Agentur Think Moto: Vom Freelancer-Duo zur „Digital Native“-Markenagentur

Katja Wenger und Marco Spies gründeten 2010 Think Moto – mit der Vision, Marke und User Experience zu verbinden. Aus einer spontanen Zusammenarbeit wurde eine strategisch-kreative Agentur mit planetenzentriertem Anspruch. Teil 6 unserer Serie zu Agenturgründungen. 
FIFTEEN YEARS Think Moto Party, Berlin, 28.03.2025
Im März 2025 gab es für Katja Wenger und Marco Spies Grund zum Feiern: Ihre Agentur Think Moto wurde 15 Jahre alt. (© Think Moto)

Frau Wenger, Herr Spies, 2010 haben Sie die Agentur Think Moto gemeinsam gegründet. Woher kannten Sie einander denn?  

Katja Wenger: Ich bin 2001 nach Berlin gekommen und habe unter anderem bei GFT Media und später bei Pixelpark gearbeitet. Dort war ich rund sieben Jahre festangestellt. Dann habe ich gedacht: Ich muss nochmal was anderes machen – und habe einfach gekündigt. Ohne konkreten Plan. Bald darauf klingelte mein Telefon; ein ehemaliger Kollege rief an: „Katja, du bist doch jetzt Freelancerin, oder? Nimm mal deinen Laptop und komm vorbei. Wir brauchen dich für ein Projekt für BMW.“ Ich bin also los zu einer Wohnung in Kreuzberg – und dort saß Marco. 

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Marco Spies und Katja Wenger arbeiteten vor der Gründung ihrer Agentur Think Moto als Freelancer-Duo. (© Think Moto)

Marco Spies: Anfang des Jahrtausends arbeitete ich als freier Konzepter und Creative Director auf dem Projekt – es ging um eine interaktive Installation und eine Community- Plattform für das erste Wasserstofffahrzeug von BMW. Ein wirklich spannendes Thema. 

Da haben Sie also zum ersten Mal miteinander gearbeitet? 

KW: Genau. Ich wurde für das Interface-Design des Projekts dazugeholt. Und bei der Zusammenarbeit haben wir ziemlich schnell gemerkt: Das passt richtig gut. Marcos Stärke war damals wie heute, strategisch und konzeptionell auf einem sehr hohen Niveau zu arbeiten. Meine visuelle Kompetenz hat das super ergänzt. Das war unser erstes gemeinsames Projekt – es folgten viele weitere. 

MS: Erst als Freelancer-Duo, später dann in festeren Strukturen. Ich habe 2008 für die Peter Schmidt Group als Executive Director Interactive Design eine Digitalabteilung innerhalb der Markenagentur aufgebaut. Auch da habe ich Katja wieder als freie Art Direktorin reingeholt. Zusammen realisierten wir große Projekte, zum Beispiel haben wir für Linde die weltweite Website neu aufgesetzt. 

Wann haben Sie sich dann dazu entschlossen, eine eigene Agentur zu gründen? 

KW: Ich war in der Zeit viel unterwegs – Hamburg, Frankfurt, in vielen namhaften Agenturen. Und als Freelancerin hat man den Vorteil, dass man überall mal reinschauen kann, ohne fest eingebunden zu sein. Dadurch habe ich schnell gesehen, wie unterschiedlich das Thema Marke in Digitalagenturen behandelt wurde – oder besser gesagt: Wie oft es überhaupt keine Rolle gespielt hat. 

MS: Und umgekehrt war das Digitale in vielen Markenagenturen noch gar nicht richtig angekommen. Da war das Website-Beispiel irgendwo hinten im Styleguide.  Und genau diese Lücke haben wir gesehen. Es gab auf der einen Seite Markenagenturen, auf der anderen Seite Digitalagenturen – aber niemand hat beides wirklich zusammengedacht. 

Und Sie wollten das ändern? 

MS: Genau, das war dann der Gründungsmoment. Im Februar 2010 haben wir Think Moto gegründet – mit dem Ziel, Marke und UX zu verbinden. Wir wollten die erste „Digital Native“ unter den Marken- und Designagenturen sein. Unser Credo: Brand Experience ist User Experience. Das Nutzererlebnis ist das Markenerlebnis. 

Als Sie die Agentur dann tatsächlich gegründet haben – sind Sie da ganz strategisch vorgegangen? Also mit Businessplan, Konzept, Struktur?  

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Digital sein, hieß es bei Katja Wenger (zweite v. l.), Marco Spies (rechts) und ihren Mitarbeitenden schon zu Anfangszeiten. (© think moto)

MS: Es gab einen Businessplan, ja. Wir haben uns überlegt, was wir machen wollen – und vor allem auch, was uns unterscheidet. Die Idee, diese Lücke zwischen Digital- und Markenagenturen zu füllen, stand von Anfang an im Mittelpunkt. 

KW: Und das wirklich mit einer gewissen Ernsthaftigkeit. Wir wollten nicht in irgendeinem kleinen Ladenlokal im Prenzlauer Berg anfangen, wo man sich auf die ersten Kunden „irgendwie vorbereitet“. Wir wollten von Anfang an professionell auftreten. Deshalb haben wir ein Loft in einem alten Fabrikgebäude angemietet – das war mal eine Zigarettenfabrik. Unser Büro haben wir mit viel Liebe eingerichtet – inklusive toller Möbel, die wir günstig von einer Filmproduktion übernommen haben. Aber: Wir hatten zu dem Zeitpunkt noch keinen Kunden. 

Sie sind also ins kalte Wasser gesprungen? 

KW: Genau. Wir haben gegründet, das Büro vorbereitet – und dann losgelegt. Aber tatsächlich: Am ersten Wochenende kam schon die erste Anfrage. 

MS: Das ging schneller, als wir gedacht hatten. Einer der ersten großen Kunden war dann Cornelsen. Kurz darauf kam Men’s Health dazu. 

Wie sind Sie als neue Agentur an diese Aufträge gekommen? 

MS: Mit Cornelsen stand ich schon länger immer mal wieder in Kontakt. Das Marketing-Team war auf der Suche nach einer kleineren, unabhängigen Agentur – am besten aus Berlin. Als wir dann gegründet hatten, kam jemand aus dem damaligen Projektteam auf mich zu und meinte: Ihr seid doch jetzt selbstständig. Wollen wir nochmal sprechen? 

KW: Sie hatten es zwischenzeitlich mit einer anderen Agentur versucht – das hat nicht funktioniert. Und so landete das Projekt bei uns. 

MS: Es ging um eine große Plattform für den Nachmittagsunterricht. Wir haben die komplette UX- und UI-Gestaltung gemacht, einen technischen Partner ins Boot geholt, das Marketing mitentwickelt. Insgesamt haben wir fast fünf Jahre mit Cornelsen an dem Projekt gearbeitet. 

KW: Bei Men’s Health lief es etwas anders. 

MS: Ich wusste, dass ein Relaunch geplant ist und habe einfach angerufen – an einem Donnerstag. Die Verantwortlichen meinten: „Eigentlich ist der Pitch schon durch, aber wenn ihr bis Montag etwas einreicht, schauen wir es uns noch an.“ 

Und das haben Sie gemacht? 

KW: Ja, wir haben uns das Wochenende Zeit genommen und den Pitch vorbereitet. 

MS: Und gewonnen! Das war unser erstes richtig großes Projekt – ein kompletter Relaunch der digitalen Plattform von Men’s Health.  

KW: Diese Projekte haben uns natürlich Rückenwind gegeben. Damit konnten wir zeigen, was wir leisten können – strategisch, konzeptionell und gestalterisch. Das hat sich rumgesprochen. Es kamen weitere Kunden wie Simyo und auch die ersten Startups dazu. 

Wann haben Sie angefangen, Unterstützung zu suchen oder Leute einzustellen? 

MS: Das ging tatsächlich relativ schnell, vor allem mit den beiden ersten großen Kunden. Noch im ersten Jahr haben wir dann zwei, drei Leute eingestellt – einen Entwickler, jemanden für UX und auch Unterstützung im Visual Design. Am Ende des ersten Jahres waren wir dann fünf Leute. 

Wie viele sind es heute? 

MS: Heute sind wir 15. Zusätzlich arbeiten wir auch mit Freelancern zusammen. 

Und der Sitz ist nach wie vor in Berlin? 

MS: Ja, wir sitzen immer noch in Berlin, in einem alten Industriegebäude. Wir sind hier in einer Genossenschaft. Unser Nachbar ist Wim Wenders mit seiner Firma. Es war ein großer und glücklicher Zufall, dass eine Mitarbeiterin von ihm uns auf diese Fläche hingewiesen hat. 

KW: Die Lage in Mitte ist wirklich toll und die Räume sind fantastisch. Wir haben viel Wert darauf gelegt, einen offenen Raum zu schaffen, in dem alle zusammenarbeiten können. Auch wir als Geschäftsführer sitzen mittendrin, direkt im Team. Das war für uns eine wichtige Entscheidung, die wir mit der Zeit getroffen haben. 

Inwiefern? 

MS: Anfangs wollten wir uns in einen kleinen Glaskasten zurückziehen, aber rückblickend würden wir das nicht empfehlen. Als Geschäftsführer ist es wichtig, nah an den Mitarbeitenden zu sein. Man muss Teil des Teams bleiben, gerade wenn man noch tief in den Projekten involviert ist. 

Etwas, was da vielleicht ein Stück weit anknüpft: Auf Ihrer Website steht, Sie arbeiten „menschenzentriert“. Hat sich die Bedeutung dieses Wortes für Sie in den 15 Jahren verändert? 

KW: Wir haben damals mit dem Anspruch angefangen, UX und Marke zu verbinden. Unser Ziel war es, einen nutzerzentrierten Branding-Ansatz zu entwickeln. Das führte zur Entwicklung unseres Markenmodells, dem „Think Moto Brand BIOS®“ – ein Modell, das die Persönlichkeit einer Marke ins Zentrum stellt. Es geht darum, das Wesen einer Marke zu verstehen, zu definieren und so zu gestalten, dass sie für Menschen attraktiv und interaktiv wird. 

MS: Genau, im Mittelpunkt stand schon immer die Frage: Welche Bedeutung hat die Marke für die Menschen? Es geht nicht darum, sich selbst zu loben, sondern darum, den echten Wert für die Menschen zu betonen. Wir haben unser human-centric Modell inzwischen erweitert – es ist jetzt auch planet-centric. Das bedeutet, dass wir nicht nur den Nutzer im Blick haben, sondern auch unsere Welt und Umwelt in unseren Markenprozess integrieren. 

Das heißt was? 

KW: Von Anfang an war es uns wichtig, dass das, was wir als Gestalter und Strategen tun, in einen zeitgenössischen Diskurs eingebunden ist – sei es philosophisch, soziologisch oder politisch. Im Laufe der Jahre haben wir angefangen, unser ursprüngliches Modell zu hinterfragen, besonders die starke Nutzerzentrierung. Wenn man sich Unternehmen wie Amazon anschaut, die extrem auf Kundenfokus setzen, merkt man, dass dies auch negative Auswirkungen auf die Umwelt und ganze Märkte haben kann, wie Monopolisierung und Ressourcenverbrauch. Wir haben uns daher gefragt: Ist dieser Fokus noch richtig? Müssen wir nicht umdenken? So kamen wir zu unserem Planet-Centric-Ansatz beziehungsweise unserem Spherical Brand Model. 

Ihre Kundenliste umfasst unter anderem Automobilunternehmen wie Audi und Volkswagen – inwiefern passt das zu einer planetenzentrierten Philosophie? 

MS: Wir arbeiten zum einen für Kunden, die bereits einen starken Fokus auf Nachhaltigkeit und Verantwortung legen, wie zum Beispiel JobRad oder TMRW Impact. Zum anderen stehen auch große Industrieunternehmen auf unserer Kundenliste. Hier sehen wir die Möglichkeit, durch kleinere Schritte bereits positive Veränderungen zu bewirken, die eine erhebliche Auswirkung haben können. 

KW: Unser Ansatz ist es, eine Veränderung anzustoßen. Wir wollen den Unternehmen dabei helfen, weiter auf ihrem Weg zu kommen, auch wenn sie noch nicht alle Aspekte einer Spherical Brand vollständig umgesetzt haben. 

MS: Es geht um eine umfassende Transformation – sowohl digital als auch sozial-ökologisch. In beiden Bereichen möchten wir Unternehmen unterstützen. Das umfasst natürlich auch jene, die noch nicht den gesamten Wandel vollzogen haben. 

Und der Agenturname? Hat dieser auch etwas mit Ihrer Philosophie zu tun? 

KW: Der Name spiegelt tatsächlich beide Aspekte unserer Arbeit wider. „Think“ steht für den strategischen Teil – wir sind Strategen und strategische Designer. Alles, was wir tun, basiert auf einer fundierten Strategie und nicht einfach auf dem, was gerade modern oder schick ist. „Moto“ kommt aus dem Italienischen und bedeutet Bewegung, was das kreative Element bei uns widerspiegelt. Es steht für den kreativen, dynamischen Teil unserer Arbeit. So kombiniert unser Name das Strategische mit dem Kreativen. 


Das Interview ist Teil einer Serie zu Agentur-Gründungen in verschiedenen Jahrzehnten. Diese Folgen sind bereits erschienen:

Laura Schenk (ls, Jahrgang 2002) ist seit August 2023 Werkstudentin bei der absatzwirtschaft. Die Masterstudentin hat immer Lust, sich neuen Themenbereichen zu widmen - ob New Work, KI oder Nerdkultur. Eine besondere Vorliebe hat sie für kubistische Malerei und das Schreiben in all seinen Formen. Ihrer Heimatstadt Leipzig hat sie sogar schon einen Kurzgeschichtenband gewidmet.