu schaffen, in der dieser Grundkonsens unausgesprochen vorhanden ist.

Kürzlich hat Jennifer Morgan nach wenigen Monaten als Co-CEO den Posten wieder verlassen. Welche Auswirkungen hat das auf die Personalpolitik?

Keine. Unsere Personalpolitik zeichnet sich schon seit vielen Jahren durch große Kontinuität aus. Das war so, ist so und wird auch in Zukunft so bleiben.

Woher wissen Sie das?

Weil ich schon einige Vorstände habe kommen und gehen sehen und wir immer noch die Werte haben, die uns die Gründer in die Wiege gelegt haben. Das Unternehmen stellt die Mitarbeiter in den Mittelpunkt. Das ist in unserer DNA.

Dass Jennifer Morgan als erste Frau an der Spitze eines Dax-Unternehmens stand, hatte allerdings besonderen Symbolwert.

Schon zuvor waren 27 Prozent unserer Führungskräfte weiblich, bei einem Frauenanteil an der Belegschaft von 30 Prozent. Ziel ist, ihn in den nächsten Jahren noch zu steigern. Den Kurs haben wir früh begonnen, wir werden ihn weiterführen. Die Vorstandsbesetzung hat darauf keinen Einfluss.

Funktioniert Ihr Zufriedenheits-Modell auch in schlechten Zeiten? Die Maßnahmen kosten eine Menge Geld.

80 Prozent von dem, was Mitarbeiter-Glück ausmacht, haben mit Geld nichts zu tun, sondern mit dem passenden Mindset. Jedes Unternehmen kann, wie wir es tun, beispielsweise Führungspositionen in Teilzeit ausschreiben. Das kostet keinen Cent. Jedes Unternehmen mit Kantine kann Dinner to go anbieten, für den Betreiber ist das sogar ein Zusatzgeschäft. Mit schlechten Zeiten haben übrigens auch wir Erfahrung. Als in der Finanzkrise 2009 die Geschäfte nach unten gingen, haben wir das auf unsere Weise gelöst: Es gab keine Gehaltserhöhung, aber der Vorstand hat versprochen, sie nachzuholen. Und tatsächlich: 2011 gab es ein doppeltes Gehaltsplus.

Welche Rolle spielt die Marke SAP für die Attraktivität als Arbeitgeber?

Ein Beispiel ist die Zahl der externen Bewerbungen. Wir hatten 2018 einen Rekord, im vergangenen Jahr haben wir ihn nochmals getoppt: Für rund 1000 Stellen, die wir in Deutschland extern neu besetzt haben, gingen fast zehnmal so viele Bewerbungen ein. Und das in einem Markt mit Fachkräftemangel!

Was machen Sie besser als andere?

Wir gucken, was die Mitarbeiter wollen. Man muss eng an ihnen dran sein, darf nicht im Personalbüro sitzen und meinen, man hätte die besten Ideen. Viele meiner E-Mails haben einen Daumen-hoch-/Daumen-runter-Button. Da können die Mitarbeiter anonym schreiben, was sie gut oder schlecht finden.

Machen sie das auch?

Oh, SAPler nehmen kein Blatt vor den Mund. Da kommt schon mal „Cawa, eine Wau-Wau-App brauche ich nicht, aber ein Schwimmbad“ oder „Interessiert mich nicht“. Dieses direkte Feedback ist für mich ein Seismograph. Wir machen auch Coffee-Corner-Sessions, ich lade die Kollegen ein, frei ohne Agenda, sie können Fragen stellen, Ideen einbringen, Rückmeldungen geben. Ein Projekt entsteht bei uns iterativ: Ich habe eine Idee, wir reden mit den Beteiligten über die Umsetzung, ändern das eine oder andere. Deshalb kann es eigentlich nicht schiefgehen. Die Zufriedenheit zeigt sich auch an der Fluktuation, sie liegt bei 1,3 Prozent, die Betriebsangehörigkeit im Durchschnitt bei fast 14 Jahren.

Fast wie in einer Behörde.

Es wäre fast ungesund, wenn wir nicht zugleich wachsen würden. Wir haben eine hohe interne Fluktuation: Jährlich wechseln zehn Prozent der Mitarbeiter ihren Job. Das ist super, denn die neuen Stellen werden in Wachstumsbereichen ausgeschrieben. Frische Ideen kommen bei uns durch Early Talents – Leute mit Studium und/oder maximal zwei Jahren Berufserfahrung. Sie machen etwa die Hälfte der externen Einstellungen aus.

Gibt es ein Projekt, das Sie schon immer gern machen wollten, aber noch nicht umgesetzt haben?

(lacht) Eine SAP Single-Party. Wir haben in Walldorf 14.000 Mitarbeiter, und viele finden ihre Partner im Arbeitsleben. Warum das nicht in einen Rahmen bringen? Mit einer schönen Party, einer witzigen App… Irgendwann machen wir das auch. Nach Corona.

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.