Gut gelöst: Neocom meistert Balanceakt zwischen Kongress und Messe mit „Integrierter Kongressmesse“

Die Neocom ist kleiner und kompakter geworden. Für die meisten Teilnehmer war das zunächst eine verblüffende Erkenntnis, dann aber eine angenehme Verdichtung von Wissenstransfer und Vernetzung.

Zwei Tage lang stand das Böhler Areal in Düsseldorf im Zeichen des E-Commerce. Gleiche Location aber doch ein ganz anderes Setup für die Neocom, die einzig verbliebene Kongressmesse im E-Commerce. Wettbewerber InternetWorld hat Messe und Kongress getrennt, die Messe findet im Frühjahr, der Kongress im Herbst statt. Spezialveranstaltungen wie die K5 konzentrieren sich vor allem auf das Kongressformat.

Und es ist nicht einfach, Kongress und Messe so zu präsentieren, dass sich beide Veranstaltungsteile nicht die Besucher klauen. Ist die Messe stark besucht und zum Beispiel das Programm auf den Messebühnen sehr hochwertig, hinterfragen die Kongressteilnehmer zu recht den Mehrwert kostenintensiver Kongresstickets. Ist der Kongress sehr stark, fehlt den Teilnehmern in den Pausen ein Stückweit die Energie, noch über die Messe zu schlendern und weitere Kontakte zu knüpfen.

Die Antwort der Neocom auf diese Herausforderung lautet Integration. Die Pausenzonen für die Kongressteilnehmer sind in der Messehalle verteilt und dadurch mischen sich die Besuchergruppen. Ein Teil des Kongressprogramms ist auch den Messebesuchern zugänglich und auf der abendlichen Party treffen sich beide Zielgruppen.

Weitgehend ist das Konzept aufgegangen. Trotz oder gerade wegen der sichtbaren Verkleinerung des Ausstellungsgeländes waren permanent intensive Gespräche in Gang. Tatsächlich mussten die letzten Besucher am Donnerstagnachmittag sogar aus der Halle gebeten werden, weil diese umgebaut werden sollte.

Networking und Kommunikation sind das Herz der Neocom, die Gala war als erstes ausverkauft

Workable Kongress

Der Kongress hat daran nicht gelitten. Den Auftakt machte der Vorzeige-Blogger und streitbare SpiegelOnline-Kolumnist Sascha Lobo. Er skizzierte die weitere Entwicklung der vernetzten Gesellschaft und leitete daraus nicht nur ökonomische Potentiale sondern auch einige gesellschaftliche Fragen ab. Was passiert, wenn sich User in Foren über Krankheiten unterhalten und wenn diese Daten dann plötzlich in die Hände von Versicherungen gelangen?

Torsten Töller, der Vorsitzende des Verwaltungsrats von Fressnapf skizzierte im Gespräch mit Kai Hudetz, dem Chef des ECC Handel, wie die zukünftige Wachstumsstrategie des Tierbedarf- und Futtermittelhändlers aussieht. Internationalisierung spielt eine große Rolle aber auch die Absicherung der nationalen Führungsposition. Dabei kam die Sprache auf das schwierige Thema Marktplätze. Fressnapf lebt ein Stückweit in der permanenten Angst, ganze Kategorien an Amazon zu verlieren. Umgekehrt ist der Onlinegigant natürlich ein wunderbarer Helfer bei der Internationalisierung. Ganz ähnlich skizzierte das auch später Steven Mattwig, der Head of E-Commerce bei Tom Tailor.

Ralf Dümmel, der prominente Juror und Partner in der TV-Sendung „Höhle der Löwen“ gab Einblicke in seine erfolgreichen Wachstumsstrategien. Freilich ist der Ansatz für Unternehmen ohne drei Millionen Fernsehzuschauer eher nicht übertragbar.

Felix Kreyer ist fasziniert von der Geschwindigkeit, mit der der Berliner Anbieter Lesara neue Produkte auf den Markt bringt

Neben diesen Keynotes überzeugte der Neocom-Kongress dieses Jahr durch viele sehr praxisnahe und offene Präsentationen, die tiefe Einblicke auch in die Probleme von Unternehmen gaben, die unter den Herausforderungen der digitalen Transformation ächzen. So schilderte am zweiten Tag Felix Kreyer die unglaublichen Herausforderungen für den Modehandel aus Sicht von Marco Polo. Langfristig sieht er in Amazon nicht nur im Handel, sondern auch gegenüber Google und Facebook den stärksten Player, denn in Seattle besitzt man die besten Daten. Dennoch findet Kreyer ein ganze Reihe von Entwicklungsmodellen, die Zukunftsfähigkeit sichern können. Bewunderungswürdig, so Kreyer, ist das Konzept von Lesara, die eigenen Angaben zufolge inzwischen in der Lage sind in sechs bis acht Tagen vom Idee bis zur abgeschlossenen Produktlieferung zum Endkunden zu kommen. Eine Geschwindigkeit, bei der selbst Schnelldrehern wie Zara oder H&M schwindelig wird.

Konstruktive Messe

Viel Praxis und Tagesarbeit stand im Mittelpunkt der Messe und des offenen Vortragsprogramms auf den Messebühnen. Selbst innovative Technologien wie Virtual Reality, Künstliche Intelligenz oder Internet of things wurden im Wesentlichen vor praktischen Hintergründen diskutiert. Umsetzbarkeit, ROI-Berechnungen und der potentielle Kundenmehrwert sind die Gradmesser auch für Humanoide Roboter am Point of Sale. So präsentierte zum Beispiel Sebastian Schichtel, Director Data Driven Marketing bei der Agentur Crossmedia zum Thema Programmatic Advertising aus Sicht des Handels. Er hatte vorwiegend positive Worte für den Automatisierungsansatz, bot aber auch eine sehr pragmatische Entscheidungshilfe: Crossmedia hat ein Tool entwickelt, mit der die Wirkung eines programmatischen Ansatzes in Form einer Simulation im Vorfeld bewertet werden können.

Stellvertretend für viele Traditionsunternehmen, die inzwischen bei der Digitalisierung voranschreiten, präsentierte Frank Seemann sein Konzept Juicy Walls auf der Bühne. Aus einem 180 Jahre alten Tapetenhersteller wird ein innovatives E-Commerce-Unternehmen für personalisierten Wandbehang. „Der deutsche Mittelstand ist zwar etwas später dran mit der Digitalisierung, aber er macht es gründlich und mit langem Atem“.

Neben den digitalen Trends widmeten die Besucher besonders viel Aufmerksamkeit den Grundlagen des operativen Geschäfts. E-Mail-Experte Nico Zorn referierte über die Verzahnung der unterschiedlichen Kommunikationskanäle und legte dabei besonderen Wert auf den Umstand, dass Social Media zur Leadgenerierung eingesetzt werden kann, um möglichst viel direkte Kontakte zu entwickeln und sich auf diesem Weg auch die Einwilligung für personalisiertes Marketing zu holen.

Dass die Personalisierung nicht vor klassischen Medien halt macht zeigte Johannes van de Loo, der Gründer von SmartCom. Sein Unternehmen personalisiert Print-Produkte für Mailings, Katalog und als Paketbeilage. Der Baur-Versand ist einer seiner größten Kunden, der aus gut gepflegten CRM-Daten individuelle Mailings macht.

Und den Kern der Verbindung zwischen Klassik und Hype inszenierte Björn Schäfers. Er stellte die Shopsuche in den Mittelpunkt seines Vortrags und lies keinen Zweifel daran, dass gut gepflegte und angereicherte Produktdaten den Dreh-und Angelpunkt für eine gute Suche bilden. „Diese Informationen bilden auch die Grundlage für alles, was man in Richtung Alexa, Künstliche Intelligenz und Bots denkt“, sagt Schäfers, der derzeit für den Otto-Konzern eine Holding aufbaut unter der die komplette E-Commerce.-Wertschöpfungskette angeordnet werden soll. Acht Unternehmen gehören bereits dazu.

Und natürlich waren auf der Neocom auch einige echte Innovationen zu finden. Sven Bruck zeigte sein zur demxco erstmals vorgestelltes CRM-System Noah, mit dem er vor allem den stationären Handel anbinden und dessen wertvolle Informationen schöpfen will. Die GFK zeigte Einblicke in das neue Shopper Lab in Haßloch, wo der Kaufprozess der Kunden beobachtet wird. In Simulationen mit VR-Systemen ergab sich, dass diese gut dazu geeignet sind, zum Beispiel ShopDesigns zu testen, denn die Testergebnisse weichen nur unwesentlich von denen in realen Musterläden ab. Im Bereich Conversational Commerce feierte ein kleines Tool sogar Weltpremiere. Consumer-to-Customer heißt die Lösung, die über einen Chat Bestandskunden zu Beratern für potentielle Neukunden machen soll. In Echtzeit. Freilich funktioniert das nur, wenn man eine kritische Masse teilnahmebereiter Bestandskunden findet. Die gilt es wohl für die Leistung zu belohnen. 

Fazit

Insgesamt zeigte die Neocom ein kompaktes aber stimmiges und rundes Bild. Rund 2500 Besucher fanden laut Veranstalter den Weg ins Böhler Areal. Als Preisträger des Neo gingen dieses Jahr Modomoto im Bereich Young Business, Dr. Werner Conrad als Personality und Breuninger für die Kategorie Multichannel hervor, wobei sich letzterer mit dem Co-Finalisten Rose Bikes ein hartes Duell lieferte. „Fast hätte es ein unentschieden gegeben“, erzählt Neocom-Veranstalterin Ioana Sträter über die Jury-Arbeit.

In dieser Form hat die Neocom einen festen Platz im Veranstaltungsherbst in der E-Commerce-Landschaft. Der nächste Termin ist 10. und 11. Oktober 2018.