Kunde im Fokus: Wie My Enso den Food-Markt aufmischt

Die Pandemie hat den E-Food-Markt hierzulande belebt. Experten raten jedoch: Um den Erfolg zu verstetigen, müssten Händler ihr Geschäftsmodell insgesamt verändern. Als Vorbild könnte der junge Bremer Omnichannel-Anbieter My Enso dienen.
MyEnso
Kundenzentriert: In Tante-Enso-Läden kann der Konsument mitbestimmen, indem er neue Produkte ausprobiert und bei Gefallen ins Sortiment wählt. (© My Enso)

Von Jens Gräber

Die My-Enso-Gründer Thorsten Bausch und Norbert Hegmann geben ein vollmundiges Versprechen: Der Kunde mit seinen Wünschen soll radikal im Mittelpunkt stehen und irgendwann seinen ganz eigenen Shop konfigurieren können – nicht nur im Hinblick auf das Sortiment, sondern auch auf den Bestell- und Lieferprozess. „Eine Vision“, wie Bausch einräumt.

Seit Mai 2018 ist der Onlineshop im Netz, das Sortiment umfasst inzwischen rund 20.000 Artikel zu marktüblichen Preisen, die ohne Extrakosten in 30 deutsche Städte geliefert werden. Bisher stellte die Hermes-Tochter Liefery die Ware zu, die jedoch zum Jahresende den Betrieb eingestellt hat. Vorübergehend liefert nun DHL, künftig soll der junge Zustelldienst Fairsenden als neuer Partner die Onlinekunden versorgen.

Starthilfe für Food-Unternehmer

Deren Zahl ist 2020 gewachsen. Auch der Umsatz von My Enso habe sich während der Pandemie im Vergleich zu 2019 auf niedrigem Niveau verdreifacht, so Bausch. Das Interesse am Onlinekauf von Lebensmitteln werde nach Ende der Krise allerdings wieder nachlassen, glaubt er.

Eine Prognose, die von einer Studie des Beratungsunternehmens Bearing Point gestützt wird. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass eine dauerhafte Bindung der Onlinekunden nur gelinge, wenn der Kauf im Netz einen Mehrwert gegenüber dem Besuch des stationären Supermarktes biete.

Vegane und Bioprodukte, Food-Start-ups, regionale Hersteller

My Enso will das etwa mit überlegenen Nischen-Sortimenten erreichen. Dazu gehören vegane und Bioprodukte, außerdem rund 1000 Produkte von Food-Start-ups, Manufakturen und regionalen Herstellern. Zudem sammelt das Unternehmen emsig Rückmeldungen seiner 60.000 angemeldeten Kunden ein: zu neuen, bereits angebotenen oder für die Zukunft gewünschten Produkten, aber auch zum Bestellprozess an sich. Auf dieser Basis soll sich die Customer Experience stetig verbessern. Dafür stehe auch der Name My Enso, erklärt Bausch: Der freihändig gezeichnete Kreis (japanisch: Enso) symbolisiere das nie endende Streben nach Perfektion.

Die gewonnenen Marktforschungsdaten verkauft My Enso außerdem mit Zustimmung seiner Kunden an Hersteller – eine zusätzliche Einnahmequelle. Um ausgewählte Food-Start-ups zu binden, erhalten diese kostenlosen Zugang und weitere Unterstützung.

Auch im stationären Handel mischt My Enso mit und eröffnet Läden in kleinen Dörfern im ländlichen Raum. Der einprägsame Name: Tante Enso. Drei Läden gibt es bislang, der jüngste eröffnete im Oktober im niedersächsischen Schnega. Der lokale Lebensmittelhändler des 1300-Einwohner-Ortes hatte kurz zuvor aufgegeben.

Teilautonome Läden auf dem Land

Wie sich das angesichts niedriger Margen im Lebensmittelhandel lohnt?

Bausch rechnet vor: „Der Deutsche gibt pro Jahr 2100 Euro für Lebensmittel aus. In Schnega existiert also ein Potenzial von 2,7 Millionen Euro.“ Zu wenig für Rewe, Edeka und Co., Enso allerdings setzt auf niedrige Betriebskosten durch kleine Flächen von 100 bis 200 Quadratmetern und teilautonome Läden, die nur drei bis vier Stunden am Tag mit Personal besetzt sind. Außerhalb dieser Zeit ermöglichen Zutrittskarte und Self-Check-out-Systeme den Einkauf.

„Ein pragmatisches und günstiges Low-Tech-Format“, urteilt Branchenkennerin Xenia Giese, die beim Softwarekonzern Microsoft Handelskunden betreut. Dass 300 Genossenschaftsanteile im Wert von 100 Euro gezeichnet werden müssen, bevor Tante Enso in einem Ort eröffnet, hält sie für eine intelligente Strategie: So werde von Beginn an Kundenbindung erzeugt.

Franchise-Modell soll stationäres Wachstum beschleunigen

1000 bis 1500 Produkte sind vor Ort verfügbar, jedoch können Kunden das gesamte online verfügbare Sortiment zur Abholung in den Laden bestellen, der perspektivisch auch als Logistik-Hub dienen soll. Ältere Einwohner, die die Online-Order scheuen, bestellen per Katalog und Zettel. Der Laden werde gut angenommen, so das erste Fazit von Schnegas Bürgermeisterin Annegret Gerstenkorn.

Bauschs und Hegmanns weitere Ziele: In diesem Jahr soll ein Franchise-Modell das stationäre Wachstum beschleunigen, das Finanzierungsziel liegt bei zehn Millionen Euro. Ehrgeizig, aber nicht unrealistisch, denn bislang glauben die Investoren an das Geschäftsmodell: Das Finanzierungsziel von fünf Millionen Euro für 2020 hatte My Enso trotz der schwierigen Rahmenbedingungen fast erreicht.

Der Artikel erschien zuerst im handelsjournal.