Berichtspflicht: Der Omnibus kommt

Die EU will Bürokratie abbauen und Berichtspflichten lockern – doch viele Unternehmen sind alles andere als begeistert. Sie fürchten, dass ihre teuren Vorbereitungen umsonst waren.
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Mit dem Omnibus-Vorschlag soll die Berichtspflicht zur Nachhaltigkeit, die Sorgfaltspflichten und die Taxonomie einfacher gestaltet werden. (© Imago)

Es war mühsam und es hat Unternehmen viel Arbeit, Zeit, Geld und jede Menge Nerven gekostet, sich auf die – sagen wir mal vorsichtig – komplexen Berichtspflichten rund ums Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder EU-Richtlinien wie die Corporate Sustainability Reporting Directive, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive oder die EU-Taxonomie einzustellen. Und jetzt kommt ein Omnibus und macht (vielleicht) alles neu.

Der Prozess begann 2024, als in der deutschen Politik Stimmen laut wurden, man müsse das Lieferkettengesetz lockern oder gleich ganz aussetzen. Im November 2024 stellte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der „Budapester Erklärung zur Wettbewerbsfähigkeit Europas“ dann in Aussicht, Berichtspflichten zusammenzuführen und die Zahl der erforderlichen Datenpunkte zu reduzieren. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos kündigte sie erneut an, die Regularien zu vereinfachen und vergangene Woche legte sie schließlich den „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ vor.

Darin ist von einem Omnibus-Vorschlag die Rede. Mit dessen Hilfe sollen die Berichterstattung zur Nachhaltigkeit, die Sorgfaltspflichten und die Taxonomie einfacher gestaltet und der Verwaltungsaufwand für Unternehmen um mindestens ein Viertel, der für KMU um mindestens ein Drittel gesenkt werden. Weniger Bürokratie ist super. Zugleich ist die ganze Chose aber zum Haareraufen. Warum?

Unternehmen in Rage

Weil all die, die sich in den vergangenen Jahren akribisch auf die Berichtspflichten vorbereitet haben, jetzt in die Röhre gucken. „Noch ist unklar, welche Regelungen genau gekippt werden sollen. Sollte die Lieferkettenregulierung und Nachhaltigkeitsberichterstattung entscheidend abgeschwächt werden, drohen Unternehmen auf ihren Investments sitzen zu bleiben“, schreibt Katharina Reuter, Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft, auf LinkedIn und bei ESG.Table. Genau das bringt einige Unternehmen in Rage.

Bereits am 6. Januar wandten sich laut Bloomberg einige der größten französischen Firmen, darunter Amundi und Electricite de France, an die EU. Ihre Forderung: an den ESG-Regeln festzuhalten. Schließlich würden sie die Unternehmen auf ESG-Risiken vorbereiten und dafür sorgen, dass Unternehmen in „einer wettbewerbsfähigen globalen Wirtschaft gedeihen können“.

BMW und Stellantis lehnen ab

Eine ähnliche Interessenkollision zwischen EU und Unternehmen vollzieht sich laut n-tv auch in der Automobilindustrie: Ursula von der Leyen lässt derzeit einen Aktionsplan zur Unterstützung der Autoindustrie erarbeiten.

Während der Verband der Automobilindustrie unter anderem fordert, die EU möge den Autobauern bei der Berechnung der CO2-Emissionen entgegenkommen und zudem das doch für 2035 längst beschlossene Thema Verbrenner-Aus wieder zur Diskussion gestellt wird, tun Autobauer wie BMW und der Stellantis-Konzern mit seinen Marken Fiat, Peugeot und Opel was? Sie lehnen eine Aufweichung der EU-Regeln ab! Es ist vermutlich schon viel zu viel Geld geflossen und die Industrie hat sich gut darauf vorbereitet, die Ziele zu erreichen.

Risiken verschwinden nicht, weil Regulatorik verschwindet 

Bei aller Kritik an der Regulatorik zeigen auch Studien wie die Global CSRD Survey 2024 von PwC oder der CxO Sustainability Report von Deloitte, dass viele Unternehmen mittlerweile das Potenzial sehen, das die Berichtspflichten mit sich bringen: Wer seine Lieferketten gut kennt, macht sich resilienter. Wer über seinen Ressourceneinsatz Bescheid weiß, kann teils erhebliche Kosten sparen. Wer nicht gegen Menschenrechte verstößt, vermeidet Reputationsschäden (und ist schlicht wünschenswert anständig). Die Risiken verschwinden nicht, weil die Regulatorik verschwindet. 

Verstehen Sie mich nicht falsch: Die EU-Richtlinien sind monströs bürokratisch und es ist sehr wünschenswert, dass Unternehmen so wenig Zeit wie möglich mit Regulatorik verbringen müssen. Niemand hat etwas gegen Bürokratieabbau. Solange Inhalte und Ziele bleiben. Bei den hektischen Aktivitäten in der EU – wohl nicht zuletzt ausgelöst vom Rechtsruck im Europäischen Parlament und dem Wahlsieg Trumps – beschleicht einen aber doch der Verdacht, hier könnten sinnvolle und wichtige Regeln gekippt werden.
Über den Omnibus wird voraussichtlich am 26. Februar in Brüssel entschieden.

(vh, Jahrgang 1968) schreibt seit 1995 über Marketing. Was das Wunderbare an ihrem Beruf ist? „Freie Journalistin mit Fokus auf Marketing zu sein bedeutet: Es wird niemals langweilig. Es macht enorm viel Spaß. Und ich lerne zig kluge Menschen kennen.“