Anja Stolz und das „Gold-Nugget“ R+V Versicherung

Anja Stolz hat vor rund zwei Jahren die radikale Neuausrichtung der R+V Versicherung eingeleitet. Im Interview erklärt die Bereichsleiterin Marketing, was die wichtigsten Schritte auf ihrem Weg waren.
Emotionale Bilder prägen die Werbekampagne der R+V zum Marken-Relaunch. (© R+V)

Frau Stolz, Sie sind im März 2019 als neue Marketingchefin zur R+V gewechselt und haben direkt eine umfassende Neupositionierung der Marke auf den Weg gebracht. War Ihnen nicht mulmig dabei, direkt ein so dickes Brett zu bohren?

ANJA STOLZ: Ich bin natürlich heute noch dankbar, dass der Vorstand mir so viel Vertrauen geschenkt und Freiraum gegeben hat, es schon in meiner Probezeit anzugehen, die Marke neu zu positionieren. Die ersten 100 Tage habe ich dann dazu genutzt, mir die Stärken und Schwächen der Marke genau anzusehen. Entdeckt habe ich einen zwar etwas angestaubten, aber starken Markenkern. Allerdings lag die ungestützte Bekanntheit der Marke bei gerade mal elf Prozent. Von einer solchen Konstellation träumt eigentlich jeder Marketer: Man hat ein Gold-Nugget, aus dem man einfach etwas machen muss, das nach außen Wirkung entfaltet.

Wie kamen Sie auf die Idee, dabei das genossenschaft­liche Solidarprinzip in den Mittelpunkt zu stellen?

Einerseits, weil es nicht weit hergeholt ist, sondern in der Historie des Unternehmens, in unserer DNA liegt. Andererseits haben mein Team und ich uns die Wettbewerber angesehen und erkannt, dass das Thema Purpose unbesetzt war. Dazu kam, dass auch schon vor Corona der Zeitgeist für diese Positionierung sprach. Während der Coronakrise ist die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts dann sogar noch wichtiger geworden, was uns nur bestätigt hat.

Aber man lehnt sich als kommerzielles Unternehmen weit aus dem Fenster, wenn man sich mit dem Claim „Du bist nicht allein“ so deutlich zur Solidarität bekennt. Gab es intern Bedenken?

Natürlich, weil der Schritt tatsächlich weitreichende Konsequenzen für das gesamte Unternehmen hat. Da hieß es dann: Müssen wir so klare Kante zeigen, so lautstark, so selbst­bewusst? Ich habe von Anfang an betont, dass wir nicht nur schöne Bilder zeigen können, sondern das Versprechen auch auf jeder Ebene erfüllen müssen. Und dass die R+V damit auch polarisiert.

In welchen Bereichen kann es besonders knirschen?

Auf vielen Ebenen, zum Beispiel auch beim Kunden. Der Claim „Du bist nicht allein“ bedeutet nicht, dass wir als Versicherung selbstlos sind. Wir können nicht einfach alle Schäden bezahlen, die nicht versichert sind. Und wir werden auch weiterhin, etwa im medizinischen Bereich, Leistungen ausschließen müssen oder Kunden ablehnen. Denn „Du bist nicht allein“ heißt eben auch, dass wir für unsere Versichertengemeinschaft ökonomisch verantwortlich sind.

Anja Stolz: „Das Solidarprinzip liegt in unserer DNA.“ (Foto: R+V)

Wie beweist die R+V denn, dass sie sich stärker kümmert als andere Versicherer?

Zum Beispiel durch schnelle Hilfe oder auch Kulanz. Wir wollen näher bei den Menschen sein. Das heißt im Schadensfall etwa auch schnelle Soforthilfe ohne aufwendige Prozesse. Das heißt aber auch besondere Leistungen. Wir haben zum Beispiel den Betroffenen des Hochwassers umgehende Soforthilfe ausbezahlt und zugleich auf eigene Kosten eine Bergungsfirma organisiert, um die Kommunen bei den Aufräumarbeiten zu unterstützen.

Wie wurde die emotionale Werbekampagne zum Marken-Relaunch intern aufgenommen?

Die große Nagelprobe war die Präsentation bei einer Vertriebsveranstaltung mit mehr als tausend Kolleginnen und Kollegen. Davor hatte ich schon etwas Muffensausen. Aber dann sah ich teilweise Tränen in den Augen. Ein Vertriebler hat mich nach der Präsentation einfach gedrückt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter identifizieren sich mit der Kampagne – und das macht letztlich Marke aus.

R+V wurde beim Marken-Award 2021 in der Kategorie „Bester Marken-Relaunch“ ausgezeichnet.

(kj, Jahrgang 1964), ewiger Soul- und Paul-Weller-Fan, hat schon für Tageszeitungen und Stadtmagazine gearbeitet, Bücher über Jugendkultur und das Frankfurter Bahnhofsviertel geschrieben und eine eigene PR-Agentur betrieben. 1999 zog es ihn aus dem Ruhrgebiet nach Frankfurt, wo er seitdem über Marketing-, Medien- und Internetthemen schreibt, zunächst als Ressortleiter bei „Horizont“, seit 2008 als freier Journalist und Autor. In der Woche meist online, am Wochenende im Schrebergarten.