Wikipedia: Fluch oder Segen für die Unternehmenskommunikation?

Wenn wir "mal eben etwas googlen", dann bedeutet das oft, bei Wikipedia nachzuschlagen. Aber welche Rolle spielt die Plattform eigentlich für die Unternehmenskommunikation?
Mehr als 200.000 Unternehmen weltweit verfügen über einen eigenen Wikipedia-Eintrag. (© Unsplash)

Im Rahmen der Plattformgründung 2001 formulierte der Mitbegründer Jimmy Wales das Ziel des Projekts, „eine frei lizenzierte und hochwertige Enzyklopädie zu schaffen und damit lexikalisches Wissen zu verbreiten“. Seither wird Wikipedia von der US-amerikanischen Non-Profit-Organisation Wikimedia Foundation in San Francisco unterhalten.

Und die erreichten Zahlen können sich durchaus sehen lassen: Wikipedia belegte Anfang 2022 weltweit den 14. Platz der meistbesuchten Webseiten, deutschlandweit schaffte Wikipedia es sogar auf den siebten Platz. Die Reichweite der Online-Enzyklopädie ist also unbestritten und der inhaltliche Facettenreichtum ist es auch: Mehr als 58 Millionen Artikel stellt die Plattform in mehr als 300 Sprachen bereit.

Wikipedia: Qualitätssicherung wird oft kritisiert

Anders als andere Webseiten rühmt Wikipedia sich damit, den Zugang zum Autorendasein zu erleichtern und das eigene Wissen jederzeit mit anderen Nutzer*innen teilen zu können. Was eine rasche Verbreitung von Informationen begünstigen soll, steht nicht ganz zu unrecht auch häufig in der Kritik, wenn es um Fragen der Qualitätssicherung geht.

Grundsätzlich ist es nämlich allen Privatpersonen erlaubt, Artikel auf Wikipedia zu erstellen, zu verändern oder zu löschen. Nicht nur im akademischen Kontext gilt Wikipedia deshalb nicht als zitierfähige Quelle. Zwar sind alle Nutzer*innen dazu angehalten, bei ihrer Arbeit den in der Wikiquette festgelegten Richtlinien Folge zu leisten, dennoch gibt es für das Erstellen von Beiträgen keine festen Kriterienkataloge.

(Falsch)-Informationen können sich halten

Fatal ist es, dass ein sicherer Faktencheck mit Blick auf die Veröffentlichung falscher Anschuldigungen oft ausbleibt. Wikipedia selbst gibt in seinen Richtlinien an, wie mit Falschinformationen umzugehen ist: „Empfindet ein Benutzer ein Thema als ungeeignet oder einen Artikel als dem Thema nicht angemessen, kann er einen Löschantrag stellen, über den anschließend alle Interessierten diskutieren.“ Es gibt also durchaus Möglichkeiten, sich über fehlerhafte Angaben in Wikipedia-Einträgen hinwegzusetzen – dennoch aber unter der Beschränkung, dass andere Interessierte an der Entscheidung teilhaben können, ob und wie schnell ein Eintrag bei Wikipedia tatsächlich gelöscht wird. Selbst wenn die eingepflegten Informationen nachweislich fehlerhaft sind, ist eine Löschung von Inhalten also nicht garantiert.

Sichtbarkeit auf Wikipedia ist also ein zentraler Punkt der öffentlichkeitswirksamen Kommunikation von und über Unternehmen. Für diese kann es jedoch auch schnell zum Problem werden, wenn kritische Stimmen mit (korrekten oder auch fehlerhaften) Informationen via Wikipedia beinahe unkontrolliert an die Öffentlichkeit treten. Besonders wegen seiner große Reichweite bleiben negative Ereignisse unvergessen: Wer beispielsweise in zehn Jahren den Wikipedia-Eintrag über die Tönnies Holding liest, weil er überlegt, sich dort zu bewerben, der wird auch dann noch an die Skandale der letzten Jahre erinnert. Wikipedia kann also einen großen Einfluss auf das Employer Branding von Unternehmen bewirken.

Werbung auf Wikipedia: Der Fall „The North Face“

Der niederschwellige Zugang zu Wikipedia mag Unternehmen und Marken sogar dazu verleiten, sich selbst positiv darstellen zu wollen und die Plattform für eigene Werbezwecke zu nutzen, obwohl die Wikipedia-Richtlinien aktive Werbung verbieten. In diesem Zusammenhang brachte es The North Face zur traurigen Berühmtheit.

Im Jahr 2019 beauftragte der Hersteller von Outdoorkleidung die Werbeagentur Leo Burnett damit, Wikipedia zur Produktplatzierung zu nutzen. Die Agentur hatte es sich zur Aufgabe gemacht, bestehende Bilder zu verschiedenen Beiträgen zu touristischen Zielen und landschaftlichen Kulissen durch neue Bilder zu ersetzen, auf denen die abgebildeten Personen Kleidung der Marke The North Face trugen, um die jeweiligen Produktbilder in der Google-Suche zu pushen. Als dieses Vorgehen aufflog und mediale Aufmerksamkeit generierte, erfuhr The North Face das Gegenteil von dem, was man hatte erreichen wollen: einen saftigen Shitstorm, ausgelöst durch die Nutzung von Wikipedia. The North Face entschuldigte sich öffentlich und versprach, solche Vorkommnisse zukünftig zu unterlassen.

Wikipedia und Krisenkommunikation

Unternehmen und Marken sollten daher immer darauf bedacht sein, die eigenen Wikipedia-Einträge regelmäßig zu lesen und auf Updates und Ergänzungen zu prüfen. Und mehr noch: besonders bekannte Unternehmen sollten Strategien entwickeln, wie zu handeln wäre, wenn über Wikipedia tatsächlich unternehmenskritische Informationen verbreitet werden.

In Abhängigkeit davon, ob die bereitgestellten Kritikpunkte der Wahrheit entsprechen oder rufschädigende Falschinformationen enthalten, sollte dann die Krisenkommunikation des Unternehmens ausgerichtet werden. Denn aus Unternehmenssicht kann die Kombination aus niederschwelliger Veröffentlichung und verzögerter Löschung von fälschlichen Informationen durchaus gefährlich werden.

(nh, Jahrgang 1997) ist seit April 2022 Werkstudentin in der Redaktion der absatzwirtschaft. Ein Praktikum beim Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier hat sie bereits in der Tasche, der Masterabschluss in Medien- und Kommunikationswissenschaften ist das nächste Ziel.