Kodak ist in Insolvenz – das war die Wirtschaftsnachricht am 19. Januar 2012. Dabei war Kodak 1996 laut Interbrand noch die viert wertvollste Marke der Welt hinter Disney, Coca-Cola und McDonald’s. Wie konnte eine Unternehmensikone wie Kodak 16 Jahre später insolvent sein? Heute, mehr als ein Jahrzehnt nach diesem Ereignis, lohnt es sich, nicht nur die Ursachen des Niedergangs zu beleuchten, sondern auch den Weg, den Kodak seitdem eingeschlagen hat, um wieder auf die Beine zu kommen.
Eine verpasste digitale Revolution oder ein Branding-Problem?
Für viele schien die Antwort 2012 klar: Kodak hat die digitale Entwicklung im Fotomarkt übersehen und unterschätzt. Zahlreiche Medien berichteten damals: „Die digitale Revolution führte den Konzern nach verlustreichen Jahren in die Pleite“, schrieb etwa eine österreichische Tageszeitung. Doch ist das die ganze Wahrheit?
Die Fakten zeigen ein anderes Bild: Kodak war keineswegs technologisch rückständig. Bereits 1975 erfand Kodak die Digitalkamera, 1986 brachte das Unternehmen die erste kommerzielle Digitalkamera auf den Markt, und um die Jahrtausendwende war Kodak Weltmarktführer bei High-End-Digitalkameras. Technologisch war Kodak also vorne dabei – doch aus Kundensicht blieb Kodak vor allem eines: ein Hersteller von Fotofilmen.
Das eigentliche Problem lag im Branding. Kodak wurde weiterhin als Fotofilm-Unternehmen wahrgenommen, während Marken wie Canon und Nikon die führenden Namen in der Welt der Digitalkameras wurden. Kunden bevorzugen oft das „Echte und Wahre“ – und für Digitalkameras waren das aus Sicht der Kunden nicht Kodak, sondern die Spezialisten.
Eine ähnliche Erfahrung musste Nokia machen. So gehörte auch Nokia laut Interbrand um die Jahrtausendwende zu den wertvollsten globalen Marken dieser Erde. Selbst im Jahr 2007, als Steve Jobs das erste iPhone präsentierte, hielt man immer noch Platz 5. Aber auch Nokia blieb trotz aller Versuche in der Welt der Smartphones in der Wahrnehmung der Kunden immer nur ein Mobiltelefon. Dabei gehörte man mit dem Nokia Communicator technologisch mit zu den Smartphone-Pionieren. (Mit Januar dieses Jahres ist Nokia jetzt bei Mobiltelefonen endgültig Geschichte. So hat der Hersteller HMD kürzlich alle Smartphones unter der Marke Nokia von seiner Website genommen.)
Der Weg aus der Insolvenz: Ein neues Kapitel für Kodak
Aber zurück zu Kodak: Nach der Insolvenz 2012 wurde Kodak grundlegend restrukturiert. Das Unternehmen konzentrierte sich auf neue Geschäftsfelder, insbesondere auf digitale Drucktechnologien und Dienstleistungen für Unternehmen. 2013 verließ Kodak das Insolvenzverfahren und positionierte sich als Technologieunternehmen neu. Dabei verkaufte Kodak zahlreiche Patente und Geschäftsbereiche, darunter auch die Fotosparte, um Schulden zu begleichen und Kapital für Investitionen zu schaffen.
Ein interessantes Comeback gelang Kodak im Bereich der analogen Fotografie: Der Markt für Filmrollen erlebte in den letzten Jahren ein Revival, insbesondere durch die Nachfrage aus der Filmindustrie und von Hobbyfotografen. 2024 modernisierte Kodak seine Produktionsanlagen in Rochester, New York, um die steigende Nachfrage nach analogen Filmen besser bedienen zu können.
Aber eines darf man dabei nicht übersehen: Machte Kodak im Jahr 2000 noch rund 14 Milliarden US-Dollar Umsatz, waren es im Jahr 2023 gerade einmal 1,1 Milliarden und das bei stagnierenden und sogar rückläufigen Zahlen in den letzten fünf Jahren. Die Marke mag überlebt haben, aber im Vergleich zu früher führt sie nur mehr ein mentales Schattendasein.
Branding-Lehren aus der Geschichte von Kodak
Die Geschichte von Kodak ist eine eindrucksvolle Lektion über die Bedeutung des Zusammenspiels von Markenpositionierung und Innovationsmanagement. Hätte Kodak in den 1990er-Jahren eine eigenständige Marke für Digitalkameras eingeführt, hätte das Unternehmen vielleicht eine starke zweite Marke aufbauen können, die den Rückgang des Fotofilms kompensiert hätte. Stattdessen blieb Kodak in der Wahrnehmung der Kunden immer eng mit Fotofilmen verbunden.
Aus dieser Perspektive betrachtet sind heute vor allem zwei Märkte extrem spannend. Auf der einen Seite ist dies der Markt für Elektromobilität und auf der anderen Seite der Markt für Suchmaschinen. In beiden Märkten gibt es eine Tendenz, dass sich der Markt mental in der Kundenwahrnehmung teilt.
Für Kodak war das große Problem, dass in der Wahrnehmung klassische analoge Fotografie und Digitalfotografie zwei verschiedene Kategorien waren und sind. In der einen Kategorie war Kodak der globale Weltstandard, in der anderen maximal – wenn überhaupt – ein Mitläufer. Für Nokia war das große Problem, dass in der Wahrnehmung der Kunden klassische Mobiltelefone und Smartphones zwei verschiedene Kategorien waren und sind. In der einen Kategorie war Nokia Weltmarktführer, in der anderen nur ein weiterer Anbieter.
Aktuell teilt sich in der Wahrnehmung der Kunden der Automarkt in klassische Autos mit Benzin-, Diesel- oder Hybridantrieb und in Elektroautos. In der einen Kategorie setzten vor allem die deutschen Autobauer wie Audi, BMW, Mercedes, Porsche und VW global die Standards, in der anderen werden sie mehr und mehr nur als Mitläufer gesehen. Hier dominieren auf einmal global Marken wie Tesla und BYD.
Aktuell könnte sich der Markt für Suchmaschinen in der Wahrnehmung der Kunden in herkömmliche Suchmaschinen und in KI-Suchmaschinen teilen. So gesehen könnte das erste Mal die Dominanz von Google durch Herausforderer wie Perplexity infrage gestellt werden. Das Schlimmste, was Google aus Markensicht passieren könnte, ist, dass die KI-Suche die herkömmliche Suche ablöst. Denn genau dann besteht die Gefahr, dass man bei der einen alten Suche die Nr. 1 ist und bei der neuen KI-Suche nur ein weiterer Anbieter.
Fazit: Was können Marken lernen?
Kodak ist ein mahnendes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, Kundensicht, Markenpositionierung und Innovation integriert zu berücksichtigen. Unternehmen, die heute erfolgreich sein wollen, müssen nicht nur technologisch innovativ sein, sondern auch klar kommunizieren, wofür ihre Marke steht. Das kann speziell bei disruptiven Innovationen auch eine neue Marke erfordern.
So gesehen sollten unter Umständen auch die traditionellen Autobauer ihre Markenstrategien auf den Prüfstand stellen, um sicherzustellen, dass man nicht nur in der alten Autowelt voranfährt. Speziell der Volkswagen- Konzern hätte mit seinem Mehr-Markensystem rund um die Kernmarken Audi, VW und Porsche die perfekte Basis, um nicht nur bestehende Marken zu elektrifizieren, sondern um echte Elektroautomarken zu bauen.
Aber auch Google sollte aus Markensicht überlegen, dass man nicht nur Google mit KI „aufpäppelt“, sondern eine eigene KI-Suchmaschinen-Marke lanciert oder kauft. So gesehen könnte man eine neue Marke auch als eine Art „Rückversicherung“ sehen, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein.
Fazit: Auf der einen Seite zeigt die Neuausrichtung von Kodak, dass selbst ein gefallener Gigant eine zweite Chance erhalten kann – wenn die richtige Strategie gewählt wird. Auf der anderen Seite zeigt die Geschichte von Kodak vor allem aber auch, dass man bei disruptiven Innovationen nie die eigene Marke in der Wahrnehmung der Kunden überschätzen und den Mitbewerb unterschätzen sollte. Markenerfolg ist immer relativ. Er hängt von der eigenen Strategie und von den Strategien der Mitbewerber ab. Mögen die besseren Strategen gewinnen!
Hinweis: Dieser Artikel basiert auf einem ursprünglichen Text von 2012 und wurde aktualisiert, um aktuelle Entwicklungen und neue Perspektiven zu berücksichtigen.