Nachhaltig investieren: So will Cleanvest in Deutschland wachsen

Cleanvest, ein neuer Online-Service, prüft Fonds auf Umweltverträglichkeit – und das sogar kostenlos. Dahinter steht ESG Plus, ein Social-Impact-Unternehmen aus Österreich. Im Interview mit der absatzwirtschaft verrät CEO Armand Colard, wie Cleanvest funktioniert und was er in Deutschland vorhat.
Cleanvest-Gründer
Cleanvest-Gründer Armand Colard: "Wir möchten, dass die Finanzströme künftig einen positiven Beitrag für Gesellschaft und Umwelt leisten." (© Michael Gruber)

Herr Colard, warum ist es so schwierig, in nachhaltige Fonds zu investieren?

ARMAND COLARD: Die Materie ist komplex, und die meisten Datenprovider sind auf institutionelle Investoren spezialisiert. Dabei wollen auch viele Privatleute ihr Geld mit ihren Werten in Einklang bringen.

Mit dem Vergleichsportal Cleanvest wollen Sie das ändern. Wie funktioniert es?

Wir bewerten Fonds anhand sozialer und ökologischer Kriterien. Nutzer können online beispielsweise eingeben, ob sie Themen wie grüne Technologien oder Bildung und Gesundheit unterstützen wollen. Anlagen etwa in Atomenergie, Kohle oder Waffen können sie ausschließen, ebenso Investments, die Kinderrechte verletzen oder die Artenvielfalt gefährden. Die Handlungsfelder haben wir in Kooperation mit den NGOs und wissenschaftlichen Organisationen festgelegt, die in unserem Beirat vertreten sind …

… etwa das Umweltbundesamt, der WWF und Ashoka. Wie läuft eine Prüfung konkret?

Wir recherchieren anhand verschiedener Quellen, Rohdaten kaufen wir zu. Wenn es zum Beispiel um Waffen geht, nutzen wir die Datenbank von SIPRI und gleichen diese Daten mit Informationen ab, die wir über die Finanzfirma Morningstar beziehen. Bei Kriterien wie Kinderarbeit stützen wir uns auf Rep Risk, eine Schweizer Research-Firma, die Reputationsrisiken analysiert.

Ist Cleanvest ein Abfallprodukt vom B-to-B-Service? Ihr Unternehmen, ESG Plus, berät eigentlich institutionelle Investoren.

Wir möchten, dass von diesem Experternwissen auch Privatanleger profitieren. Unser Anspruch ist, dass er mit wenigen Klicks ein Ergebnis erhält, das man auch ohne Hintergrundwissen versteht. Die Idee hatten wir schon sehr früh. Ich komme vom WWF Österreich, wo ich den Bereich Sustainable Finance aufgebaut habe; ESG Plus ist ein Spin-Off. Strategisch war es immer unsere Absicht, auch für den Privatanleger ein Tool bereitzuhalten. Wir möchten, dass die Finanzströme künftig einen positiven Beitrag für Gesellschaft und Umwelt leisten.

Für Nutzer ist das Portal kostenlos, es gibt auch keine Werbung. Wie finanziert sich Cleanvest?

Die Entwicklung war zur Hälfte gefördert, durch staatliche und EU-Mittel. Die andere Hälfte haben wir aus unserem Cashflow finanziert. Wir gehen davon aus, dass wir das Projekt auch künftig intern bezuschussen.

Fürs Marketing dürfte so ein Aushängeschild vorteilhaft sein.

Das war nicht der Treiber, um Cleanvest zu entwickeln. Aber es ist schon so, dass es positive Nebeneffekte gibt: Wir zeigen, was wir können.

Wem gehört das Unternehmen – Ihnen?

Ich habe ESG Plus ursprünglich allein gegründet, aber vor kurzem auch Investoren aus Österreich und Deutschland an Bord genommen. Darunter Impact Collective, eine Investorengruppe aus Frankfurt, die gezielt Sozialunternehmen unterstützt.

Zurück zu Cleanvest. Scheitern Sie nicht am Volumen? Sie bieten Daten für rund 4000 Fonds, weltweit gibt es aber allein fast 45.000 Aktienfonds.

Wir bewerten ausschließlich Publikumsfonds in beliebten Asset-Klassen. Bei Aktien- und Mischfonds sowie ETFs decken wir 95 Prozent des Markts ab. Die Wahrscheinlichkeit, dass Privatanleger bei uns Fonds finden, die sie interessieren, ist also sehr hoch.

Ist die Finanzwirtschaft Ihr Verbündeter oder Ihr Gegner?

Das ist eine spannende Frage. Ich unterscheide zwischen denen, die vor ähnlichen Problemen stehen wie Privatinvestoren – Pensionsfonds zum Beispiel, die das Management ihrer Assets auslagern und nicht wirklich wissen, ob die Empfehlungen der Verwaltungsgesellschaften ihren eigenen Ansprüchen an Nachhaltigkeit entsprechen. Dann gibt es die Fondsanbieter. Im Einzelfall fragen sie schon, warum schneiden unsere Produkte nicht so nachhaltig ab wie die vom Mitbewerber? Im Großen und Ganzen aber ist die Frage der Nachhaltigkeit eine, die sich die Fondsindustrie selber stellt.

Und die Banken, die traditionell Privatanleger beraten? Die sind wohl kaum begeistert, wenn sich Kunden beschweren: Der Fonds, den Sie mir verkauft haben, schneidet bei Cleanvest ganz schlecht ab!

Erstens wird unser Tool auch von Bankberatern genutzt. Zweitens sind viele, die sich über Cleanvest informieren, Erst-Investoren. Wenn sie mit einer Shortlist in der Bank erscheinen und zu kaufen wünschen – was sollte ein Bankberater dagegen haben? Wir sind keine Konkurrenz für ihn. Wir machen keine Beratung, wir verkaufen auch nicht.

Cleanvest ist in Österreich Ende 2019 gestartet und dehnt seine Aktivitäten jetzt auf Deutschland aus. Was ist ihr Ziel?

In Österreich haben wir 6000 aktive Nutzer. Diese Zahl wollen wir in Deutschland mindestens verzehnfachen. Insgeheim hoffen wir auf den Faktor 18, denn der deutsche Fondsmarkt ist 18 Mal so groß wie der österreichische. Das wären mittelfristig rund 100.000 Nutzer, ein ambitioniertes Ziel. Nach Studien wollen aber zwischen 40 und 60 Prozent der deutschen Privatanleger ihr Geld nachhaltig investieren, doch nur rund fünf Prozent tun es tatsächlich. Das Potenzial ist also vorhanden.

Welche Kanäle nutzen Sie, um Nutzer zu gewinnen?

Wir haben kein klassisches Werbebudget. Der wichtigste Hebel ist Medienberichterstattung. Darüber hinaus Kooperationen mit Gleichgesinnten. In Österreich haben wir zum Beispiel Social-Media-Kampagnen gefahren: mit der Oekostrom AG zu Erneuerbaren Energien, mit der Hilfsorganisation „Jugend Eine Welt“ zu Kinderarbeit und mit der Initiative „Too Good to Go“ zu Lebensmittelverschwendung.

Eingeschworene Kapitalismuskritiker werden Sie mit Ihrem Ansatz nicht überzeugen.

Auch wir sehen manches kritisch, versuchen aber, Lösungen zu finden, um Geldströme in eine sozialverträgliche und umweltgerechte Zukunft zu lenken. Um das System zu ändern, muss man mit den Mitteln des Systems arbeiten. Man kann ja heute auch im Supermarkt Bio-Produkte einkaufen, die regional und fair gehandelt sind!

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.