Mental Health: „Stress ist nicht per se negativ, er wird nur oft so empfunden“

Dünne Personaldecke. Workload. Termindruck. So sieht der Arbeitsalltag in vielen Unternehmen aus. Trotzdem sollte Mental Health dabei immer eine Hauptrolle spielen. Wie das gelingt, erklärt Lisa Robben, COO bei Saatchi & Saatchi, in ihrem Gastbeitrag.
Lisa Robben
Lisa Robben, COO Saatchi & Saatchi: "Angesicht des Fachkräftemangels und der Wirtschaftlichkeit kann es sich kein Unternehmen leisten, Mental Health zu vernachlässigen." (© Saatchi & Saatchi)

Die Pandemie hat Mental Health zum Boom-Thema gemacht. Deshalb gehört sie heute formal in die Kultur vieler Agenturen und Unternehmen. Doch es ist nicht leicht, jeden Tag achtsam zu sein und mentale Gesundheit zu leben. Unsere Arbeitsrealität besteht aus einem schnelllebigen Umfeld, das bestimmt wird von engen Deadlines, einer ausgedünnten Belegschaftsstärke und hohen Anforderungen. Gerade Kreative arbeiten oft unter enormem Leistungsdruck, um kontinuierlich neue und innovative Ideen zu liefern. Dazu kommen gesellschaftliche Krisen, die Ängste, Unsicherheiten und zusätzlichen Stress für Mitarbeiter*innen bedeuten.

Unzufriedenheit, Depression, Burnout und auch körperliche Beschwerden wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes sind häufig die Folge. Damit erhöhen sich die Anzahl der Krankheitstage und die Fluktuation. Und das wiederum beeinflusst die Produktivität und hat negative Auswirkungen auf das Employer Branding. Hinzukommen erhebliche Kosten für externe Kräfte – wie Freelancer oder Interimsmanager – und zusätzliches Recruiting.

Angesicht des Fachkräftemangels und der Wirtschaftlichkeit kann es sich kein Unternehmen leisten, Mental Health zu vernachlässigen. Damit Achtsamkeit und Work-Life-Balance ganz selbstverständlich im Arbeitsalltag gelebt werden, bedarf es zwei elementarer Bausteine in jeder Organisation.

Mental Health: Mindshift bildet die Grundlage

Eine Mental Health-Kultur geht immer mit einem Changeprozess einher. Jeder einzelne – von der Chefetage bis hin zum Trainee – kann und sollte dazu beitragen, dass Mental Health in der gesamten Belegschaft zur Normalität wird. Das fängt mit dem Perspektivwechsel an und hört bei der Verhaltensänderung auf. Denn Stress ist nicht per se negativ, er wird nur oft so empfunden. Deshalb gilt es im ersten Schritt für das Thema zu sensibilisieren und anschließend die psychische Widerstandsfähigkeit zu trainieren.

Um diesen Prozess anzustoßen und zu begleiten, sollte es ein breit und nachhaltig angelegtes Lern- und Coaching-Angebot geben, was sich individuell, flexibel und freiwillig nutzen lässt. Bei der Publicis Groupe beinhaltet dies Vorträge und Deep Dive-Sessions zu Themen wie „Rebellisch gesund“ oder „Energiebooster durch positive Psychologie“. Darüber hinaus bietet eine zentrale Plattform eine Fülle von Workshops zu Resilienz oder Wellbeing und digitale Sportangebote wie Pilates und Meditation an.  

Auch wurde ein #WeCareClub gegründet. Hier können sich Kolleg*innen über alle Standorte und Marken hinweg zu Mental Health austauschen, Best Practices reingeben und sich gegenseitig motivieren, achtsam zu sein. Bei akuten Krisen steht eine externe, fachliche 24/7-Beratung für gesundheitsbezogene Fragen bereit.

Mittel- und langfristiges Ziel ist es, Probleme real einzuschätzen, Situationen auf Wahrheit zu prüfen und sich von emotionalen Interpretationen und Schwingungen zu trennen. Die passive Opferrolle verschwindet und Mitarbeit*innen werden befähigt, optimistisch und aktiv nach Lösungen zu suchen und Herausforderungen strukturiert anzugehen.

Dabei ist es ratsam, sich externe Experten an Bord zu holen. Diese bringen nicht nur Know-how mit, sondern gehen auf einzelne Zielgruppen, wie die Generationen Z oder Y, oder Hierarchie-Ebenen ein, nehmen ihre unterschiedlichen Bedürfnisse wahr, binden sie ein und bieten ihnen spezifische Programme, Webinare und Tools an. So unterstützen sie den Mindshift eines jeden einzelnen.

Führungskräfte sind Dreh- und Angelpunkt

Schon lange geht es bei Führungskräften nicht mehr darum, eine 60-Stunden-Woche nach dem Motto “höher, schneller, weiter” vorzuleben. Ihre Aufgabe besteht heute vielmehr darin, dafür zu sorgen, dass Arbeit Spaß macht, sinnvoll und wertschätzend ist. Deshalb sollten sie Mental Health-Werte wie Respekt, Toleranz, Hilfsbereitschaft, Vertrauen, Offenheit, Integrität und Mut verinnerlichen und vorleben. Zu ihren neuen Skills gehören auch Empathie, Fürsorge und Verständnis – auch für Fehler.

Coaching und Webinare helfen, die neuen Kompetenzen zu erlernen oder zu vertiefen. Führungskräfte werden auf Achtsamkeit geschult, was Befindlichkeiten, Gefühle und Bedürfnisse ihrer Mitarbeit*innen angeht. Leitende Manager entwickeln sich zu Coaches für das Team, greifen positiv ein, verhindern Stresssituationen und bleiben auch in Krisen ruhig und gelassen. Dem Gedanken folgend „you have to be well to lead well“ sollten sie aber als aller erste lernen, mit Stress, Ängsten und Druck umgehen zu können und sich selbst eine mentale Resilienz zu erarbeiten. Nur so leben sie mentale Gesundheit wirksam vor und setzen sie im Team durch.

Mental Health ist ein langer Prozess

Natürlich kann auch die Organisation die Mental Health-Kultur mit Maßnahmen unterstützen. Dazu gehört in erster Linie flexibles Arbeiten, die Möglichkeit, Auszeiten zu nehmen und das Vermeiden von Überstunden. Auch gilt es, die Zusammenarbeit mit Kund*innen auf eine neue Basis zu stellen. Denn wenn auch hier Werte wie Respekt und Toleranz gelebt, Timings und Aufgaben gemeinsam besprochen, kurzfristige oder unklare Briefings vermieden werden, sich alle Beteiligten auf Augenhöhe begegnen, dann macht Zusammenarbeit Spaß.

Nichtdestotrotz liegt es an jedem einzelnen, Mental Health-Möglichkeiten zu nutzen, das eigene Denken und Handeln zu verändern und das Arbeitsumfeld aktiv im Sinne der Gesundheit zu gestalten. Dieser innerliche und organisatorische Changeprozess dauert Jahre. Auch wir bei der Publicis Groupe haben nach zwölf Monaten der #WeCareWeThrive-Initiative noch nicht das Ruder komplett umwerfen können. Aber wir erleben, dass viele Mitarbeit*innen die Trainings, Webinare und das Coaching-Angebot wahrnehmen. Es gibt noch viel zu tun – aber es lohnt sich definitiv, den Weg zu einer besseren mentalen Gesundheit zu beschreiten.

Über die Autorin:
Lisa Robben ist Chief Operating Officer (COO) bei Saatchi & Saatchi Germany und Leo Burnett. Darüber hinaus leitet sie interimsweise das Agentur-Tagesgeschäft und ist Mental Health-Botschafterin bei der Publicis Groupe für die DACH-Region.