Customer Experience: Warum der Kunde nicht immer König ist

Der Kunde ist König. Oder etwa nicht? Was die meisten Marketingverantwortlichen auch für ihr Unternehmen in Anspruch nehmen würden, sieht in der Praxis oft ganz anders aus.
70 Prozent der Entscheider sehen einen hohen Zusatznutzen durch datenbasierte Customer Experience, aber nur 30 Prozent setzen schon Pilotprojekte um. (© Imago)

Durch Digitalisierung und verändertes Kundenverhalten in der Corona-Pandemie spielt die Kundenzufriedenheit eine immer wichtigere Rolle, um im Wettbewerb zu bestehen und Kunden langfristig zu binden. Und dennoch scheinen viele Unternehmen eine stringente Kundenorientierung auf allen Ebenen noch nicht verinnerlicht zu haben, wie eine aktuelle McKinsey-Umfrage unter 294 Customer-Experience-Verantwortlichen mittelgroßer und großer Unternehmen in Deutschland nun attestiert.

Einige ausgewählte Ergebnisse:

  • 99 Prozent der Unternehmen in Deutschland basieren ihre Customer Experience (CX) auf Feedback-Abfragen, die nur durchschnittlich 34 Prozent ihrer Kunden repräsentieren.
  • Mehr als 80 Prozent halten die weitgehend genutzten Messgrößen für zu reaktiv und langsam, ähnlich viele „finden die Ergebnisse uneindeutig und wenig granular“.
  • Die Mehrheit der befragten CX-Entscheider ist unzufrieden mit den im eigenen Unternehmen angewandten umfragebasierten CX-Metriken. 58 Prozent der Befragten stimmen zu, dass tendenziell nur Kunden mit extremen Ansichten nach dem Kauf auf Umfragen antworten. 54 Prozent geben sogar an, dass das Verkaufspersonal Einfluss auf Ergebnisse nimmt, indem insbesondere zufriedene Kunden aktiv um Feedback gebeten werden.

„Kunden sind zunehmend umfragemüde. Es wäre aber gar nicht mehr nötig, sie mit Umfragen zu bombardieren, denn heutzutage gibt es ganz andere technische Möglichkeiten als noch vor wenigen Jahren“, sagt Harald Fanderl, Senior Partner und CX-Experte bei McKinsey & Company.

Feedback-Bearbeitung dauert durchschnittlich vier Wochen

Darüber hinaus empfinden die Befragten Entscheiderinnen und Entscheider die aktuell genutzten Methoden als zu langsam, um wirklich zeitnah reagieren zu können, wenn sich ein Problem abzeichnet, und die Zufriedenheit der Kunden verbessert werden soll. Ihre Unternehmen benötigen im Durchschnitt 4,2 Wochen von der Einholung des Feedbacks bis zur Entscheidungsfindung.

53 Prozent halten allerdings eine schnelle Reaktionsfähigkeit für zentral. Für 61 Prozent ist es laut der McKinsey-Umfrage eine „Top-Priorität, die Frontline-Teams in ihrer täglichen Arbeit zu unterstützen“. Nur 26 Prozent von ihnen sehen sich jedoch auf Basis des gesammelten Feedbacks dazu in der Lage.

Nur jeder fünfte Befragte stimmt in der Umfrage „vollkommen zu“, mit dem genutzten Customer-Experience-Managementsystem den ROI einer CX-Entscheidung berechnen zu können. Das heißt laut McKinsey im Umkehrschluss: „Die Unternehmen entscheiden größtenteils im Blindflug, welche Investitionen den größeren Einfluss auf die Kundenzufriedenheit haben: beispielsweise die Investition in mehr Callcenter-Mitarbeiter oder ein digitales Selbstbedienungs-Portal zur Überprüfung des Bestellstatus.“

Datenschatz wird im Bereich CX nicht genutzt

Ein Problem ist laut den Studienautoren von McKinsey, dass Unternehmen oft vorhandene Daten nicht zugunsten einer höheren Kundenzufriedenheit nutzen würden. „Während andere Unternehmensbereiche durch Nutzung der Fortschritte in Data & Analytics einen großen Entwicklungsschritt gemacht haben, hinkt der Bereich Customer Experience deutlich hinterher“, sagt Oliver Ehrlich, McKinsey-Partner mit Schwerpunkt auf kundenzentrierten Transformationen.

Ehrlich beschreibt die Gemengelage wie folgt: „Die Unternehmen haben Zugriff auf alle Daten, die sie brauchen, um zu verstehen wie sich ein Kunde fühlt, selbstverständlich unter Einhaltung aller Datenschutzvorgaben. Sie wissen, wie viele termintreue Lieferungen ein B-to-B-Kunde bekommen hat, ob eine Versicherungskundin einen langwierigen Problemlösungsprozess mit Customer Service hinter sich hat oder im Falle einer Fluglinie, wie viele Flüge eines Business Travelers verspätet waren. Diese Daten werden aber nicht skaliert genutzt. Stattdessen werden die Kunden nach wie vor nach Feedback gefragt anstatt ihre Präferenzen vorherzusagen.“

Tatsächlich geben 70 Prozent der Befragten an, dass datenbasiertes Customer-Experience-Management einen hohen oder sehr hohen Zusatznutzen für ihr derzeitiges Customer Experience-Messsystem bedeuten würde. Allerdings geben weniger als ein Drittel (28 Prozent) an, dass datenbasiertes Customer-Experience-Management Bestandteil aller wichtiger Entscheidungen im Customer-Experience-Kontext sind.

Beispiele für datenbasierte CX-Systeme

Immerhin befinden sich 33 Prozent in der Pilotierungsphase datenbasierter CX-Systeme, 30 Prozent planen ähnliche Projekte mittelfristig. Die Anwendungsbereiche, die im Moment pilotiert werden, können laut McKinsey in drei Kategorien unterteilt werden:

  1. Systematische Erfassung von Kundenerfahrungen und -verhalten
  2. Anlage von 360-Grad-Kundenprofilen für unterschiedliche Anwendungsbereiche, bei denen es wichtig ist, alle relevante Daten an einem Ort zu haben.
  3. Prognose von Kundenzufriedenheit und Vorhersage von Problemen anhand solcher Kundenprofile, mithilfe von Advanced Analytics.

(he, Jahrgang 1987) – Waschechter Insulaner, seit 2007 Wahl-Hamburger. Studierte Medien- und Kommunikationswissenschaften und pendelte zehn Jahre als Redakteur zwischen Formel-1-Rennstrecke und Vierschanzentournee. Passion: Sportbusiness. Mit nachhaltiger Leidenschaft rund um die Kreislaufwirtschaft und ohne Scheuklappen: Print, live, digital.