Wir proben den Ausstand!  

Der Jahresbeginn hat uns daran erinnert: Es gibt ein Mittel, um die eigene berufliche Situation erheblich zu verbessern. Er erscheint manchmal anachronistisch, wirkt aber prächtig: der Streik. Klingt wie eine Drohung? Gut so!
asw-kolumne-Sandra-Harzer-Kux-weiss
Sandra Harzer-Kux ist Mitglied im GWA-Vorstand und Sprecherin der Geschäftsführung von Territory. (© privat, Montage: Olaf Heß)

Es war im März auf einem Bahnsteig in Deutschland. Es war mal wieder ein Notfahrplan in Kraft. Mich fröstelte. Mein Blick ging flehend hinauf zur Anzeige, er prallte dort unerfüllt ab, schweifte umher und blieb an einer Reklametafel hängen. Was sie zeigte, weiß ich nicht mehr – aber der Slogan war so witzig, dass ich zu lachen begann, zur Verwunderung der übrigen Streikopfer am Gleis.  

In diesem Moment fasste ich einen Plan, den ich hier exklusiv offenbare: Wir machen es wie die Lokführer*innen. Wir werden streiken – schon diesen Sommer. Alle Agenturen im Land stellen den Dienst ein. Leere Anzeigenseiten, verwaiste Plakatwände, schweigende Influencer, schwarze U-Bahn-Screens, in den TV-Werbepausen kehrt das Testbild zurück.  

Mehr Wertschätzung für die Agenturdienstleistungen 

Überlegen Sie mal, was dann los wäre im Land. Trostloses Grau in den U-Bahn-Stationen. Der Konsum im Land bricht ein. Flagshipstores bleiben menschenleer, Onlineshops verzeichnen Visits im einstelligen Bereich. Neue Produkte finden keine Abnehmer, weil schlicht niemand von den Neuheiten erfährt. Und das Unvorstellbare wird Realität: EM-Ticket-Gewinnspiele finden keine Teilnehmer*innen und auch keine Gewinner*innen.  

All den Zornigen im Land würden wir bei dieser Gelegenheit erklären, worum es uns geht. Um mehr Wertschätzung für unserer Dienste. Sie schaffen nämlich einen enormen Mehrwert für sämtliche Branchen, sie sind unerlässlich für Produkt- und Abverkauf, für Markenbildung und Zielgruppenrelevanz. In den gesamten Frühstücks-TV-Sendungen der Republik würden wir dem Volk erst einmal all diese Begriffe erklären.   

Das Publikum würde Verständnis zeigen. Unsere Kund*innen würden irgendwann einlenken, unseren Forderungen nachkommen und uns weitgehende gestalterische Freiheit einräumen. Wir würden daraufhin den Streik für beendet erklären.  

Sendepause widerspricht der Natur der Branche 

Das wird natürlich alles nicht passieren. Erstens ist Deutschland im europäischen Vergleich immer noch streikfaul, ungeachtet der jüngsten Ausstände von Lokführer*innen, Flugbegleiter*innen und Kita-Erzieher*innen. In Frankreich zählt man im mehrjährigen Mittel etwa fünfmal, in Dänemark etwa dreimal so viele Streiktage pro 1000 Beschäftigte. Zweitens entlarvt die Statistik der Bundesagentur für Arbeit unsere Branche „Information und Kommunikation“ ohnehin als weit weniger streikbereit als viele andere Gewerbe. Und drittens, die allergrößte Hemmung: Wir lieben unsere Kund*innen – und wir lieben, zugegeben, die Arena der Öffentlichkeit. Eine Sendepause widerspricht dann doch stark unserer Natur.  

Mein Tagtraum am zugigen Gleis endete abrupt, als ein Zug einfuhr. Kein “Lucky Strike” also. Apropos: Erinnern Sie sich noch an diese lustigen Kampagnen der Zigarettenmarke? Die Plakate („War das Ernst? Oder August?“) hingen in allen Bahnhöfen. Ich muss heute noch lachen, wenn ich dran denke. 

Sandra Harzer-Kux ist Mitglied im GWA-Vorstand und Sprecherin der Geschäftsführung von Territory. Die Kolumnistin schreibt über die Beziehung von Kunden und Agenturen.