Zukunft der Werbung: EU-Medienhäuser vs. Big Tech

Um die Abhängigkeit von Big-Tech-Werbeplattformen wie Google, Meta und Amazon zu verringern, müssen sich europäische Anbieter etwas einfallen lassen. Technologische Zusammenarbeit kann eine Lösung sein.
header-tt-newsletter-kw-9-24_c_Unsplash
Im digitalen Werbe-Tagesgeschäft sind viele Player bestrebt, ihre Abhängigkeit von Big Tech zu reduzieren. (© Unsplash)

Europa muss unabhängiger von Amerika werden – diese Forderung hört man dieser Tage oft, wenn es um die militärische Verteidigungsfähigkeit geht. Doch auch im Bereich der Werbetechnologien hängt hierzulande vieles von den USA ab. Google, Meta, Apple, Amazon und andere Tech-Giganten haben Werbe-Imperien aufgebaut, an denen Marketer nicht vorbeikommen und von denen viele Werbetreibende und Anbieter mittlerweile abhängig sind.  

Die EU versucht bereits gegenzusteuern und hat mit dem Digital Markets Act (DMA) und dem Digital Services Act (DSA) zwei starke Pflöcke eingeschlagen, mit denen die Macht der großen Plattformen begrenzt werden kann. Auch im digitalen Werbe-Tagesgeschäft sind viele Player bestrebt, ihre Abhängigkeit von Big Tech – insbesondere von Google – zu reduzieren. Im Bereich des Digital Advertising spricht die Technologie-Branche in diesem Zusammenhang gern von den Walled Gardens – wie sie Google und Facebook zelebrieren – einerseits, und dem Open Web andererseits.  

RTL und ProSiebenSat.1: Wettbewerber arbeiten technologisch zusammen

Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund jetzt eine gemeinsame Ankündigung von RTL Deutschland und ProSiebenSat.1. Die beiden Sendergruppen wollen künftig eng im Bereich der Werbetechnologien kooperieren und damit die Unabhängigkeit von US-Tech forcieren. Die Medienhäuser verknüpfen die Angebote und Leistungen der konzerneigenen Technologie-Unternehmen miteinander, um Werbekunden übergreifende Werbekampagnen über die Plattformen beider Partner zu ermöglichen – vom linearen TV, über Werbung auf SmartTVs bis hin zu Kampagnen auf den Streaming-Plattformen der Sender.  

Davon dürften alle Beteiligten profitieren: Über den künftig durchgängigen Technologie-Stack können Advertiser ihre Kampagnen einfacher planen, buchen und ausspielen. Außerdem werden erstmals digitale und lineare Bewegtbildreichweiten technologisch verknüpft und mit übergreifenden Daten in der Ausspielung optimiert. Lineares TV wird damit programmatisch breit verfügbar. Ein Gesamtpaket, das die Attraktivität der Werbeangebote der Sender erhöhen dürfte.

Kooperation als starkes Signal an die Werbebranche

Künftig sollen sich Kampagnen im Addressable TV (ATV), Connected TV (CTV) und linearem TV konvergent messen und perspektivisch auch buchen lassen, so das Versprechen der Medienhäuser. Dazu werden einzelne Technologiekomponenten der Adtech-Beteiligungsgesellschaften von RTL Deutschland und ProSiebenSat.1 technisch miteinander verknüpft, insbesondere die Technologien von Smartclip auf Seiten von RTL Deutschland und Virtual Minds auf Seiten von ProSiebenSat.1.

Bereits in der zweiten Jahreshälfte sollen Schnittstellen geschaffen werden, die erste gattungsübergreifende Kampagnen auf den Inventaren der Vermarkter Ad Alliance und Seven.One Media ermöglichen. Nach dem Start in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist eine zügige Expansion ins europäische Ausland vorgesehen. Diese Kooperation zweier konkurrierender Medienhäuser kann als ein starkes Signal an die gesamte Werbebranche gewertet werden und ist – wie ich finde – auch ein echtes Ausrufezeichen für die Möglichkeiten europäischer Werbetechnologien.  

Schon gehört? 

Während hierzulande die Budget-Gürtel oft enger geschnallt werden, sind Marketing-Verantwortliche in Großbritannien überaus optimistisch.  Einem Bericht der Marketing Tech News zufolge, planen mehr als 70 Prozent der britischen Marketing-Chefs in diesem Jahr ihre digitalen Budgets zu erhöhen. Die Werbegelder dürften wahrscheinlich auch in vergleichsweise junge Kanäle fließen. So geht das Fachmagazin Exchange Wire davon aus, dass europäische Advertiser insbesondere wegen der Abschaffung der Drittanbieter-Cookies verstärkt Kampagnen im Connected-TV (CTV) schalten werden. Gleichzeitig investiert der Markt in Maßnahmen, um die CO2-Emissionen zu reduzieren.  

Diese Erkenntnisse liefert ein aktueller Report, den Exchange Wire gemeinsam mit dem Tech-Anbieter OpenX veröffentlicht hat. Doch auch in Sachen CTV ist noch nicht alles Gold was glänzt: Aktuelle Untersuchungen des europäischen Digitalverbandes IAB und des Tech-Anbieters Double Verify zeigen, dass CTV ein Transparenz-Problem hat. Nur 30 Prozent der Werbetreibenden und Publisher haben vollständige Transparenz darüber, wo Anzeigenplatzierungen erscheinen. Hier ist also noch deutlich Luft nach oben. 

Übrigens: In Sachen Künstlicher Intelligenz ist das Ende der technologischen Fahnenstange ebenfalls noch lange nicht erreicht. Mit Sora könnte OpenAI nun einen ganz großen Coup landen und sogar die Filmindustrie aufmischen. Das neue Text-To-Video Model bietet schon jetzt beeindruckende Video-Sequenzen. Noch ist es nur für ausgewählte Kreative zugänglich – aber theoretisch könnte damit jeder zum Spielfilmregisseur werden. 

In diesem Sinne. Bleiben Sie inspiriert! 

(kaz) ist Fachjournalist für digitales Marketing. Seit Mitte der Nullerjahre begleitet er mit seinen Artikeln die rasanten Entwicklungen der Online-Werbebranche. Der Maschinenraum der Marketing-Technologien fasziniert ihn dabei ebenso wie kreativ umgesetzte Kampagnen. Der freie Autor lebt und arbeitet in Berlin.