BMW gegen Tesla: kein Angriff, sondern Verteidigung

Vor über einem Jahr schaffte Tesla etwas, das zuvor noch keinem Automobilhersteller gelungen war: 400.000 Vorbestellungen mit Anzahlung in einer Woche für das neue Mittelklassegefährt Model 3. Und das zu einem Zeitpunkt, als noch nicht einmal genau feststand, wie das Fahrzeug genau aussieht, oder welche technischen Daten es hat. Erst jetzt kündigt der erste deutsche Fahrzeugbauer an, zum Angriff auf Tesla zu blasen. In Wirklichkeit ist es kein Angriff, sondern eine Verteidigungsstrategie.
Jürgen Gietl

Die Investoren glauben längst mehr an Tesla als an die etablierten Autobauer. Zumindest lässt der derzeitige Börsenwert darauf schließen. Wie anders ist es zu erklären, dass Tesla mittlerweile mehr Wert ist als GM und nun auch mehr als BMW, dem weltweit führenden Premiumhersteller. Dass der Herausforderer weniger zu verlieren hat als der Etablierte, ist klar. Zu wichtig ist für BMWs derzeitige Rendite der Verkauf klassischer Automobile mit Verbrennungsmotor. 

Sollte man eine neue Idee mit einem verbesserten Produkt angreifen?

Was macht Tesla eigentlich so anders? Warum hat diese Marke in so kurzer Zeit eine solch hohe Anziehungskraft erzeugt? Eine Anziehungskraft, die sich BMW über Jahrzehnte hart erarbeiten musste. Dennoch erreichte BMW nie den Grad der Begehrlichkeit bei Kunden und Investoren, mit der Tesla bereits wenige Jahre nach seiner Gründung beeindruckt? Ja, Tesla überzeugt mit Elektroautos. Der eigentliche Wert der Marke aber besteht darin, eine neue Idee zu etablieren. Teslas will nachhaltigen Transport beschleunigen und die Kategorie „Elektromobilität“ besetzen statt nur Elektroautos zu verkaufen. Ob es BMW gelingt, Teslas Erfolg mit einem elektrogetriebenen BWM 3er aufzuhalten, scheint fraglich. Schließlich wurde der BWM Fahrzeug nicht für den Elektroantrieb konzipiert. Es bleibt also ein Kompromiss.

BMW „i“: Wo BMW drauf steht, muss auch Fahrfreude drin sein.

Im Jahr 2010 war BMW Vorreiter mit dem ersten elektrogetriebenen BMW i3 und einer Fahrgastzelle aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff. Dafür hatte man eigens die Submarke „i“ lanciert. Allerdings sind Kunden oft träger als Management-Entscheidungen. Auch wenn die Produkte mit einem „i“ in der Typenkennzeichnung versehen waren, der Kühlergrill trägt eine Niere und das BMW Logo und wird somit als BMW erkannt. Schnell wurde Kritik laut, das Fahrzeug fühle sich nicht an wie ein BMW und fährt nicht wie ein BWM. Denn die Idee mit der Submarke wirkte nur in den Köpfen der Marketingentscheider, nicht aber in den Köpfen der Kunden. Die nur sehr knapp bemessene Reichweite von rund 200 km im genormten Fahrzyklus ist angesichts der Reichweiten von Tesla mit rund 400 km ebenfalls nicht wettbewerbsfähig. Die Reihe ist bis heute nicht wirklich über den Status eines Versuchskaninchens hinausgekommen.

Tesla ist die Neugeburt der Fahrfreude

Das vielleicht wichtigste Marketing-Tool ist bei Tesla die Probefahrt. Ob Firmenfeier, Kundenevent oder Seminar: Fast überall können potentielle Kunden eine Probefahrt als Abenteuer-Incentive erleben. Und es gibt fast keinen Testpiloten, der nicht mit einem breiten Grinsen im Gesicht wieder aussteigt. Tesla hat Beschleunigung und Fahrfreude neu definiert. Selbst die Freude am autonomen Fahren ist groß, wäre da nicht die rechtliche Einschränkung auf deutschen Straßen. Wenn BMW seit Ende der 1960er Jahre bei einem Thema vorbildlich war, dann darin, den damals neu eingeführten Claim als Ausdruck der Markenpositionierung in den Produkten erlebbar werden zu lassen. Doch genau in diesem Punkt scheint Tesla den Nerv der Testfahrer zu treffen: Mehr Freude beim Beschleunigen geht fast nicht.

Bei BMW muss sich zuerst die Haltung ändern, dann die Produkte

Im vergangenen Jahr feierte BMW sein 100-jähriges Jubiläum unter dem Motto „The next 100 Years“. Was dabei nicht offensichtlich wurde, war eine echte neue Mission. Was ist BMWs Rolle auf dem Weg in die nachhaltige Mobilität? Wie will sich BMW mit dem größten Asset des Unternehmens, mit seiner Marke, neu erfinden? Wie soll sich „Freunde am Fahren“ auf ein Mobilitätsunternehmen übertragen lassen? All das ist im Moment nicht zu vernehmen.

Marken wachsen in der Regel durch Verdichtung, nicht durch Ausdehnung. Die Verdichtung auf „Freude“ hätte genügend Potential, BMW als Mobilitätsdienstleister eine passende Haltung zu verleihen. Auch als Mobilitätsanbieter ist BMW Vorreiter. ConnectedDrive, BMW Assist oder der gemeinsam mit Sixt gestartete CarSharing Anbieter DriveNow sind perfekte Beispiele dafür, dass BMW eigentlich schon auf dem Weg zum Mobilitätsanbieter ist. Im Moment wirken diese Services aber eher wie Verkaufsförderungsinstrumente der PKW-Sparte, nicht wie zentrale Produkte eines Mobilitätsanbieters der Zukunft. Nur wenn es der Unternehmensführung gelingt, den Mitarbeitern und Investoren eine Mission zu geben, welche die Produkte mit den führenden Mobilitätsdienstleistungen einzigartig kombiniert, wird BMW den Angriff von Tesla abwehren können.