Gütesiegel, schlechte Siegel 

Gütesiegel für Lebensmittel haben sich von Qualitätszeichen für Premiumprodukte zu Instrumenten der Absatzförderung im Discount entwickelt. Ein Plädoyer für Markenprodukte ohne Siegel.
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Otto A. Strecker ist Vorstand der auf die Lebensmittelwirtschaft spezialisierten AFC Consulting Group und Honorarprofessor an der Universität Bonn für Agrarökonomie. (© privat)

Gütesiegel geben Verbraucher*innen und auch Geschäftskunden Orientierung bei der Produktauswahl. Sie senden die Botschaft aus, dass es sich um Produkte mit besonderen Qualitäten handelt, die ihren Preis wert sind. Ziel ist es in der Regel, einen Mehrpreis gegenüber der ungekennzeichneten Standardware realisieren zu können.  

Besonders viele Gütezeichen begegnen uns beim Einkauf von Lebensmitteln. Auf Lebensmittelmärkten bestehen viele Besonderheiten, die der Bildung starker Marken im Wege stehen*.  Der Anteil von unverarbeiteten Produkten ist in einigen Produktgruppen wie bei Obst und Gemüse und frischem Fleisch sehr hoch. Mehl oder Milch sind standardisierte Commodities. Bei Waren, die in Bedientheken angeboten werden, treten oftmals Hersteller gegenüber dem anbietenden Händler in den Hintergrund, wie etwa bei Wurstwaren. Viele Anbieter haben es daher schwer, sich im Wettbewerb herauszustellen. Gütezeichen, Prüfsiegel und Co. sollen diese Differenzierung ermöglichen. 

Der Markt für Label ist mittlerweile schwer überschaubar. Mögliche Themengebiete sind: Qualität, Herkunft, Fairness, Regionalität, Nachhaltigkeit, Soziales, Klimaschutz und Tierwohl. Allein im Lebensmittelbereich werden dafür hunderte unterschiedlicher Gütezeichen und Siegel verwendet, Tendenz steigend. 

Marken, Handelsmarken und No-Name-Produkte 

Ein historischer Gamechanger für Handel und Hersteller war das Aufkommen des Discounts. Mit günstigen No-Name-Produkten begann eine Disruption der bis dahin gültigen Strukturen im Lebensmittelmarkt, die bis heute anhält. 1982 führte Rewe als erster Vollsortimenter unter dem Label „Ja“ eigene Discount-Produkte ein. Das Konzept wurde in der Folge zum Standard im gesamten Lebensmittelhandel. Aus den No-Name-Produkten wurden über die Zeit Handelsmarken mit unterschiedlichen Positionierungen, bis heute aber meistens als Nachahmer-Produkte ohne eigene Innovationsstrategie. Mit dem Anteil der Discount-Produkte stieg auch die Zahl der Siegel auf den Produkten. 

Auch die Politik liebt Gütezeichen und Label. Statt mit Verboten kann man hier sichtbare Zeichen im Wortsinne für eigene Themen setzen und diese aufmerksamkeitsstark bewerben.  

Wirkung der Gütesiegel 

Die Intention von Gütezeichen ist es, einen positiven Image-Transfer auf das Produkt zu erzeugen und die wahrgenommene Wertigkeit des Produktes im Themenfeld des Labels zu erhöhen. Jedes Label schwächt insofern die klassische Lebensmittelmarke. Es bringt zum Ausdruck, dass die Marke alleine scheinbar nicht für die transportierte Botschaft des Labels stehen kann.  

Gehoben werden durch derartige Labels vor allem No-Name-Produkte als typische Discount-Ware. Sie erfahren dadurch eine bessere Reputation und stärken ihre Position im Wettbewerb. Wenn das Label funktioniert, verschieben sich Marktanteile in Richtung Preiseinstieg.  

Discounterisierung der Lebemittelwirtschaft

Label konterkarieren den Effekt, der durch Marken erreicht werden soll, nämlich die Wertschätzung und Wertschöpfung für die gekennzeichneten Produkte zu erhöhen, soweit es sich nicht um Discount-Produkte handelt. Starke Premium-Marken brauchen keine Label. Mittel-Marken hingegen nivellieren den Gehalt ihrer Markenbotschaft auf das Niveau von Handelsmarken und No-Name-Produkten. Das kann keine vielversprechende Marketingstrategie sein. 

Der Zusammenhang sollte auch staatlichen Akteuren und der Politik zu denken geben. Gütezeichen können in der Regel nicht das Ziel erreichen, das üblicherweise mit ihnen angestrebt wird, nämlich mehr Wertschöpfung für die Beteiligten an der Lieferkette zu generieren. Viel mehr fördern sie die Discountisierung der Lebensmittelwirtschaft. 

*Strecker et al.: Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte, DLG-Verlag, Frankfurt 2010, S. 165