Der Niedergang von Kodak oder der entmystifizierte Technologie-Mythos

Kodak ist in Insolvenz. Das war sicher die Wirtschaftsnachricht am 19. Jänner 2012. Dabei war Kodak 1996 laut Interbrand noch die viertwertvollste Marke dieser Erde hinter Disney, Coca-Cola und Mc Donald’s. Wie kann es sein, dass eine Marken- und Unternehmensikone wie Kodak 16 Jahre später insolvent ist?

Für die meisten ist die Antwort klar: Kodak hat einfach die digitale Entwicklung am Fotomarkt übersehen und unterschätzt. Dazu einige Pressezitate vom 20. Jänner 2012: So schrieb eine österreichische Tageszeitung etwa: „Mehr als ein Jahrhundert lang war Kodak für hunderte Millionen Menschen in aller Welt der Inbegriff von Fotografie. Aber die digitale Revolution führte den Konzern nach verlustreichen Jahren in die Pleite.“ Eine andere schrieb: „Der Pionier für Kameras für jedermann und Vorreiter in der Film-Technologie schaffte den Umstieg auf die digitale Fotografie nicht.“

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) wiederum schrieb: „Eastman Kodak ist im Jahr 1880 gegründet worden und war ein Pionier in der Fotografie. Berühmt wurde das Unternehmen vor allem mit den Kodak-Filmrollen. Der Konzern hat sich allerdings zu lange auf dieses Geschäft verlassen und kam durch den Aufstieg der digitalen Fotografie immer mehr unter Druck.“

Die andere „Branding“-Meinung

Nur wenn man die Geschichte von Kodak studiert, dann war Kodak alles andere als zu spät am Markt. 1975 erfand Kodak die Digitalkamera. 1986 lancierte Kodak die erste kommerzielle Digitalkamera der Welt. 1990 entwickelte man die Foto-CD, um den Spagat zwischen analog und digital zu überbrücken. 1994 brachte Kodak die erste Digitalkamera unter tausend US-Dollar auf den Markt. Noch um die Jahrtausendwende war Kodak Weltmarktführer bei High-end-Digitalkameras.

Technologisch war Kodak vorne mit dabei. Nur das Branding war fatal. Aus Kundensicht war Kodak immer nur ein Fotofilmunternehmen, das nebenbei Digitalkameras angeboten hat. Das Problem: Viele Manager können oder wollen nicht erkennen, dass Bekanntheit und Position einer Marke zwei verschiedene Paar Schuhe sind.

Kunden- versus Managementsicht

Für Manager zählt bei Entscheidungen in der Regel die bekannte Marke. Typisches Argument: „Unsere Marke ist allseits bekannt und respektiert, deshalb macht es Sinn, dass neue Produkt unter unserer bekannten Marke einzuführen.“ Nur die Kundensicht ist anders: Kunden bevorzugen, wenn immer sie die Wahlmöglichkeit haben, das Echte und Wahre im jeweiligen Bereich.

Aus Managementsicht ist Google+ die perfekte Lösung. Aus Kundensicht ist Google+ nur das soziale Netzwerk von Google. Facebook ist das echte und wahre soziale Netzwerk. Aus Managementsicht ist Windows Phone die perfekte Lösung. Aus Kundensicht ist Android ist das Echte und Wahre bei offenen Smartphone-Betriebssystemen. Aus Managementsicht war MSN Search der perfekte Name für eine Suchmaschine. Aus Kundensicht ist Google das Echte und Wahre.

Die fatale Managementsicht von Kodak

Aus Managementsicht von Kodak war es immer nur logisch, dass eine Digitalkamera von Kodak, dem Erfinder der Digitalkamera Kodak heißen muss. Dabei übersah man nur zwei Punkte: (1) Die meisten Kunden wussten und wissen nicht, dass Kodak der Erfinder der Digitalkamera war. (2) Für die Kunden waren Kodak Digitalkameras immer nur die Digitalkameras eines Fotofilmproduzenten. Nichts Besonderes!

Die logische Lösung: Kodak hätte bereits in den 1990er-Jahren eine eigene Marke nur für die Digitalkameras entwickeln sollen. Damit hätte man zwar nicht den Niedergang des Fotofilms und der Marke Kodak verhindern können, aber man hätte heute eine zweite starke Marke im Konzern. Dies sollten viele (vor allem große) Unternehmen bedenken, die heute mit ihrer Hauptmarke am Zenit stehen. Das gilt heute etwa auch für Microsoft, Nokia, Thalia, oder auch Media-Markt/Saturn.

Über den Autor: Markenstratege Michael Brandtner ist der Spezialist für strategische Markenpositionierung in Rohrbach, OÖ, Associate im Beraternetzwerk von Al Ries und Autor des Buchs „Brandtner on Branding“.