Wann ist man eigentlich alt? Fragt man die KI, bekommt man gleich mehrere Antworten auf einmal: Ab etwa 60 spricht man laut ChatGPT aus medizinischer Sicht von einem „älteren Menschen“, in der Arbeitswelt beginne „alt“ oft ab 50. In der Werbung ist es noch schlimmer. Laut KI würden Menschen hier meist ab 40 oder 50 als „nicht mehr jung genug“ angesehen. Doch der virtuelle Chatpartner hat auch eine gute Nachricht: „Alt“ sei heute nicht mehr das, was es mal war.
Das Ende des Jugendwahns? Nicht ganz – doch es gibt Anzeichen dafür, dass Unternehmen die Zielgruppe 50plus zunehmend für sich entdecken: So startete Miss Pompadour Anfang des Jahres mit TV-Spots durch, um auch diejenigen zu erreichen, die die DIY-Marke noch nicht aus den sozialen Netzwerken kennen, nämlich die Älteren.

Auch der Modehändler Witt positioniert sich ausdrücklich als Partner der 50- bis 65-jährigen Frauen – und hat dafür eine 360-Grad-Kampagne umgesetzt. Sie bringt gut auf den Punkt, dass die Zielgruppe nicht den ganzen Tag im Lehnstuhl sitzt, sondern vieles leistet, gebraucht wird und auch mal eine Auszeit benötigt. Die Kampagne basiert auf den Ergebnissen der Studie „So liebt und lebt die Generation 50plus“, die das Rheingold Institut für die Witt-Gruppe durchgeführt hat und die zeigt: Was den Menschen über 50 wichtig ist, ist Lebendigkeit, Experimentierfreude und Verwandlungsbereitschaft. „Der zunehmende demografische Wandel führt dazu, dass ältere Bevölkerungsgruppen immer relevanter werden. Während alle über die Generation Z reden, konzentrieren wir uns daher auf die Generation 50plus”, sagt Patrick Boos, Vorsitzender der Geschäftsführung der Witt-Gruppe.
Unternehmen hören auf, die ältere Zielgruppe zu ignorieren
Auch die österreichische Biermarke Gösser zeigt im neuen Spot „Gut. Besser. Gemeinsam“ ältere Generationen, die selbstverständlich gemeinsam mit jungen Leuten am fröhlichen Beisammensein teilnehmen. Berentzen ist nach langer Pause auf den TV-Bildschirm zurückgekehrt und wendet sich dort explizit an diejenigen, die die Spirituose noch aus der Jugend kennen („Wenn aus 72 wieder 27 wird.“).
Nils Giese, CEO von Edelman, nennt das ein „vorsichtiges Erwachen“: „Die Realität holt viele Marken gerade ein. Sie erkennen, dass sie mit einer reinen Gen-Z-Strategie nicht mehr weiterkommen.“ Das heißt, die Unternehmen hören auf, die Zielgruppe zu ignorieren. Und die wird immer größer: Schon jetzt machen die 40- bis 59-Jährigen die größte Altersgruppe in Deutschland aus, ein Viertel der Weltbevölkerung ist heute über 55.
Der Vorteil: „Diese Generation nutzt Social Media, investiert in ihre Gesundheit, probiert Neues aus und verfügt über eine enorme Kaufkraft“, sagt Giese. Eigentlich genau das, was sich Marketingverantwortliche wünschen. Aber: Nur 5 bis 10 Prozent der Budgets richten sich an diese Zielgruppe. Warum eigentlich? „Die Gleichung ‚jung = relevant‘ steckt tief in unserer Marketing-DNA“, sagt Giese, der sich mit dem „Longevity Lab“ von Edelman und dem National Innovation Centre for Ageing (NICA) dafür einsetzt, alte Denkmuster zu durchbrechen, um ein neues Mindset zu etablieren.

Demografischer Wandel nächstes großes Transformationsthema
Das möchte auch Detlef Arnold, der im Sommer seine eigene Markenberatung G50 Unleashed eröffnet. Sein Motto: „Das Wirtschaftswunder beginnt mit den 50ern!“ Der ehemalige Geschäftsführer von Scholz & Friends, Heye DDB und Saint Elmo’s, der kürzlich selbst seinen 60. Geburtstag feierte, kennt das Problem: „In Kundenbriefings geht es meist um die Markenverjüngung.“ Das sei auch richtig und wichtig, doch „rein numerisch müssen sich Unternehmen jetzt darauf konzentrieren, das Markenleben zu verlängern.“ Für Arnold ist der demografische Wandel das nächste große Transformationsthema – nach Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Entziehen kann sich also niemand, doch bis das auch im Marketing normal ist, ist es ein langer Weg.
Während junge Menschen in Communitys und Subkulturen unterteilt werden und es dafür sogar eigene Agenturen gibt, sind Konsumentinnen und Konsumenten ab 50 einfach alle gleich. „Eintopfstrategie“ nennt es Arnold; ab 50 landet man also im selben Zielgruppen-Topf wie die eigenen Eltern – mit Stereotypen, die auf große Schrift stehen, einfache Sprache und Anzeigen in der Tageszeitung. Was es stattdessen brauche, seien emotionale Tiefe und ein Storytelling, das die Menschen in ihren Werten adressiere, findet Arnold.
„Nicht das Alter ist entscheidend, sondern die Bedürfnisse und der sozio-kulturelle Kontext“, sagt auch Nils Giese. „Ältere Konsumenten erwarten heute das Gleiche wie Jüngere: relevante Inhalte, intuitive digitale Erlebnisse, klare Haltung und echten Mehrwert. Sie sind auf Social Media aktiv, nutzen Plattformen wie YouTube, Facebook, Instagram – und zunehmend auch LinkedIn und TikTok.“
Nur 5 Prozent der Kreativen sind über 50
Ein Problem liegt auch in der Branche selbst: Nur etwa fünf Prozent der Kreativen in der Auftragskommunikation sind über 50. Wie kann ein 25-Jähriger Werbung für 60-Jährige machen, die die Zielgruppe emotional berührt und mit den richtigen Insights spielt? Mit dem ADC Future Diversity Age setzt sich der ADC dafür ein, Altersdiskriminierung zu überwinden und die Vielfalt der Lebensphasen in der Kreativwirtschaft zu wertschätzen und zu feiern. Ein wichtiger Schritt, der nicht nur das Verständnis für ältere Konsumenten in der Kommunikation stärken wird, sondern auch deren Relevanz auf dem Arbeitsmarkt.

Ob Gen Z, Gen X, Boomer oder 50plus: Am Ende geht es um Menschen mit eigenen Emotionen, Werten und Bedürfnissen. Und die sind oftmals gar nicht so verschieden: Gefragt nach der größten Überraschung der diesjährigen Best Brands-Studie, nannte Petra Süptitz, Syndicated Solutions Leader DACH bei NIQ/GfK, in einem Interview mit der absatzwirtschaft die vielen Gemeinsamkeiten der Gen Z und älterer Zielgruppen. „Die Generationen liegen gar nicht so weit auseinander, wie viele oft denken.“
Beide seien relevant, „es ist kein ‚oder‘, sondern ein ‚und‘, findet auch Edelman-CEO Giese. „Beide haben viel gemeinsam und sind eigentlich Brüder und Schwestern im Geiste, wenn es um Wert und Einfluss geht. Und beide stecken in einem Alters-Dilemma: Die Gen Z wird gezwungen, schnell erwachsen zu werden und die Generation 50plus wird gezwungen, wieder jung zu sein.“
Bild-KI bedient Stereotype in der Generationenfrage
Und wie sieht es die KI? Gebeten um ein Bild eines Paares über 50 für eine Werbeanzeige, generiert das Tool Canva selbstbewusst eine Auswahl lächelnder, hell gekleideter Rentner. Er und sie natürlich beide mit praktischem Kurzhaarschnitt in Grau.
Als das Tool ein Bild eines Gen Z-Paares erstellen soll, wird es plötzlich divers, ein bisschen crazy und vor allem: bunt. Wie gut, dass immer mehr Unternehmen auch für die Generation 50plus endlich Farbe bekennen.


