Dumme Agenten, genervte Bürger

„86 Prozent der Deutschen fühlen sich von ungebetenen Werbeanrufen genervt“, schreibt die Bild-Zeitung und beruft sich auf eine Umfrage des Forsa-Instituts. „Verbraucherschützer mobilisieren gegen Telefonwerbung“, titelt die FAZ und bezieht sich auf eine Schätzung der GfK.

Danach sollen pro Tag in Deutschland rund 900 000 Menschen unerwünschte Call Center-Anrufe erhalten. „Und die Branche zieht immer noch keine Konsequenzen und verniedlicht das Problem weiter“, fragt sich Günter Greff, Herausgeber des Fachdienstes Call Center Experts. Call Center-Unternehmen unterschätzen nach seiner Ansicht, was sich bei Verbraucherschützern, Verbraucherschutz- und Justizministerien von Bund und Ländern zusammenbraut.

„‚Solange kein Ruck durch den Markt geht und eine 180-Grad-Kehrtwendung vollzogen wird, steuert die Call Center auf eine Katastrophe zu. Und das sehenden Auges. Unfassbar, wie die Verantwortlichen durch Nichtstun ihre Existenz gefährden“, moniert auch Harald Henn von der Beratungsfirma Marketing Resultant. Fast alle Call Center konnten in den vergangenen Jahren kräftig wachsen – besonders im Outbound-Geschäft. „Diese Kapazitäten wollen ausgelastet werden. Die Angst vor Umsatzverlust ist sicherlich der Haupttreiber für das aktuelle Verhalten“, warnt der Berater. Es herrsche die Meinung vor, die Wogen würden sich wieder glätten. Die Hoffnung, Wallraffs Gewitterstürme könnten vorbeiziehen, werde sich aber als Trugschluss erweisen.

Aggressive Kaltanrufe seien in den vergangenen Jahren enorm angestiegen. Man habe nicht nur Gesetze außer Acht gelassen, sondern ein Anruf-Bombardement auf Kunden losgelassen. „Bisher war das Geldverdienen beim Outbound-Geschäft mit zweistelligen Zuwachsraten relativ einfach. In solchen Situationen denkt kaum jemand darüber nach, wie es anders und besser gehen könnte – auch im Sinne der Auftraggeber. Und neue Geschäftsfelder für Call Center liegen noch zuhauf brach“, sagt Henn.

„Wir haben in Deutschland relativ dumme Call-Center“, konstatiert Reiner Hoock, Geschäftsführer und Bankenexperte bei Booz Allen Hamilton. Eine Studie seines Hauses ermittelte die Service-Qualität von Finanzdienstleistern und kommt zu einem mäßigen Ergebnis: Kunden fühlen sich schlecht beraten – in der Filiale, im Internet und am Telefon. Bei telefonischen Anfragen sind zudem die Wartezeiten oft lang. Wenn dann endlich ein Agent an der Strippe ist, lässt seine Kompetenz oft zu wünschen übrig.

Um eine Qualitätsoffensive in der Call Center-Branche in Gang zu setzen, reichen nach Meinung von Bernhard Steimel, Mitinitiator des Bonner Fachkongresses Voice Days, Beschwerdehotlines, Ehrenkodex oder Imagekampagnen nicht aus. „Verbraucherschutzminister Horst Seehofer hat eine klare Ansage gemacht, wie härtere Gesetze über eine Selbstverpflichtungserklärung verhindert werden können. Wir brauchen Sanktionsmechanismen, um unseriöse Call Center-Drückerkolonnen auszugrenzen. Wir brauchen auch mehr technische und menschliche Intelligenz bei den Prozessabläufen, um lange Wartezeiten und inkompetente Beratung zu vermeiden“, erklärt Steimel.

Call Center von der Stange helfen da nicht weiter, bemerkt Axel Schnell, Chief Operating Officer des Stuttgarter ITK-Systemintegrators Nextiraone: „In den vergangenen zehn Jahren hat es gewaltige Fortschritte in der Call Center-Technologie gegeben. Für die Unternehmen ist es jetzt wichtig, den geeigneten Mix zwischen automatisierten und hochwertigen Diensten zu finden. Self Service-Anwendungen reduzieren dabei nicht nur Kosten, sondern sie befreien Mitarbeiter von banalen Aufgaben. Die gesparte Zeit kann in eine Verbesserung der Beratung investiert werden“, beobachtet Schnell.

Bei Finanzdienstleistungen könne man die Servicequalität nicht dem Zufall überlassen, bestätigt Frank Koppe von der Passauer Firma CommuniGate Kommunikationsservice. Die Mitarbeiter bearbeiten Antragsformulare, sperren Karten, leisten Hilfestellung bei Verlust der PIN-Nummer, beraten, bieten Telefonbanking und Direkt-Brokerage, agieren als technische Hotline und entwickeln ganz individuelle Kommunikationsangebote für ihre Kunden. „Wir bieten nichts von der Stange und sind während des gesamten Lebenszyklus einer Kreditkarte der Ansprechpartner für die Karteninhaber“, erklärt Koppe.

Das Beispiel CommuniGate belege nach Erfahrungen von Michael-Maria Bommer, Vice President des Softwareanbieters Genesys , wie man unterschiedliche Zugangskanäle im Unternehmen managen müsse. „Nicht mehr das streng abgegrenzte und hoch effektive Call Center ist der einzige Zugang zu Unternehmen, sondern die komplette Firma wird in das Servicecenter einbezogen. Qualifizierte Sachbearbeiter oder zeitweise nicht ausgelastete Mitarbeiter im Back-Office lassen sich über einen zentralen Routing-Mechanismus mit Anfragen versorgen“, so Bommer. (von Gunnar Sohn)

www.ddv.de
www.ci-gate.com
www.boozallen.de
www.call-center-experts.de
www.marketing-resultant.de
www.voicedays.de
www.nextiraone.de
www.genesyslab.com