Teil 1: Licht an für die Automatisierung! Licht aus für die Kreation?

Programmatische Werbung – das verbindet jeder sofort mit Technologie, garantiert aber nicht mit kreativer Schöpfung. Doch sind Kreation und unbeseelte Daten wirklich unverträglich oder eröffnet ihre Konfrontation durch Programmatic Creation neue Chancen?

Werbung für pinke Pumps, obwohl ich schwarze suche, dann wieder und wieder das gleiche Kleid, das ich schon längst gekauft habe und – als hätte sich meine Mimik nicht bereits genug verfinstert – landet das gefühlt tausendste Mal ein 20-Prozent-Gutschein einer namhaften Bekleidungsfirma in meinem E-Mail-Postfach. Muss das sein?

Programmatic Advertising – das neue Betriebssystem der Werbung

Wir leben im digitalen Zeitalter, womit man meinen sollte, schlechte Digitalwerbung gehöre vergangenen Zeiten an. Leider ist dem nicht so. Sinnfreies Retargeting steht weiter hoch im Kurs. Und das, obwohl Unternehmen auf Unmengen wertvoller Daten thronen. Doch wie sollen sie ihre Kunden individualisiert mit kreativer Werbung zur rechten Zeit am rechten Ort erreichen? Laut der Strategieagentur Diffferent gibt es hier nur eine Lösung: Programmatic Advertising. Die Strategen erstellten im Auftrag von Google das Whitepaper „The Programmatic Giant“ und skizzieren, warum Programmatic Advertising zum „neuen Betriebssystem von Werbung“ wird und wie weit fortgeschritten der Prozess bereits ist. Gegenwärtig sei die erste Entwicklungsstufe Programmatic Online Buying, also die automatisierte Buchung von Online-Werbeinventar, bereits Realität, und auch die zweite Stufe – Programmatic All-Media Buying – befinde sich in vollem Gange. Hier „vergrößert Programmatic Buying seinen Einflussbereich über den Browser hinaus und wird zum Standard für das Media Buying fast aller Touchpoints“. Voraussetzung dafür sei, dass die Kanäle digitalisiert, klassifiziert und mit programmatischen Plattformen verbunden werden. Radio werde beispielsweise zunehmend zu Webradio, Fernsehen entwickele sich in Richtung IPTV, und Außenwerbung bekomme digitale Ergänzungen.

Programmatic Creation – Kreation aus dem modularen Baukasten

Besonders spannend, vor allem für die Kreativbranche, wird es ab Stufe drei namens Programmatic Creation. Hier sind nicht mehr nur Mediaplanung und -schaltung programmatisch, sondern auch Strategie und Kreation. Die Strategie in Form von Tools wie Algorithmen, die datengetriebene Zielgruppensegmentierungen in Echtzeit ausführen. Die Kreation in Form von frei kombinierbaren Modulen. Das klingt erst einmal abstrakt, ist aber logisch: Dadurch, dass eine sehr hohe Datenmenge über die Menschen vorliegt und sie an fast allen Touchpoints identifizierbar sind, werde Werbung – so die Vision – modular. Das heißt: „Botschaften, Inhalte und Tonalität werden frei kombinierbar angelegt und anschließend von intelligenten Softwaresystemen an den Touchpoints adressatengerecht zusammengesetzt.“ Folgende Grafik veranschaulicht dies.

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Funkkampagne von Das Örtliche

Dass programmatische Kreation langsam Einzug in Deutschland findet, zeigen die Beispiele einiger Unternehmen. So wirbt unter anderem Das Örtliche mit einer programmatischen Audiokampagne für seine App. Hierfür spielt der Rufnummern- und Adress-Suchdienst zehn verschiedene Spots über Digitalradios an die dazu passenden Zielgruppen vermarkterübergreifend aus. Das können beispielsweise Sportbegeisterte sein, die sich gerade in einem Sportgeschäft befinden, oder Tierliebhaber in einem Zoo. Die Vorteile gegenüber der herkömmlichen Vermarktung sieht das Unternehmen vor allem in der Treffsicherheit: „Das Örtliche hat eine insgesamt sehr breite Zielgruppe. Bei begrenztem Budget ist es wichtig, diese treffsicher mit relevanten Botschaften anzusprechen und möglichst wenige Streuverluste zu generieren. Im klassischen Audiobereich sprechen wir die Hörer beispielsweise über unterschiedliche Motive auch unterschiedlich auf den jeweiligen Sendern an“, sagt Pressesprecher Daniel Wurl. Dennoch seien die Möglichkeiten hier begrenzt. „Die Aufteilung in eng definierte Teilzielgruppen in Kombination mit dem Ansatz einer programmatischen Audiokampagne führt diesen Ansatz konsequent fort und gibt uns den Vorteil, noch zielgerichteter den passenden Spot an die passende Person auszuspielen“, so Wurl. Um die Zielgruppen zu finden, hat Das Örtliche sowohl Nutzerstandort- als auch Haushaltsdaten miteinbezogen, wodurch Teil-Zielgruppen bereits sehr gut abgegrenzt werden konnten. „Für die erste vermarkterübergreifende Kampagne im programmatischen Audiobereich war das ein toller erster Aufschlag, den wir in nächsten Kampagnen natürlich noch weiter optimieren möchten.“

Viele Spots gleich viel Aufwand?

Doch bedeuteten so viele Spots nicht auch eine Menge Mehraufwand? Die zuständige Agentur Butter muss es wissen, sie hat die Spots kreiert. Als Orientierung halfen dabei Themen und Zielgruppen. Darauf aufbauend wurden im Nachhinein passende Orte ausgewählt. „Der Aufwand ist durchaus höher gewesen, da es sich um eine Funkkampagne handelt, die individuelle Geschichten innerhalb einer Mechanik erzählt. Heißt: Wo man vorher drei Spots mit drei Geschichten geschrieben hätte, die auf den Radiokanälen rotiert wären, schreibt man nun eben so viele Geschichten, wie man Zielgruppen beziehungsweise Themen definiert hat. Also: Mehr Zielgruppen/Themen = mehr geforderte Spots = mehr geforderte Kreation“, sagt Elmar Gerlach, Kreativdirektor bei Butter. Hinzu komme natürlich auch mehr Produktionsaufwand wie Sprecher, Musik, Studiozeit oder Buy-Outs. „Den Kreativprozess stört es nicht, solange das von Beginn an gebrieft wird. Dann werden sich die jeweils entstandenen Ideen auch daran messen lassen müssen. Und die Idee, die die Aufgabe am besten und kreativsten löst, gewinnt. Also, aus Sicht der Kreation also alles wie immer“, sagt Gerlach mit einem Augenzwinkern. Wie gut die Ideen waren, zeigt die Kampagnenauswertung. Im Vergleich zu anderen Online-Audio-Kampagnen habe Das Örtliche eine um 138 Prozent bessere Click-through-Rate erreicht und die Conversion um 25 Prozent steigern können. „Das zeigt uns, dass wir die Zielgruppe besser erreichen, da die Spots für die Hörer eine höhere Relevanz haben“, sagt Wurl. Realisiert wird die Kampagne von der Publicis gehörenden Mediaagentur Zenith.

Tchibo entfaltet sich programmatisch auf Facebook

Um die Bekanntheit seines neuen Black-‘n-White-Kaffees sowie die Verkäufe und Besuche in den Geschäften zu steigern, entschied sich unter anderem Tchibo für eine personalisierte Werbekampagne auf Facebook, die einem „Musterbeispiel für Programmatic Creativity“ gleicht, so Oliver Busch, Head of Agency DACH, Facebook. Zur Einführung der neuen Marke erstellte der Kaffeespezialist in Zusammenarbeit mit der Digitalagentur Oddity eine Reihe individueller Videos und spielte diese an sieben verschiedene Zielgruppensegmente auf Facebook aus. „Die Segmente orientieren sich an den Lebensrealitäten der verschiedenen Zielgruppen. Sogenannte Fun Hunters beispielsweise wollen durch Kaffee vor allem mehr Energie, wohingegen Naive Dreamers den Genuss schätzen“, erklärt Busch. Basierend auf diesen Insights wurden die Kreationen auf die unterschiedlichen Zielgruppen abgestimmt. Dabei sei die Ansprache auf Facebook sequenziert abgelaufen. „Zuerst sahen die Menschen das für sie passende Video und anschließend eine ebenso auf sie zugeschnittene Karussell-Anzeige (Carousel), die sie mit der Marke vertraut macht. Die starke Kombination aus individuell erstellten Ads und eines wirkungsvollen Kampagnenaufbaus machte die Kampagne für Tchibo zu einem großen Erfolg. Die Werbeerinnerung konnte um 16 Punkte gesteigert werden bei einem von der GfK gemessenen 1,3-fachen Return on Ad Spend.“ Zudem sei ein 2,5-facher Anstieg des Kaufvolumens pro Haushalt gemessen worden.

Nestlé Purina zieht nach

Nestlé Purina geht ähnlich wie Tchibo vor. Das Unternehmen will sein neues Katzenfutterprodukt, Felix Sensations Extra, bekannt machen und seine – nach eigenen Angaben – Position als „Katzenfuttermarke Nummer eins“ weiter stärken. Für die Einführung des neuen Produkts wurde in Zusammenarbeit mit der Agentur Zehnith Optimedia und Facebook eine Kampagne erarbeitet, die Katzenliebhaber in ganz Deutschland persönlich anspricht. Es wurden fünf Segmente von unterschiedlichen Katzenhaltern erstellt, zum Beispiel Modern Ying Yangers, die ihre Katzen für ihre Unabhängigkeit lieben, oder Sentimental Kitschy Mainstreamers, die ihren Katzen ihnen ähnliche Persönlichkeitszüge zuschreiben. Basierend auf diesen fünf Segmenten wurden fünf unterschiedliche Ausführungen erstellt, um sicherzustellen, dass die Kampagne natürlich in die News Feeds der Zielgruppen eingebunden wird und deutschen Katzenliebhabern einen echten Mehrwert bietet. Der Erfolg: 383-prozentige Steigerung der Werbeerinnerung, 89-prozentige Steigerung der Marken- beziehungsweise Produktbekanntheit, 60-prozentiger Anstieg der Top-of-Mind-Awareness bei Frauen und 120-prozentige Umsatzsteigerung.

Im zweiten Teil fragen wir uns: Ist Programmatic Creation Unheil oder Chance? Was bedeutet die Technologie für die Kreativschaffenden?