Die Autobranche pennt

Die Automobilindustrie ist beim Thema Nachhaltigkeit nicht „on track“, IBM entwickelt die Grundlage für einen potenziellen Verkaufshit und die Sharing Economy setzt sich vielleicht doch noch durch.
Die Sharing Economy feiert ein kleines Comeback: Immer mehr Gegenstände gibt es nun auch zur Ausleihe. (© Unsplash/Hal Ozart)

Es lässt sich trefflich diskutieren, ob Elektromobilität in puncto Nachhaltigkeit wirklich so super ist, wie von E-Auto-Herstellern kommuniziert. Einigkeit dürfte aber darin bestehen, dass Verbrennungsmotoren nicht zu den Top-Zukunftsantrieben zählen. Da ist es gar nicht schön, dass Tesla mit 38.458 zwischen Januar und September verkauften reinen E-Autos in Deutschland den bisherigen hiesigen Marktführer Volkswagen (32.326 verkaufte E-Autos) im E-Segment abgelöst hat (Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt, KBA). Kann es sein, dass die deutsche Automobilindustrie Marktchancen verpennt?

Aber, ach, es pennen global betrachtet offenbar noch viel mehr: Das Capgemini Research Institute beklagt in seiner aktuellen Studie „Sustainability in Automotive: From Ambition to Action“, dass die Automobilindustrie beim Thema Nachhaltigkeit „not on track“ ist. Demzufolge sind die Investitionen in Nachhaltigkeitsinitiativen in den vergangenen drei Jahren gesunken. Bei der derzeitigen Geschwindigkeit seien Automobilunternehmen nicht in der Lage, das Gesamtziel des Pariser Klimaabkommens von Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu erreichen. Herausforderungen wie Chip-Knappheit und Probleme in der Lieferkette hätten zu einer Neuausrichtung der Prioritäten geführt. Das ist aus gleich mehrerlei Gründen kurzsichtig und man möchte den Autobauern mit den völlig falschen Worten zurufen:
Gebt endlich Gas!

Es fehlen den Autobauern zum Beispiel Strategien für die Kreislaufwirtschaft oder auch KPIs, mit denen sich Nachhaltigkeitsinitiativen überhaupt vernünftig reporten lassen. Und um den Kreis zum E-Auto zu schließen: Laut Studie ist der Übergang zu Elektrofahrzeugen komplex. Und es folgt die ernüchternde Aussage, dass nur 41 Prozent der befragten Führungskräfte angaben, ihr Unternehmen verfolge eine spezielle Nachhaltigkeitsinitiative für das Ende der Lebensdauer von Batterien. Ein klarer Fall von „Nach mir die Sintflut“.

Hat IBM einen KPI-Verkaufsschlager entwickelt?

Dass es alles andere als trivial ist, Nachhaltigkeit zu messen, haben wir hier ja schon öfter besprochen. Nun meldet IBM eine „erste Plattform zur zentralen Bearbeitung von ESG-Daten auf Basis von IBM-Standard-Software“. Für das Spezialchemie-Unternehmen Evonik entwickelte IBM eine Lösung, die alle möglichen Nachhaltigkeitskennzahlen und -daten aus verschiedenen Quellen jederzeit auf Knopfdruck zur Verfügung stellen soll.

Wenn die neue „Sustainability Data Management-Plattform“ dieses Produktversprechen hält, dürfte IBM einen Verkaufsschlager entwickelt haben. Auf Seiten von Evonik war übrigens laut offizieller Mitteilung ein interdisziplinäres Team aus Sustainability, IT, Finanzen, Controlling und Einkauf, den Geschäftsgebieten und dem Life Cycle Management eingebunden – was ein Zeichen dafür sein dürfte, dass es dem Chemiekonzern ernst ist.

Ist die Zeit zum Teilen angebrochen?

Und noch flugs eine Meldung aus den Tagesthemen. Bei der absatzwirtschaft haben wir uns immer wieder  – zum Beispiel 2013, 2015, 2016 oder 2019 – mit dem Thema Sharing Economy und ihrer Bedeutung fürs Marketing beschäftigt. Und immer wieder hatten wir hieb- und stichfeste Anhaltspunkte dafür, dass sich die Kultur des Teilens endlich durchsetzen würde. Allerdings haben sich in der Nachbarschaft trotzdem alle weiterhin ihre eigene Bohrmaschine gekauft, Airbnb entpuppte sich als fies-kapitalistische Plattformökonomie mit Tendenz zur Lokalkolorit-Zerstörung und Kleidertauschen blieb das Hobby einer Minderheit.

Vergangene Woche aber schaffte es das Thema in eine der wichtigsten deutschen Nachrichtensendungen. „Was wenn wir uns all die Dinge, die wir nur hin und wieder einmal brauchen, ausleihen könnten?“ fragte Carmen Miosga in ihrer Anmoderation zum Beitrag über die Bibliothek der Dinge.


In immer mehr Städten gibt es – oft angeschlossen an die Stadtbüchereien – ein Angebot an ausleihbaren Gegenständen. Im Online-Verzeichnis der „Bib der Dinge Bochum“ gibt es vom 3-D-Drucker über die Crepe-Pfanne bis zum Zylinder, pink, so ziemlich alles, was man vielleicht mal, aber keinesfalls dauerhaft braucht. Das Ziel: den Verbrauch von Ressourcen zu verringern und Menschen Zugang zu Dingen zu ermöglichen, die sie sich nicht leisten können. Oliver Stengel vom mit dem Bib Bochum kooperierenden Institut für Nachhaltige Entwicklung der Ruhr-Uni Bochum spricht im Beitrag darüber, dass künftig Leihgaben online bestellt und binnen 30 Minuten geliefert werden könnten. Seine Vision: „das Leihen einfacher zu machen als das Kaufen.“


Wer weiß, vielleicht ist ja jetzt, viel mehr als 2013, 2015, 2016 oder 2019, die Zeit für eine Sharing Economy. Einerseits weil Preise steigen und die Leute weniger Geld haben. Andererseits weil das Bewusstsein für nachhaltigen Konsum zugenommen hat.

Eine gute Woche noch, und behalten Sie die Zukunft im Blick!

(vh, Jahrgang 1968) schreibt seit 1995 über Marketing. Was das Wunderbare an ihrem Beruf ist? „Freie Journalistin mit Fokus auf Marketing zu sein bedeutet: Es wird niemals langweilig. Es macht enorm viel Spaß. Und ich lerne zig kluge Menschen kennen.“