Coca-Cola, Real Magic und eine neue Ära des Wettbewerbs

Fünf Jahre nach der letzten globalen Kampagne "Taste the feeling" lässt Coca-Cola nun "Real Magic" folgen. Doch diesmal soll es mehr als nur eine Kampagne sein. Laut Manolo Arroyo, dem CMO des Getränkeherstellers, geht es dabei um eine langfristige Markenphilosophie und um Überzeugung.
Mit "Real Magic" hat Coca-Cola nach fünf Jahren wieder eine globale Markenkampagne gestartet. (© Coca-Cola)

Zum wahren Markenkern seines Unternehmens wurde Coca-Cola-Marketingchef Manolo Arroyo in einer Werbefachzeitschrift so zitiert: „Coca-Cola ist eine Marke, die sich durch Vielseitigkeit definiert: bescheiden, aber ikonisch; authentisch, aber geheimnisvoll; real, aber magisch. Die Real-Magic-Philosophie beruht darauf, dass Vielfalt die Welt interessanter macht – eine Welt mit außergewöhnlichen Menschen, unerwarteten Möglichkeiten und wunderbaren Momenten. Gleichzeitig fängt sie die Essenz von Coca-Cola selbst ein: echter Geschmack, der unbeschreiblich und einzigartig ist, eben ein Hauch von echter Magie.“

Aus Positionierungssicht trifft der Kerngedanke dieser neuen Kampagne mit Sicherheit den Markenkern von Coca-Cola sehr viel besser als die beiden Vorgängerkampagnen „Taste the Feeling“ und „Open Happiness“. Denn Coca-Cola besitzt, wie wahrscheinlich fast keine andere klassische Massenmarke, eine Originalposition in der Wahrnehmung der Kunden. Allerdings hat Coca-Cola heute vorrangig weder ein Markenproblem, noch ein Positionierungsproblem oder ein Marketing- oder Werbeproblem. Coca-Cola hat heute ein Wettbewerbs- und damit vor allem auch immer öfter ein Relevanzproblem.

Das wahre Problem

Dazu sollten wir einen Blick in das 20. Jahrhundert werfen. Damals war ganz klar das Fernsehen das dominante Massenmedium. Es war zudem das ideale Medium, um die breite Masse mit Massenwerbung zu erreichen. So wurde Marke auch sehr oft mit teurer Fernsehwerbung gleichgesetzt, egal ob man an Coca-Cola, Gillette, McDonald’s, Milka, Nivea oder Persil denkt.

Heute ist das Internet das neue Massenmedium. Aber es unterscheidet sich in einem Punkt ganz wesentlich von allen anderen bisherigen Massenmedien. Es ist nämlich interaktiv. Damit ist es a) perfekt geeignet, um Communities zu schaffen und zu erreichen, und b) erlaubt es auch dem Einzelnen, daraus ein eigenes globales Geschäftsmodell zu entwickeln. (Beides ist mit bisherigen Massenmedien nicht möglich gewesen.)

Damit verändert sich die Wettbewerbslandschaft. War der Wettbewerb im 20. Jahrhundert vor allem von einem Wettbewerb innerhalb einer Produktkategorie geprägt, tendiert der Wettbewerb im 21. Jahrhundert immer mehr dazu, ein Wettbewerb der Kategorien zu werden. So war die Welt für Coca-Cola in Ordnung, solange vor allem der Wettbewerb zwischen Coke und Pepsi zelebriert wurde. Doch heute ist es vielmehr der Wettbewerb zwischen Coke, Red Bull, Monster und unzähligen neuen Mikromarken in neuen Getränkekategorien. In diesem Wettbewerb mag zwar Coke auch als die Original-Cola gesehen werden, nur hilft das wenig, wenn man gegen viele andere Originale wie etwa Red Bull als den Original-Energydrink antritt.

Von Gillette lernen

Um besser zu verstehen, worum es wirklich geht, sollten wir uns die „Erfolgsgeschichte“ von Gillette in den USA ansehen. Gillette schaffte den Marktdurchbruch im Jahr 1901 mit der ersten Sicherheitsklinge. Seitdem hat das Unternehmen immer wieder die Standards gesetzt, egal ob es mit zwei Klingen, zwei Klingen mit Schwingkopf, drei Klingen oder aktuell mit fünf Klingen punktete. Mit dieser Strategie eroberte sich der Hersteller einen Marktanteil bis zu 70 Prozent in den USA. Selbst als Wilkinson 2003 mit dem Quattro, dem ersten 4-Klingen-Rasiersystem, die Vormachtstellung von Gillette angriff, konterte der Marktführer sofort mit dem Fusion, dem ersten 5-Klingen-Rasierer.

Heute sieht die Sache ganz anders aus. So sank der Marktanteil von Gillette seit 2010 auf heute nur mehr rund 50 Prozent. Für Gillette war die Welt in Ordnung, solange man gegen „Kopien“ wie Wilkinson oder Bic antreten musste. Doch heute wird das Unternehmen von neuen Originalen aus dem Internet attackiert. So tauchten komplett neue Konkurrenten und Marken auf. Typische Beispiele dafür sind Dollar Shave Club und Harry’s oder Billie und Estrid speziell für Frauen. Diese vertreiben ihre Rasierer und Klingen direkt an die Kunden, meist in Form eines Abo-Modells.

Der extrem wichtige Punkt aus Markensicht ist: Marken wie Dollar Shave Club oder Harry’s werden von den Kunden nicht als Kopien von Gillette, sondern als komplett neue Nur-Internet-Anbieter wahrgenommen. So ist es auch kein Wunder, dass sich Gillette ebenfalls gezwungen sah, „Direct to Consumer“ über das Internet anzubieten. Dabei wird allerdings Gillette auf einmal von den Kunden als schwache Kopie wahrgenommen.

Der neue Mikromarken-Wettbewerb

Speziell dadurch, dass das Internet perfekt für den Aufbau und die Pflege von Communities geeignet ist, wird sich so auch eine neue Markenart bilden und durchsetzen, nämlich die Mikromarke. So berichtete das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ bereits am 7. Juni 2019 unter der Überschrift „Konsumwandel: Warum große Marken ihre Bedeutung verlieren“, dass im globalen Kosmetik- und Pflegemarkt die Mikromarken mittlerweile einen Marktanteil von rund 40 Prozent haben.

Das heißt aber auch: Genau diese Art der Marke und der Markenbildung wird die großen Massenmarken des 21. Jahrhunderts vor enorme Herausforderungen stellen. Das gilt speziell auch, wenn es um die heute so relevanten Themen „Haltung“ und „Relevanz“ geht. Denn während sich bestehende Massenmarken heute gezwungen sehen, über ihre Relevanz und ihre Haltung nachzudenken, entstehen diese neuen Mikromarken oft aus einer ganz speziellen und relevanten Haltung heraus.

Marke, Geschäftsmodell und Zukunft

„Real Magic“ ist mit Sicherheit ein Schritt in die richtige Richtung, um – isoliert betrachtet – die Marke Coca-Cola wieder stärker als Original zu positionieren. Doch das alleine wird nicht ausreichen. So gesehen sollte Coca-Cola nicht nur die Marke, sondern das gesamte Geschäftsmodell überdenken.

Was die Coca-Cola Company etwas beruhigen mag, ist, dass sie nicht alleine ist. Durch die ständig zunehmende Fragmentierung und Segmentierung werden auch viele andere klassische Massenmarken – wenn nicht heute, dann morgen – vor ähnlich großen Herausforderungen stehen. Marken- und Unternehmensverantwortliche sollten ihre aktuellen Strategien aus diesem Blickwinkel überdenken, denn immer öfter wird eine eng fokussierte „Relevanzmarke“ in ihrem jeweils relevanten Umfeld eine breite, unspezifische „Massenmarke“ schlagen.