Warenwert und wahrer Wert – warum alles seinen Preis hat

Es war einmal der Preis ... Mit diesen Worten könnte die Titelgeschichte der neuen absatzwirtschaft beginnen, denn sie handelt von dem, was mal war: dem Fixpreis oder wenigstens der unverbindlichen Preisempfehlung. Das Digitalzeitalter ist drauf und dran, mit dieser Selbstverständlichkeit unseres analogen Vorlebens aufzuräumen.

Vor dem Preis sind längst nicht mehr alle gleich. Bei den Airlines haben wir uns schon daran gewöhnt, dass mitunter im Minutentakt unterschiedliche Tarife aufgerufen werden. Die Fluggesellschaften sind dabei besonders findig darin, Dumpingangebote als Marketingtool einzusetzen. Nach Venedig für 19 Euro, nach Madrid für 29 Euro oder nach Bangkok für 169 Euro? Alles kein Problem, zumindest nicht auf dem Papier. Noch nie war Fliegen so günstig wie heute, könnte man meinen. Doch die unangenehme Überraschung kommt, wenn man für einen bestimmten Termin buchen muss und feststellt, was Flüge wirklich kosten.

Aber das, was wir bei Flugtickets schon kennen, ist erst der Anfang. Denn nicht nur, wann man kauft, bestimmt den Preis, sondern immer mehr auch, wer der Kunde ist. Das Zauberwort bei immer mehr E-Commerce-Riesen heißt Dynamic Pricing, und es steht gleichermaßen für eine Optimierung der Vertriebsumsätze wie für den Generalangriff auf unsere Daten. Die werden zwar anonym gesammelt, lassen aber durchaus Rückschlüsse darauf zu, wer unter Umständen bereit ist, für ein bestimmtes Produkt einen höheren Preis zu akzeptieren. Wer etwa mit einem iPhone der neuesten Generation auf einer Händlerseite unterwegs ist, riskiert, an der virtuellen Kasse mehr zu zahlen als ein Käufer mit Low-Budget-Smartphone vom Discounter. Der Algorithmus bestimmt, was auf dem Etikett steht, die Relation von Warenwert und wahrem Wert wird immer undurchsichtiger.

Für viele Unternehmen ist die digitale Versuchung nur zu verlockend. Die Abkehr vom Einheitspreis bietet die Chance, Erlöse zu optimieren und neue Käufer hinzuzugewinnen. Das System hat aber auch eine Kehrseite. Wer auf diese Weise bei den Kunden jeden nur möglichen Euro lockermachen will, setzt deren Vertrauen und Loyalität aufs Spiel. Die maschinelle Quadratur des Preises könnte schon bald zum Problem für den Handel geraten, wenn nämlich die unterschiedlichen Preise für den einzelnen Käufer transparent und nachprüfbar werden. Je schneller Dynamic Pricing sich durchsetzt, umso eher dürfte ein mit Investorengeldern gefüttertes Start-up genau dieses Feld als Geschäftsmodell entdecken. Und wenn der gläserne Kunde das Preiskalkül dann per App enttarnen kann, hat der Algorithmus ausgezaubert. So hat eben alles seinen Preis.

Eine inhaltlich gehaltvolle Lektüre wünscht

Georg Altrogge, Herausgeber

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