„Nicht ROI-getrieben“: Die Strategie von Snipes im E-Sport

Counter-Strike, Fashion Live Unboxing bei Twitch, Anime-Spot: Die Marketing-Aktivitäten von Snipes im E-Sport und Gaming dürften für den neutralen Beobachter neuartig und ungewöhnlich wirken. Welche Strategie verfolgt der Kölner Modehändler damit?
Twitch Snipes
Snipes-Aktivierung: "Twitch ist kein Kanal-Marketing. Twitch ist Kultur-Marketing." (© Jung von Matt/Sports)

Anfang September sorgte Snipes für ein Novum. Für eine neue Kollektion kooperierte der Modehändler erstmalig mit der Live-Streaming-Plattform Twitch und lies dort das weltweit erste „Fashion Unboxing“ mit Influencern stattfinden, sprich: eine Bewerbung der neuen Kollektion. Snipes nutzte im Rahmen der Aktion als erstes Unternehmen in Deutschland die neue „Bounty Board“-Funktion von Twitch, die bis dato nur in England und in den USA verfügbar war. Das „Bounty Board“ ermöglicht es Streamern, an ausgewählten Kampagnen teilzunehmen.

Insgesamt streamten 52 Influencer über 20 Stunden am Stück live und präsentierten dabei die neue Snipes-Kollektion. Im Schnitt wurde das sogenannte „Unboxing“ laut Snipes über 14 Minuten live pro Video gesehen. Twitch ist eines der weltweit größten Live-Streaming-Videoportale. Monatlich werden bei der Tochter von Amazon rund 840 Millionen Stunden gestreamt. Twitch zählt 55 Millionen Unique Visitors weltweit, davon kommen rund drei Millionen aus Deutschland.

„Twitch ist kein Kanal-Marketing. Twitch ist Kultur-Marketing“

Im E-Sport- und Gaming-Bereich ist Twitch die mit Abstand relevanteste Plattform. „Twitch verkörpert nicht nur den Heimat-Kanal von Gamern, sondern auch die Speerspitze einer neuen Medienkultur, in der noch nicht ansatzweise alle Potenziale für Marken erschöpft sind. Twitch ist kein Kanal-Marketing. Twitch ist Kultur-Marketing“, sagt Toan Nguyen, Partner bei Jung von Matt/Sports. Die Hamburger Agentur berät Snipes bei den Aktivitäten im E-Sport und Gaming.

Snipes ist seit Ende 2017 im E-Sport und Gaming aktiv. Im Juli 2018 wurde der Modehändler Partner des weltweit renommierten „Counter-Strike“-Turniers ESL One in der Kölner Lanxess-Arena. Danach folgte im August eine Partnerschaft mit dem auf „Counter-Strike“ spezialisierten deutschen Team Mousesports. Während die Partnerschaft mit der ESL jährlich neu verhandelt wird, schloss Snipes mit Mousesports sogar einen Dreijahresvertrag. Der Modehändler entwirft im Rahmen des Engagements die Teamkollektion von Mousesports und produziert zudem Fankollektionen für das Team. Darüber hinaus ist Snipes mit seinem Logo auf den Trikots präsent.

Glaubwürdigkeit und Substanz

Die jüngste Twitch-Aktivierung war nicht die erste vergleichsweise ungewöhnliche Marketingaktion von Snipes, die der Modehändler im Umfeld seiner E-Sport- und Gaming-Aktivitäten durchführte. Im November 2018 veröffentlichte das Kölner Unternehmen gemeinsam mit Mousesports einen Spot im Anime-Stil, das Motto: „Das Leben ist ein Spiel, aber vergiss nicht die Regeln.“ Das Video thematisierte die Philosophie von Mousesports und bewarb eine gemeinsame Kollektion mit Snipes.

Neben Kreativität beinhaltet das Video einen weiteren wichtigen Faktor, den Snipes nicht nur in seinen E-Sport- und Gaming-Aktivitäten lebt: Glaubwürdigkeit. „Ein wichtiger Faktor in der Street-Culture ist die Street Credibility, also die Authentizität. Wir wollen unseren Kunden glaubwürdig und mit Substanz gegenübertreten“, sagt Simon Bus, der Pressesprecher von Snipes.

Snipes ist nach eigenen Angaben inspiriert von Streetball, Tanz, Action-Sports und Hip-Hop. Dazu passend stammt die Hintergrundmusik des 80-sekündigen Mousesports-Videos vom US-Produzenten DJ Premier, als Sprecher ist der US-amerikanische Rapper Rick Ross zu hören. Das Video wurde bei Youtube bereits über drei Millionen Mal angesehen.

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Das „Counter-Strike“-Publikum ist Sneaker-affiner

Für die Verschmelzung von E-Sport und Gaming mit Streetwear hat Snipes, anders als im Übrigen viele andere Marken, ganz bewusst den First-Person-Shooter „Counter-Strike“ als Spiel gewählt. „Das Publikum bei Counter-Strike entspricht voll unserer Zielgruppe. Die Community und Zuschauer sind aus unserer Erfahrung Sneaker-affiner, als beispielsweise bei Strategiespielen wie League of Legends“, sagt Snipes-Pressesprecher Bus.

Bei den Vor-Ort-Events wie der ESL One will Snipes nicht nur den Fans, sondern auch den „Counter-Strike“-Spielern ein besonderes Erlebnis bieten. So wurde während der Qualifikationsphase im Hotelbereich beispielsweise eine Spieler-Lounge eingerichtet, in der es die Gamer laut Bus „so gemütlich wie möglich haben sollten“. Er sagt: „Unser verantwortliches Brand Partnership Team wollte ihnen eine professionelle Umgebung geben wie sie auch Profifußballer haben. Diese Idee haben wir schließlich beim Turnier selbst auf die Kölner Lanxess Arena übertragen und dort eine entsprechende Fläche für Spieler und ihre Berater geschaffen.“

Glaubwürdigkeit vs. ROI

Snipes versucht sich im E-Sport und Gaming als Lovebrand zu positionieren und zu inszenieren. Dieser Ansatz, aus Überzeugung zu handeln, wird in der Zielgruppe glaubwürdig umgesetzt. Ob dadurch auch die Absatzzahlen steigen, darüber schweigt sich der 1998 gegründete Modehändler gern aus.

Snipes-Kollektion für die ESL; Quelle: Jung von Matt/Sports

„Natürlich müssen wir auch die Abverkaufszahlen im Auge behalten. Aber unser Marketing im Gaming ist in erster Linie nicht ROI-getrieben“, sagt Bus. Der Snipes-Pressesprecher sagt: „Das, was wir in einer Community an Glaubwürdigkeit schaffen, ist mit KPIs gar nicht aufzuwiegen.“ Von der ESL über Mousesports bis hin zu Twitch und Gaming wolle Snipes vielmehr zeigen, „dass wir uns ernsthaft mit der E-Sport- und Gaming-Szene auseinandersetzen und nicht nur auf ein Pferd aufspringen, weil das gerade alle machen“.

Eine Milliarde Euro Umsatz im Visier

Tatsächlich scheint das Geschäft von Snipes aber gut zu laufen. Erst vergangene Woche gab der ansonsten sehr zurückhaltende Snipes-Gründer Sven Foth, der 2011 Anteile an die Deichmann-Tochter Dosenbach-Ochsner verkaufte, immerhin einen kleinen Einblick in die Finanzen des Modehändlers. Im „OMR Podcast“ sagte Voth, dass 500 Millionen Euro Jahresumsatz noch deutlich zu tief angesetzt seien: „Eine Milliarde Umsatz pro Jahr ist kein Fernziel.“

Das prognostizierte Umsatzwachstum soll unter anderem durch die Expansion in die USA gewährleistet werden. Dort hatte Snipes zuletzt die Wettbewerber Kicks USA und Mr. Alans übernommen. Das Ziel ist es, bis Ende dieses Jahres weltweit rund 400 Filialen zu haben – davon rund 100 in den USA und 300 in Europa.

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absatzwirtschaft Archiv: E-Sport & Gaming

(he, Jahrgang 1987) – Waschechter Insulaner, seit 2007 Wahl-Hamburger. Studierte Medien- und Kommunikationswissenschaften und pendelte zehn Jahre als Redakteur zwischen Formel-1-Rennstrecke und Vierschanzentournee. Passion: Sportbusiness. Mit nachhaltiger Leidenschaft rund um die Kreislaufwirtschaft und ohne Scheuklappen: Print, live, digital.