Quo vadis, Agenturen?

Anfang des Jahres haben wir gemeinsam mit dem Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA eine Umfrage zum Thema Barrierefreiheit gestartet. Von den 131 Mitgliedern, die der GWA zu diesem Zeitpunkt hatte, haben 36 geantwortet. Das Ergebnis stimmt nachdenklich.
"Barrierefreiheit heißt, Kreativkonzepte zu entwickeln, die inklusiv sind", sagt GWA-Vorständin Laura Schlotthauer (© iStockphoto)

Ob und wie barrierefrei konzipierte und gestaltete Websites oder Kampagnen sich umsetzen lassen, hängt nicht nur von der Bereitschaft der Marketingabteilungen in Unternehmen ab. Klar, die muss vorhanden sein. Die Frage entscheidet sich aber auch im Zusammenspiel mit den beauftragten Agenturen.

Da es hierzu bisher keine verlässlichen Zahlen gibt, hat die absatzwirtschaft gemeinsam mit dem GWA eine eigene Umfrage aufgesetzt. Diese wurde am 18. Januar 2022 gestartet, Daten wurden bis einschließlich 1. Februar 2022 erhoben.

Quelle: absatzwirtschaft und GWA (2022, n = 36), eigene Umfrage

Unsere Fragen nach bereits vorhandenem Fachwissen in Beratung, Konzeption und Kreation, nach Entwicklungsfeldern und möglichen Zertifizierungen wurden am Ende von 36 Agenturen beantwortet. Das entspricht in etwa jedem vierten GWA-Mitglied. Bei 69 Prozent der Agenturen wurde Barrierefreiheit bei Kommunikationsaufträgen seitens ihrer Kund*innen bisher gar nicht oder nur selten nachgefragt. Nur sechs Prozent der Befragten geben an, sehr häufig Anfragen zu bekommen, weitere acht Prozent häufig. Wobei die Aufträge derzeit vor allem von öffentlichen Auftraggebern kommen. Außerdem ist Barrierefreiheit bei Unternehmen der Pharma- und Healthcare-Branche sowie im Banken- und Finanzdienstleistungssektor manchmal gefragt.

Barrierefreiheit als Gemeinschaftsaufgabe

Was muss aus Sicht des GWA passieren, damit das Thema Barrierefreiheit von der Ausnahme zur Regel wird? Laura Schlotthauer, GWA-Vorständin für das Ressort „Diversity, Equity & Inclusion“ und Geschäftsführerin bei Ressourcenmangel, sieht es als Gemeinschaftsaufgabe: „Natürlich müssen Auftraggeber Barrierefreiheit noch stärker als Teil einer inklusiven Kommunikation und damit in der Planung auch budgetär etablieren. Gleichzeitig sind wir als Dienstleister gefragt, die bestehenden Standards und den Blick darüber hinaus zu stärken.“

Quelle: absatzwirtschaft und GWA (2022, n = 36), eigene Umfrage

Dort, wo Barrierefreiheit beauftragt wird – hier sprechen wir also von einer geringeren Fallzahl –, geht es vor allem um Einfache und Leichte Sprache sowie technische Aspekte, etwa der Programmierung oder des UX-Designs. Während bei mehr als der Hälfte der Aufträge Barrierefreiheit auch im Design nachgefragt wird, spielt das Thema in der Strategie bislang kaum eine Rolle. Schlotthauer sagt: „Die Umfrage zeigt, dass sich die Bemühungen bisher auf einige Aspekte der Barrierefreiheit beschränken (technisch, sprachlich). Barrierefreiheit heißt aber eben auch, Kreativkonzepte zu entwickeln, die inklusiv sind.“

Unsicherheit verstärkt den Ist-Zustand

Die Hälfte der befragten Agenturen hat bereits Expertise zum Thema in ihrer Agentur aufgebaut – vor allem in Form von internen Schulungen, externen Weiterbildungen und durch Kooperationen mit externen Dienstleistern. Was ebenfalls zur Wahrheit gehört: 50 Prozent haben in ihrer Agentur noch kein Fachwissen aufgebaut.

Die Gründe hierfür sind sicher vielfältig. Unsere Umfrage zeigt jedoch, dass die Unsicherheit über die gesetzlichen Anforderungen der entscheidende Faktor zu sein scheint. Drei Viertel der befragten Agenturen sehen darin den größten Nachholbedarf für die Branche. Auch fehlendes Know-how im Arbeitsmarkt wird als große Herausforderung angegeben.

Quelle: absatzwirtschaft und GWA (2022, n = 36), eigene Umfrage

Woran erkennen Marketingentscheider*innen nun aber, ob eine Agentur über das notwendige Fachwissen im Bereich Barrierefreiheit verfügt? Eine Möglichkeit sind Zertifizierungen wie die Web Content Accessibility Guidelines, kurz WCAG, oder die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV). Bei beiden geht es vorrangig um die Gestaltung digitaler Anwendungsbereiche. Nun die schlechte Nachricht: Von den befragten Agenturen sind lediglich sechs Prozent zertifiziert.

Neue Regelungen als Chance

Bleibt die Frage, wie es weitergeht. Wie sieht man es beim GWA: Können die zusätzlichen Herausforderungen, die mit dem Thema Barrierefreiheit verbunden sind, die Arbeit von Agenturen auf ein neues Level heben? Oder müssen wir uns von der einen oder anderen kreativen Spielerei für immer verabschieden? Schlotthauer ist positiv gestimmt: „Kreativität zeichnet sich doch dadurch aus, das bisher Undenkbare oder Ungesehene zutage zu fördern – wir sollten die neuen Regelungen als Chance betrachten, um die Kommunikation unserer Kund*innen noch zugänglicher und inklusiver zu machen.“ Und weiter sagt sie: „Eine Herausforderung, die wir mit der geballten Kreativ-Power in Agenturen gut meistern können.“

Quelle: absatzwirtschaft und GWA (2022, n = 36), eigene Umfrage

Die Branche steht insgesamt gesehen vor einer riesigen Herausforderung. Bleibt abzuwarten, was sich in den kommenden Monaten bewegt – aufseiten der Marken und der Agenturen. Denn eines ist sicher: Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz kommt. Und 2025 ist näher, als Sie denken.

Dieser Artikel erschien zuerst in der März-Printausgabe der absatzwirtschaft.

(ccm, Jahrgang 1984) ist seit Oktober 2021 Chefredakteurin der absatzwirtschaft. Neben der Weiterentwicklung der journalistischen Marke verantwortet sie für die crossmediale Themenplanung sowie die Konzeption und Pilotierung neuer Formate mit Schwerpunkt Digital Storytelling. Aufgewachsen zwischen Südamerika und Deutschland lebt sie aktuell mit Freund und Kater in Köln.