Klimakrise und Konsumkritik

Die Klimakrise wird von Konzernen zu einem Problem gemacht, das nicht von ihnen oder schlechter Politik verursacht wird – sondern von „uns allen“ und somit von niemandem. Warum die Geschichte der Schuld umgeschrieben werden muss.
Helena Marschall ist Klimaaktivistin bei Fridays for Future. (© Linus Dolder (Montage: Olaf Heß))

Die Klimakrise macht mir Angst – schon so lange, wie ich mich erinnern kann. Ich bin an der amerikanischen Ostküste aufgewachsen, erlebte dort immer häufigere Orkane und kannte Menschen, die durch das Extremwetter ihr Haus verloren oder wochenlang ohne Strom auskommen mussten.

Bevor ich Aktivistin wurde, dachte ich, mein eigenes Verhalten wäre die Ursache für die Klimakrise – schließlich bin ich schon mal geflogen. Deswegen befolge ich seit Langem möglichst viele der wichtigsten Öko-Tipps, fahre Fahrrad und esse kaum Fleisch. Der Einfluss davon schien mir von Anfang an sehr gering, aber ich hoffte, um den Rest würden sich die Erwachsenen kümmern. Also versuchte ich, meine Angst zu verdrängen. Wie hätte ich auch anders reagieren können in einer Welt, die mir weisgemacht hat, die einzelnen Konsument*innen wären Ursache und Lösung für die Klimakrise? Diese Erzählung ist allgegenwärtig und brandgefährlich für eine Gesellschaft (geschweige denn für Kinder) mitten in der Klimakrise. 

Werbeindustrie trägt Mitverantwortung

Dieses Narrativ wurde nicht unwesentlich durch die Werbe­industrie in die Welt gesetzt. 2004 entwickelte British Petroleum den ersten CO2-Fußabdruck-Rechner, den sie seitdem in riesigen Kampagnen bewerben. Mit dem Spruch „It’s time to go on a low carbon diet“ werden Menschen dazu aufgefordert, ihre Glühbirnen zu wechseln, während BP selber seine Ölproduktion erwei­tert. So wird die Klimakrise zu einem Problem, das nicht etwa durch einen der größten privaten Ölförderer der Welt (BP) oder schlechte Politik verursacht wird – sondern von „uns allen“ und somit von niemandem.

Es wird kommuniziert, man könne sich aus der Klimakrise herauskaufen.

 
Heute wird diese Geschichte in allen möglichen Varianten weitergesponnen. Niemand hat so getan, als wäre die Pandemie vorbei, nachdem sich alle mit Klo­pa­pier und Nudeln eindeckten. Aber Bambuszahnbürsten und Jutebeutel sollen uns angeblich aus der Klimakrise herausführen? Wenn Produkte inhärent verbessert werden, also zum Beispiel klimaneutral produziert werden, ist das klasse, aber eben nicht ausreichend. Es wird kommuniziert, man könne sich aus der Klimakrise herauskaufen und durch einzelne Produkte die Welt verbessern. Die politischen und systemischen Veränderungen, die es tatsächlich braucht, wirken überflüssig und werden aus dem Diskurs gedrängt. Individuelle Konsumkritik verzögert systematische Veränderung durch Klein-Klein-Debatten. Sie demobilisiert, indem Leute sich für ihren Konsum schlecht fühlen, anstatt auf die Straße zu gehen.

Es gibt gute Gegenbeispiele, wie Werbekampagnen gemeinsame Macht demonstrieren, etwa durch Petitio­nen oder eindrucksvolle Plakat­kampagnen, die Probleme in ihrer vollen Größe darstellen. Diese müssen weiter­entwickelt werden, denn während Emissionen weiter steigen, können wir uns keine weitere Ablenkung und Verzögerung durch das Verschieben der Verantwortung auf den Einzelnen leisten.

Helena Marschall schreibt, spricht und organisiert für internationale Bewegung.

Helena Marschall ist Klimaaktivistin bei Fridays for Future. In ihrer Kolumne nimmt sie Unternehmen und Marken in die Pflicht, ihrer Verantwortung für das Klima und den Planeten nachzukommen.