Wahlkampf-Analyse: „Die AfD steht zu stark im Mittelpunkt“

Der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider stellt der Parteien im Wahlkampf ein schlechtes Zeugnis aus. Ein Gespräch über einfallslose Botschaften, harte Debatten und eine merkwürdige Ausschließeritis in der Mitte.
Der Winterwahlkampf 2025 wird auch am Straßenrand ausgetragen – aber längst nicht nur. (© Imago)

Herr Brettschneider, wie fällt Ihr Zwischenfazit des aktuellen Wahlkampfs aus? 

Es ist ein merkwürdiger Wahlkampf, auch deswegen, weil viele Wählerinnen und Wähler nach wie vor einigermaßen ratlos sind, wen sie wählen sollen. Von den Kanzlerkandidaten ist keiner so richtig beliebt, jedenfalls nicht in der Mehrheit der Bevölkerung. Viele wichtige Fragen verschieben sich wohl auf die Zeit nach der Wahl. Es hängt viel davon ab, wie groß das Parlament sein wird: Besteht es nur aus vier Fraktionen oder aus bis zu acht? Welche Koalitionsmöglichkeiten wird es geben? Es schwirren unglaublich viele Fragezeichen in der Luft herum. 

Welche Merkwürdigkeiten sind Ihnen noch aufgefallen? 

Viele Dinge passen nicht zusammen. Eine dieser Merkwürdigkeiten ist das Verhältnis zwischen Schwarz und Grün. Ich verstehe nicht, wieso die CSU eine Koalition mit den Grünen ausschließt und der Union damit rein taktisch gesehen eine von wenigen Koalitionsoptionen nach der Wahl beraubt.  


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Professor Frank Brettschneider ist seit April 2006 Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die politische Kommunikation (insbesondere Wahlforschung) und das Kommunikationsmanagement sowie Verständlichkeitsforschung. 
(© Universität Höhenheim / Carmen Moosmann)

Die Anschläge von Aschaffenburg und davor Magdeburg haben das Top-Thema im Wahlkampf gesetzt: Migration. Wie sollten die Parteien damit umgehen? 

Jedenfalls nicht nur, indem sie sich weiter vehement von der AfD abgrenzen. Das wissen wir spätestens seit dem Präsidentschaftswahlkampf in den USA. Es hat schon für Kamala Harris nicht funktioniert, die eigenen Wähler durch die Ablehnung von Donald Trump zu mobilisieren. 

Was könnten sie besser machen? 

Die Parteien sollen sich nicht dem Thema Migration verschließen. Aber alles darauf zu reduzieren, ist zu wenig. Für mein Empfinden steht die AfD zu stark im Mittelpunkt, auch in der Kommunikation der anderen Parteien. Sie sollten doch besser mehr über sich reden und aus der politischen Mitte heraus gemeinsam handeln.  

Was macht eine erfolgversprechende Kommunikationsstrategie im Wahlkampf aus? 

Dazu müssen wir auf die wachsende Zahl der Wechselwähler schauen: Die entscheiden häufig entlang der zum Zeitpunkt der Wahl dominierenden Themen. Die Parteien sollten alles versuchen, die Themen in den Mittelpunkt zu rücken, für die sie stehen und die für sie jeweils am günstigsten sind. Aus Wählersicht war das zentrale Thema vor Aschaffenburg bei allen großen Umfrageinstituten die Wirtschaft und damit verknüpfte soziale Aspekte wie Preise oder Wohnungsbau. Diese Probleme sind nicht weg, genauso wenig wie der Klimawandel. Nur über die Lösung reden wir gerade wenig.  

Bei „Wahlkampf“ denkt man Großplakate, Marktplätze oder Haustüren und natürlich Social Media. Vergangene Woche ist er durch die Migrationsdebatte plötzlich mitten ins Parlament gerückt. Ist das historisch betrachtet außergewöhnlich? 

In den letzten zwei Jahrzehnten war der Bundestag in Wahlkämpfen selten der Ort, in dem wirklich Kontroversen ausgetragen wurden – jedenfalls nicht zwischen den größeren Parteien der Mitte. Das lag sicherlich auch daran, dass sie oft miteinander koaliert haben. Es war aus meiner Sicht bedauerlich. Das Parlament trägt seinen Namen nicht umsonst: Dort soll über die großen, gesellschaftlich relevanten Fragen geredet und auch gestritten werden. Insofern ist ein Wahlkampf im Bundestag in Ordnung. Die Frage ist, mit welchen Mitteln und in welcher Sprache das stattfindet: also mit Argumenten, zwar hart in der Sache, aber respektvoll im Umgang oder so wie wir es vergangene Woche erlebt haben, bis hin zu gegenseitigen Bezichtigungen als „Lügner“. 

Wie beurteilen Sie die Kampagnen der Parteien kommunikativ? 

Handwerklich gesehen erleben wir einen Wahlkampf von der Stange. Wenn ich mir die Plakate anschaue, muss ich fragen: Wo kommen die denn her? Da lächelt mich eine Direktkandidatin vom Plakat nett an und daneben steht ein QR-Code. Oder neben einem anderen Direktkandidaten steht „Max macht’s“ – wer ist dieser Max? Wo sind die klaren Aussagen und Botschaften? Vielleicht liegt das an der kurzen Zeit, die die Parteien hatten, mit Agenturen zusammen etwas zu entwickeln. Aber diese Wahlplakate sind weitgehend inhaltslos und bewegen auch nicht viel. 

Wahlplakate – Bundestagswahl 2025
Die Vielfalt bei den Themen wird seit Aschaffenburg überlagert, die Einfalt bei den Botschaften bestand bereits davor, sagt der Experte für politische Kommunikation, Frank Brettschneider, im Interview. (© Imago)

Ihre Kritik beschränkt sich nicht auf die klassische Wahlwerbung. Sie untersuchen mit Ihren Studierenden auch die Wahlprogramme der Parteien. Was ist Ihnen aufgefallen? 

Wir untersuchen die Programme auf formale Verständlichkeit hin und mussten feststellen: Sie sind genauso unverständlich wie bei den vergangenen Wahlen. Dort finden sie Kommunikationshürden für Menschen, die sich in den Programmen informieren wollen. Das ist schon ein Stück weit irritierend, wie auf der kommunikativen Seite viele einfache Regeln nicht eingehalten werden. 

Welche Rolle spielt die Tatsache, dass wir es mit einem vorgezogenen und verkürzten Wahlkampf zu tun haben?   

Dadurch ist alles sehr geballt und konzentriert. Der Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit ist in so einer kurzen Zeit und mit so einem dominanten Thema sehr schwierig. Gerade deswegen wäre es wichtig, den Einsatz der verschiedenen Wahlkampfinstrumente aufeinander abzustimmen. Das wäre ein Hebel, um auch andere Themen zu transportieren.  

Nennen Sie ein Beispiel. 

Nehmen wir das Plakat der Grünen mit Robert Habeck und dem Slogan „Zuversicht“. Zuversicht ist schon gut – als Gegenpol zu von rechts verbreitetem Weltuntergangs-Pessimismus. Aber es muss mit weiteren Botschaften konkret unterfüttert werden. Das gilt für die anderen Parteien genauso. Wo ist die Abstimmung der Plakate mit den Social-Media-Auftritten, den Reden auf Wahlveranstaltungen und der klassischen Pressearbeit? 

Es ist der klassische Ablauf im Kommunikationsmanagement: Zielgruppen und Ziele definieren, Themen und Botschaften festlegen und dazu nötige Instrumente auswählen. Im Moment sehe ich stattdessen eher ein hektisches Reagieren auf Tagesaktualität. Das macht Kommunikationsmanagement weniger erfolgreich. 

Trifft dieser Vorwurf eher die Parteien oder ihre Werbeagenturen? 

In diesem kurzen Wahlkampf würde ich das eher den Parteien zur Last legen. Wenn sie die Agenturen im Hinblick auf Themen und Strategie nicht wirklich präzise briefen, wird es auch für eine Agentur schwer. 

Was ist die spannendste Frage auf der Zielgeraden dieses, wie Sie es nennen, „merkwürdigen“ Wahlkampfes? 

Werden wir noch über Themen jenseits von Migration sprechen? Am kommenden Wochenende steht das erste TV-Duell der Spitzenkandidaten an, dann folgen ein TV-Quartett und verschiedenste anderen Formate. Meine Sorge ist, dass es dabei – ob sie dabei ist oder nicht – viel um die AfD gehen wird. Dann würde die Chance, über andere Themen zu sprechen, wieder verschenkt. Das wäre fatal. 


(tht, Jahrgang 1980) ist seit 2019 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Davor war er zehn Jahre lang Politik- bzw. Wirtschaftsredakteur bei der Stuttgarter Zeitung. Der Familienvater hat eine Leidenschaft für Krimis aller Art, vom Tatort über den True-Crime-Podcast bis zum Pokalfinale.