Der Wert gemeinsamer Werte

Als starke Arbeitgebermarke aufzutreten, ist auch im Einzelhandel ein entscheidender Schlüssel, um bestehende Mitarbeitende zu binden und neues Personal zu gewinnen. Dabei rücken vor allem bei der jüngeren Generation die Unternehmenswerte in den Fokus. Ein Gastbeitrag.
Wurzeln schlagen: Um gerade junge Mitarbeiter ans Unternehmen zu binden, braucht es einen gemeinsamen kulturellen Nährboden und ein stützendes Wertegerüst. (© Stocksy)

Von Jutta Rump und Silke Eilers

Angesichts eines immer deutlicher zutage tretenden Arbeitskräftemangels in zahlreichen Branchen und Berufsfeldern und der weiter sinkenden Verfügbarkeit von Nachwuchskräften greift die Strategie, bestehenden Personalengpässen mit Rekrutierung zu begegnen, nur noch bedingt. Stattdessen rückt Mitarbeiterbindung als zentraler Hebel zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit immer mehr in den Fokus. Wenn Talente an Bord sind, sollte man alles daransetzen, sie im Unternehmen zu halten. Dies nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass die Wahlmöglichkeiten der Arbeitnehmenden sich vergrößern, die Hemmschwelle, den Arbeitgeber zu wechseln, sinkt und über Internetplattformen eine zunehmende Transparenz über die Arbeitsbedingungen bei unterschiedlichen Unternehmen herrscht.

Doch mit welchen Instrumenten, die auch bestimmte Werthaltungen und Menschenbilder ausdrücken, lassen sich Mitarbeitende an einen Arbeitgeber binden, und was fördert ihre Identifikation mit dem eigenen Unternehmen? Dieser Frage geht der Digitalrat der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) nach. Zudem ist sie Gegenstand einer Langzeituntersuchung im Rahmen des HR-Reports, den das Institut für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen (IBE) seit zwölf Jahren jährlich veröffentlicht.

Jutta Rump ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Darüber hinaus ist sie Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen (IBE) sowie Mitglied des Digitalrats der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitsgeberverbände (BDA). ©Simon Wegner

Für die betrieblichen Entscheider, die an der Studienreihe des HR-Reports teilnehmen, steht dabei ein gutes Betriebsklima nahezu durchgängig an erster Stelle. Unter den Top Five finden sich zudem über den gesamten Zeitverlauf hinweg flexible Arbeitszeiten und eine marktgerechte Entlohnung. Starken Zuwachs erfuhr in den vergangenen Jahren die Förderung von Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, ebenso wie jüngst auch die mobile Arbeit.

Zeit wird zum Vermögenswert

Ein gutes Betriebsklima ist Ausdruck einer ausgeprägten Mitarbeiterorientierung, die sich vor allem in Aspekten wie der Verbindlichkeit von Zusagen und der Transparenz über die Ziele der Organisation zeigt, verbunden mit regelmäßigen Informationen seitens der Unternehmensleitung an die Beschäftigten. Sie manifestiert sich aber auch in einem offenen Umgang mit kritischen Themen und einer konstruktiven Fehlerkultur. Darüber hinaus ist ein zentrales Merkmal eines Betriebsklimas, das Mitarbeiterorientierung fördert, ein hohes Maß an Partizipation.

Ziel sollte es sein, kollektive und persönliche Werte bestmöglich miteinander in Einklang zu bringen. Dass sowohl das marktgerechte Entgelt als auch die Arbeitszeitflexibilität sich seit Jahren unter den Top Five der wichtigsten Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung in den HR-Reports halten, spiegelt einen Trend wider: Zwar gilt weiterhin – dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit folgend – das Entgelt für eine erbrachte Leistung in der Arbeitswelt als zentrale Währung. Zunehmend zeigt sich jedoch eine Werteverschiebung hin zu einer gleichberechtigten Wahrnehmung des Faktors Zeit als Währung. Angesichts einer Verdoppelung der Veränderungsgeschwindigkeit, verbunden mit einer Halbierung der Reaktionszeit, ist Zeit nicht nur ein knappes Gut, sondern wird zu einem Vermögenswert. Wenn Menschen das Gefühl haben, ihnen rinnt zunehmend die Zeit durch die Finger, dann streben sie nach mehr Selbstbestimmtheit in Sachen Zeit, nach Flexibilität und Zeitsouveränität.

Silke Eilers ist Diplom-Betriebswirtin (FH) und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin am Institut für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen (IBE). Ihre Themenschwerpunkte liegen bei der Zukunft der Arbeitswelt, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie dem demografischen Wandel. ©IBE Ludwigshafen

Doch es geht nicht allein um den zeitlichen Aspekt, auch die Souveränität über den Arbeitsort entspricht diesem neuen Werteverständnis. Mobile Arbeit ist durch die Entwicklungen im Zuge der Coronapandemie nicht mehr nur für einige wenige Zielgruppen, wie Menschen mit Betreuungsaufgaben, verfügbar, sondern wurde nun weiten Teilen der Arbeitnehmerschaft zugänglich gemacht. Die rasant steigenden Zustimmungswerte für die mobile Arbeit als Bindungsfaktor im Rahmen der Zeitreihe des genannten HR-Reports sprechen hierbei eine deutliche Sprache. In engem Zusammenhang dazu steht auch die stetig zunehmende Bedeutung der Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Hier zeigt sich, dass die Generation Y endgültig im Berufsleben angekommen ist und ihre Werte in die Unternehmen hineinträgt, zu denen insbesondere ihre starke Familien- und Balanceorientierung zählt.

Handlungsspielräume gewähren

Es ist also zu erkennen, dass es neben einem angemessenen finanziellen Rahmen gerade die mitarbeiterorientierten Aspekte sind, die den Unterschied machen, darunter insbesondere solche, in denen Beschäftigte und ihre Arbeitgeber individuelle Lösungen finden, von denen beide Seiten profitieren können. In Bezug auf Führung lassen sich Mitarbeitende insbesondere dadurch binden, dass Werte wie Leistungsorientierung, Fairness und Transparenz im Mittelpunkt stehen. Beschäftigte schätzen es, wenn ihnen Handlungsspielräume gewährt werden, man ihnen Entscheidungsbefugnisse überträgt und die Möglichkeit zur Selbstorganisation gegeben ist.

Auch die Personalentwicklung und Karriereoptionen spielen eine nicht unerhebliche Rolle. Hier geht es insbesondere um interessante und abwechslungsreiche Aufgaben, die Beachtung von Stärken, Präferenzen und Lebensphasen und eine Wertschätzung von Lernbereitschaft und -fähigkeit. Dem Wertewandel in der Gesellschaft geschuldet ist die zunehmende Relevanz eines nachhaltigen Agierens von Unternehmen nach innen und außen, auch in Bezug auf den Unternehmensstandort und das regionale Engagement. Gerade für Young Professionals macht dies einen hohen Attraktivitätsfaktor aus.

Der Wert „Heimat“ wird bei ihnen wieder großgeschrieben, wie die aktuelle IBE-Studie „Attraktivität eines Standortes aus Sicht von Young Professionals“ nachweist. Nicht immer allerdings – auch das zeigen die HR-Reports – wird die Umsetzung von Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung deren wahrgenommener Bedeutung gerecht. Vielmehr finden sich nicht unerhebliche Talking-Action-Gaps. Interessant ist auch, dass beispielsweise Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit zwar vielfach bereits einen vergleichsweise hohen Umsetzungsgrad aufweisen, jedoch von den Teilnehmenden der Studienreihe als kaum relevant für die Mitarbeiterbindung erachtet werden. Hier lohnt sich gegebenenfalls ein Blick in das einzelne Unternehmen, um nicht am Bedarf vorbei zu agieren. Eine Mitarbeitendenbefragung, die zunächst erfasst, welche Wertemuster bei der Belegschaft anzutreffen sind, und darauf aufbauend Bindungsinstrumente plant und umsetzt, kann hierbei hilfreich sein.

Dieser Text erschien zuerst im Handelsjournal.