Können wir endlich aufhören, jede New Work-Sau durchs LinkedIn-Dorf zu treiben? Mir ist klar, dass das ein frommer Wunsch bleiben wird. Zu sehr ist der algorithmus-basierte Teil dieser Welt darauf gepolt, Aufregung zu belohnen. Diese Mechanismen machen sich die Akteure der öffentlichen Debatte ganz bewusst zu Nutze.
Dass ifo-Chef Clemens Fuest große Aufmerksamkeit dafür bekommt, wenn er sagt, dass das Elterngeld abgeschafft werden könne, ist ein Vorschlag, der Vieles ist, aber sicher nicht ernst zu nehmen. Fuest kalkuliert die damit einhergende Aufmerksamkeit ganz bewusst ein. Und alle springen drauf an. Dabei hat er noch einige weitere Aussagen dazu gemacht, wo der Staat sparen könnte. Doch in die Debatte schaffen es diese Punkte kaum, zu viel Aufregung wurde da schon für Quatsch verbraten.
Fakt ist: Weder familienpolitisch noch für das Gerechtigkeitsempfinden ist der Vorschlag von Fuest in dieser Pauschalität sinnvoll. Natürlich kann man aus guten Gründen die Grenze diskutieren, bis zu welchem Gehalt eine Familie Elterngeld erhält. Sie wurde zuletzt von 200.000 Euro zu versteuerndem Jahreseinkommen auf 175.000 Euro gesenkt. Eine Familie muss also mehr als diese 175.000 Bruttoeinkommen haben, um kein Elterngeld mehr zu erhalten. Ob Familien, die jährlich deutlich sechsstellig verdienen, das Elterngeld wirklich brauchen, ist eine Diskussion, die man sicher führen kann.
Wie teuer ist Elterngeld wirklich?
Eine Familie, die 40.000 Euro oder 60.000 Euro Jahreseinkommen hat, wird eine deutliche Lücke im Portemonnaie spüren, wenn das Elterngeld wegfällt. Oder: Sie verzichtet im Extremfall vielleicht sogar auf (weitere) Kinder. Das kann nicht im Sinne der Gesellschaft sein. Die Frage stellt sich unweigerlich: Ist ein Instituts-Chef wie Clemens Fuest, der sicher zu den Besserverdienern gehört, zu weit weg von Menschen mit geringem Einkommen? Auf sie muss der Vorschlag verständlicherweise zynisch wirken.
Dazu kommt: Entscheidend ist auch die Frage, welche Lenkungswirkung Elterngeld erreichen soll. Ein Ziel ist es etwa, auch Väter stärker an der Care-Arbeit zu beteiligen. Als junger Vater kann ich selbst sagen: Diese Arbeit ist super anstrengend, aber sehr bereichernd. Mütter dieser Gesellschaft brauchen mehr Beteiligung der Väter. Für sich selbst, aber auch, damit für sie eine bessere Partizipation am Arbeitsmarkt möglich wird. Dafür legen Elternzeiten einen Grundstein. Ob dieses Ziel erreicht wird oder Paare die oft hämisch „Vätermonate” genannte Elternzeit zum Urlaub nutzen, ist eine andere Frage. Doch auch hier wurde nachgesteuert: Nur noch ein gemeinsamer Monat Elternzeit ist möglich. Den nutzen viele Eltern für den ersten Monat nach Geburt, in denen an große Reisen nicht wirklich zu denken ist. Die Diskussion braucht schlicht Differenzierung.
7,79 Milliarden Euro sind im aktuellen Haushalt für das Elterngeld veranschlagt. Das ist sicher viel Geld. Aber im Vergleich zu den aktuell diskutierten 500 Milliarden Euro Sondervermögen doch eher ein Tropfen auf den heißen Stein.
Teilkrankschreibungen: DGB geht unter die Decke
Die andere jüngst geführte Debatte betrifft Teilkrankschreibungen: Dieser Vorschlag wurde vom Expertenrat Gesundheit und Resilienz der Bundesregierung gemacht. Arbeitnehmende sollen dann teilweise arbeiten können, während sie nicht voll arbeitsfähig sind. Also mit verringerter Stundenzahl oder von zuhause aus.
Dabei will niemand den Arbeitnehmenden die Lohnfortzahlung wegnehmen. Auch hier ist die Aufregung wenig angemessen. Natürlich kann man diesen Vorschlag ablehnen. Weil es Chefinnen und Chefs geben mag, die solche Möglichkeiten ausnutzen, um zusätzlichen Druck auf ihre Mitarbeitenden auszuüben, zumindest teilweise wieder zu arbeiten. Das sind dann vermutlich die gleichen Personen, die bei ihren Mitarbeitenden Druck machen, schnellstmöglich aus der Arbeitsunfähigkeit zurückzukehren oder (wie Tesla) plötzlich zuhause vor der Tür stehen, um nach dem Rechten zu sehen.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Für viele Arbeitnehmende könnte die Möglichkeit der Teilkrankschreibung bedeuten, keine Kolleginnen und Kollegen anzustecken, weil sie keiner Büropflicht nachkommen müssen. Denn für diese Fälle gibt es aktuell oft zwei Varianten: trotz Krankheit ins Büro gehen, oder gänzlich abmelden. Gleiches gilt für die Abmeldung, weil das Kind krank ist. Hier sieht die Realität für viele schon heute so aus, dass zwischen krankem Kind mal eben noch ein Termin gemacht oder ein paar Mails weggeschrubbt werden. Sicherlich müssen Eltern mit ihren Kräften haushalten und können nicht Vollzeit arbeiten und gleichzeitig das kranke Kind betreuen. Aber für viele ist ein gewisses Pensum eben durchaus machbar. Warum also sollte es für solche Fälle nicht prinzipiell möglich sein?
Das Traurige: Dieser Appell ist für die polarisierte Debattenwelt vermutlich zu differenziert und hat zu wenig Aufregerpotenzial. Doch wenn wir die Zeit nutzen würden, in denen wir wütende Kommentare schreiben, um konstruktiv miteinander zu diskutieren, vielleicht hätten wir dann schon sinnvolle Lösungen gefunden. Man darf ja träumen.
Auf eine aufregerfreie Woche!