Neugeschäft mit System: Zu ungepflegter Kleidung gibt es kein Feedback

Der erste Eindruck ist ein Vertriebsinstrument, das in Deutschland äußerst stiefmütterlich behandelt wird. Man möchte schließlich durch Kompetenz überzeugen, nicht durch Oberfläche. Nette Idee. Dumm nur, dass die meisten Menschen furchtbar oberflächlich sind
Christian Haimerl ist Experte für Neugeschäft

Von Gastautor Christian Haimerl

Die Gründe dafür liegen tief in unserem Erbgut verankert und stammen aus einer Zeit, als wir bei Gefahr in der Lage sein mussten, binnen Millisekunden zu entscheiden, ob wir zu einer Sippe gehören oder nicht. Wer das nicht konnte und sich dummerweise falsch entschied, der wurde entweder verstoßen oder verspeist. In jedem Fall aber war er oder sie danach nicht mehr in der Lage, Erbgut an die nächste Generation weiterzugeben. Wir sind somit Nachfahren von Menschen, die bei jeder neuen Begegnung per Ersteindruck innerhalb von Millisekunden die Freund-oder-Feind-Frage beantworten mussten. Gott sei Dank werden wir heute im Zweifelsfall nicht mehr gefressen, sondern nur noch verstoßen, beziehungsweise abgelehnt. Die entscheidende Frage lautet entsprechend auch nicht mehr „Freund oder Feind“, sondern „sympathisch, zuverlässig, kompetent“? Wohl dem, der diese Kriterien ausstrahlt, denn genau der steht durch seinen ersten Eindruck schon ´mal einen Startblock weiter vorn.

Wer dagegen spontan als unsympathisch, unzuverlässig und inkompetent eingestuft worden ist, der hat ein Problem. Die Kaufentscheidung muss in diesem Fall nicht zwingend dem negativen Ersteindruck folgen. Allerdings müssen nun Körpersprache, Mimik, Gestik, Rhetorik und Einwandbehandlung so gut sein, dass der verpatzte Ersteindruck überstrahlt wird. Das kann gelingen. Aber es kostet Zeit und Mühe.

Experte oder Schmierlapp?

Niemand gibt Feedback zum Ersteindruck. Auf unvorteilhafte, unpassende oder ungepflegte Kleidung wird man ebenso selten angesprochen wie auf alberne Gelfrisuren, feuchte Hände, fettige Haare, Körpergeruch, Mundgeruch, abgekaute Fingernägel, Nasenhaare, Ohrenhaare, schmutzige Brillen, abgegriffene Aktentaschen, schmuddelige Laptoptastaturen, zerfledderde Notizblöcke, zerknitterte Visitenkarten, skurrile Handyhüllen, infantilen Modeschmuck oder nervöse Ticks. Vieles davon täglich auf allen Hierarchieebenen zu beobachten. Heimliche Bremsklötze auf dem Weg zum Auftrag oder zur Beförderung. Sie können inhaltlich brillant sein – wenn Sie ungepflegt erscheinen, sind Sie nicht der gefragte Experte, sondern schlicht der „Schmierlapp“. Flüsternd und unter vorgehaltener Hand, versteht sich. Folgeaufträge oder Empfehlungsgeschäft? Zäh.

Lassen Sie sich „spiegeln“

Es geht keinesfalls darum, geschniegelt auszusehen. Es geht darum, sich bewusst zu machen, in welcher Gruppe (= Sippe) man sich bewegt, um gezielt am richtigen ersten Eindruck arbeiten zu können, der dann in ein stimmiges kommunikatives Gesamtbild einzahlt. Sie können Ihren Ersteindruck selbst nicht beurteilen. Deshalb sollten Sie sich gezielt Feedback einholen. Am besten von drei Personen aus Ihrem beruflichen Umfeld und von drei Personen aus Ihrem privaten Umfeld.

Je weniger Sie diese Menschen kennen, desto wertvoller die Rückmeldung. Lassen Sie sich bewusst auf den drei Dimensionen „sympathisch“, „zuverlässig“ und „kompetent“ feedbacken. Am besten per Punktesystem von eins (wenig) bis fünf (sehr). Und wirklich einzig und allein beschränkt auf den allerersten Eindruck innerhalb der ersten Millisekunden. Vorsicht: Die Antworten werden höflich nach oben abweichen.

Danach checken Sie nach dem identischen Muster Ihre Webseiten und Social-Media-Auftritte: Auch dort stellt sich zunächst nur die Frage des Ersteindrucks. In den meisten Fällen wollen sich Kunden online lediglich einen vertieften Eindruck zu einer Person oder einem Unternehmen verschaffen. Geht dieser Ersteindruck in die richtige Richtung, wirken Webseiten und Social-Media-Auftritte als Verstärker. Leider gilt dies auch in die andere Richtung: Wer hier an der falschen Stelle spart, für den wird´s am Ende richtig teuer.

Stellen Sie sich einen Startblock weiter vorne

Ein stimmiger erster Eindruck gewinnt noch kein Rennen, dazu muss dann schon auch die Folgeperformance stimmen. Aber man hat einen Startvorteil. Hobbyläufer kennen das: Bei jedem größeren (Halb-)Marathon muss man eine zu erwartende Zeit angeben und bekommt dann einen Startblock zugeteilt. Hier wird geschummelt, dass sich die Balken biegen. Warum? Weil Überholen bei einem Marathon wertvolle Kraft und Zeit kostet. Wenn also jemand seine persönliche Bestzeit laufen will, wird er sich tendenziell eher einen Startblock zu weit vorne reinstellen als zu weit hinten. Einfach, um nicht überholen zu müssen. Kurios eigentlich, dass sich die meisten Menschen ausgerechnet da, wo es wirklich um etwas geht, einen Startblock zu weit nach hinten stellen: Im Business ist das Rennen meist gelaufen, bevor man mit Kompetenz überholen kann.