Eine Kundin ruft beim Support an. Sie erwartet Warteschleifenmusik, doch stattdessen meldet sich sofort eine Stimme – freundlich, geduldig, perfekt verständlich. Nur: Sie gehört keiner echten Person, sondern einer KI. Möglich macht dies das Berliner Startup Synthflow, jenes will nichts minder als den Kundenservice neu erfinden. Was bedeutet das für Marken? Und was passiert, wenn Kunden gar nicht mit Maschinen sprechen wollen?
Der Ursprung von Synthflow: Eine Lücke im Markt
Im Jahr 2023 erkannten Hakob Astabatsyan und seine Mitgründer Albert Astabatsyan und Sassun Mirzakhan-Saky eine Marktlücke: Während Chatbots längst in Websites und Messenger-Dienste integriert waren, fehlte eine Lösung für den telefonischen Kundenservice. Synthflow AI setzte auf Voice Orchestration – eine KI-Technologie, die Gespräche in Echtzeit analysiert, Antworten generiert und diese in natürlicher Sprache wiedergibt.

„Wir haben gesehen, dass viele Unternehmen über Textagenten sprechen, aber kaum jemand an Sprach-KI arbeitet“, sagt Hakob Astabatsyan. Die Herausforderung bestand darin, die Latenzzeit so weit zu reduzieren, dass Gespräche flüssig und ohne spürbare Verzögerung ablaufen. Mit einer eigens entwickelten Orchestrierung schaffte es Synthflow, die Reaktionszeit der KI auf 500 Millisekunden zu senken – ein entscheidender Vorteil gegenüber bisherigen Systemen.
Synthflow AI kombiniert verschiedene bestehende Technologien zu einer Plattform, die Unternehmen ermöglicht, Sprachagenten mit minimalem technischem Aufwand zu erstellen. Die Software wandelt Sprache in Echtzeit in Text um, analysiert die Anfrage mit großen Sprachmodellen (LLMs) und gibt die Antwort in natürlicher Sprache wieder. Dabei setzt das Unternehmen auf eine No-Code-Plattform, die verspricht, ohne Programmierkenntnisse einsatzbereit zu sein.
Wachsende Nachfrage, aber auch Skepsis
Synthflow AI setzt auf automatisierte Kundeninteraktionen, um Unternehmen Kosten zu sparen und Abläufe effizienter zu machen. Doch eine Gartner-Studie zeigt: 64 Prozent der Kunden wünschen sich, dass Unternehmen im Kundenservice auf KI verzichten. Viele empfinden KI-Anrufe als unpersönlich und bevorzugen es, mit echten Menschen zu sprechen – vor allem, wenn es um komplexe oder sensible Themen geht. Diese Kluft zwischen technologischem Fortschritt und Kundenwünschen ist eine Herausforderung für Synthflow AI: Kann das Unternehmen die Skepsis abbauen und Kunden vom Nutzen KI-gestützter Kommunikation überzeugen?
Astabatsyan sieht das gelassen. Er argumentiert, dass sich die Akzeptanz neuer Technologien mit der Nutzung verändert – ein Effekt, der als Jarvis-Paradox bekannt ist. „Anfangs waren viele auch bei Chatbots, Online-Banking oder Sprachassistenten wie Siri und Alexa skeptisch“, erklärt er. Der 34-Jährige ist überzeugt, dass KI-basierte Telefonagenten langfristig selbstverständlich werden – sobald Kunden ihren Nutzen erkennen und sich an die Interaktion gewöhnen.
Der Markt für diese Technologien wächst. Laut einer Studie von Fortune Business Insights soll der globale Markt für Sprach- und Spracherkennungstechnologien in weniger als zehn Jahren von 12,62 Milliarden US-Dollar (2023) auf fast 85 Milliarden US-Dollar (2032) ansteigen. Das entspricht einem jährlichen Wachstum von 23,7 Prozent. Besonders stark zeigt sich der Trend in Call-Centern, wo der Einsatz von KI-gestützten Lösungen voraussichtlich jedes Jahr um 25,8 Prozent zunehmen könnte. Dort setzen immer mehr Unternehmen auf Automatisierung, um Kosten zu senken und Prozesse zu beschleunigen.
Wo Synthflow bereits genutzt wird
Trotz offener Fragen setzen erste Unternehmen auf Synthflow AI. Eine große US-Versicherung nutzt die Technologie, um 60 Prozent der Anrufe automatisiert zu beantworten und jährlich Millionen einzusparen. In Deutschland setzen Kliniken Synthflow KI für die Terminbuchung ein. Patienten müssen nicht mehr in Warteschleifen warten, das Praxispersonal wird entlastet.
Doch nicht alle Branchen scheinen geeignet. Während einfache Anfragen effizient automatisiert werden können, stoßen KI-Agenten bei komplexen oder emotionalen Gesprächen an ihre Grenzen. Unternehmen müssen daher genau abwägen, ob eine Automatisierung im Sinne der Kundenzufriedenheit ist.
Synthflow AI wurde durch Atlantic Labs (1,5 Mio. Euro Pre-Seed) und Singular (7,4 Mio. Euro Seed-Finanzierung) finanziert. Das Unternehmen setzt auf ein Hybridmodell aus monatlicher SaaS-Gebühr und minutengenauer Abrechnung. Doch trotz hoher Wachstumszahlen ist Synthflow AI noch nicht profitabel.
„Unser Fokus liegt auf Forschung und Entwicklung“, sagt Astabatsyan. Doch langfristig stellt sich die Frage, ob sich das Modell trägt. Sollte das Investoreninteresse abflauen, könnte das Unternehmen in eine schwierige finanzielle Lage geraten.
Synthflow: Hier gibt es Risiken und Herausforderungen
Ein kritischer Punkt liegt im Datenschutz. Während US-Anbieter weniger strenge Regeln beachten müssen, muss Synthflow AI DSGVO-konform arbeiten. Alle Daten werden in Frankfurt gespeichert. Doch das Unternehmen ist weiterhin auf US-KI-Modelle wie OpenAI angewiesen. Falls sich die regulatorischen Rahmenbedingungen in Europa verschärfen, könnte das ein Problem werden.
Neben Datenschutz und Akzeptanz gibt es eine weitere kritische Frage: Arbeitsplätze. Synthflow betont, dass die KI Mitarbeiter unterstützen soll, doch in Call-Centern, die primär einfache Anfragen bearbeiten, könnten langfristig Arbeitsplätze wegfallen – besonders in Ländern mit niedrigeren Lohnkosten.
Auch technologisch gibt es Herausforderungen. Dialekte, undeutliche Aussprache und branchenspezifische Fachbegriffe bleiben eine Hürde. Zudem bestehen weiterhin Halluzinationen – also fehlerhafte KI-generierte Antworten. Gerade in sensiblen Bereichen wie dem Finanzsektor oder der Medizin kann das fatale Folgen haben. Synthflow arbeitet daran, diese Fehlerquote zu reduzieren. Doch eine völlig fehlerfreie KI gibt es nicht.