Was die IAA richtig macht 

Die IAA ist und bleibt eine Automesse und trägt gleichwohl zur Mobilitätswende bei: Das neue Konzept spricht auch Zielgruppen an, die mit E-Autos sonst nicht viel am Hut haben.
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Bundeskanzler Olaf Scholz lässt sich einen Besuch der IAA trotz Joggingunfall nicht nehmen. (© IAA Mobility)

An der Automesse IAA gibt es seit jeher viel Kritik, auch in diesem Jahr: Greenwashing lautet der Hauptvorwurf. Dabei tun die Organisator*innen konzeptionell das Richtige. Es geht nicht darum, dass die IAA jetzt Mobilitätsmesse heißt und das Hauptgeschehen rund ums Auto mit Teststrecken für Fahrräder und Cargo-Bikes garniert – das ist Killefit, wie man im Rheinland sagt. Richtig und wichtig ist die konsequente Festivalisierung. 

Was seit gestern in der Münchner Innenstadt passiert, mit kostenlosen Open-Air-Konzerten und „Citizens Lab“, Family Trail und mehr als 150 Autos zum Probefahren, verwandelt die einstige Fach- in eine Bürgerveranstaltung; verlagert den Schwerpunkt von der Informationsvermittlung zum mitreißenden Erlebnis. Das zieht auch Publikum jenseits der klassischen Autoklientel an – und fördert damit die Mobilitätswende: Nicht wenige Besucher*innen werden beim Schlendern vom Marienplatz bis zum Königsplatz wie nebenbei einen Eindruck davon bekommen, was E-Autos zu bieten haben und wie groß die Produktpalette schon ist.  

IAA: Nur 16 Prozent der Deutschen würden ein E-Auto kaufen 

Es ist ja so: Die Autoindustrie hat nach langem Zögern einen einschneidenden Veränderungsprozess in Gang gesetzt, ihre (deutschen) Kund*innen aber muss sie noch mitnehmen. Schließlich ist von Elektromobilität viel zu lesen, auf den Straßen aber immer noch wenig zu sehen: Nach neuen Zahlen des Center of Automotive Management (CAM) liegt der Anteil reiner Elektrofahrzeuge am Gesamtbestand der Pkw in Deutschland bei mageren 2,4 Prozent.  

Ja, die Zahl der Neuzulassungen ist derzeit vergleichsweise hoch, auch weil Käufer*innen auslaufende Fördermittel mitnahmen: Im August wurden beachtliche 86 649 Elektro-Pkw zugelassen, knapp ein Drittel aller Pkw-Gesamtzulassungen, im Juli waren es 20 Prozent. Aber: „Das Ziel der Bundesregierung von 15 Mio. Elektrofahrzeugen im Jahr 2030 wird nach derzeitigem Stand um 50 Prozent verfehlt“, stellt das CAM fest. Während die Early Adopter mit E-Autos längst versorgt sind, zögert die Mehrheit noch.  

Nur 16 Prozent der Deutschen würden beim nächsten Autokauf ein reines Elektroauto wählen, so die Global Automotive Consumer Study 2023 von Deloitte, die sich hier herunterladen lässt. Die häufigsten Bedenken der Skeptiker*innen: hohe Kosten, fehlende Ladeinfrastruktur und eine zu geringe Reichweite. 

Modell für unter 25 000 Euro? In zwei Jahren ist es soweit 

Auf der IAA wird eine andere Geschichte erzählt. Im so genannten „Open Space“, dem Ausstellungsraum in der City, ist E-Mobilität das alles beherrschende Thema, fast so, als gäbe es Verbrenner schon nicht mehr. Was nicht nur an der Präsenz asiatischer Marken liegt, allen voran des chinesischen E-Auto-Marktführers „Build your Dream“ (BYD).  

Die deutschen Autobauer überspringen gewissermaßen die Gegenwart und betonen die Zukunft: VW kündigt E-Autos der Marken Volkswagen, Cupra und Skoda für unter 25 000 Euro an, allerdings erst in zwei Jahren; eine neue Plattform für Audi und Porsche soll Reichweiten von mehr als 600 Kilometer garantieren. BMW präsentiert ein Visionsfahrzeug für seine „Neue Klasse“, die bis zu 30 Prozent mehr Reichweite und 25 Prozent mehr Effizienz verspricht. Von 2025 an soll produziert werden. 

Mercedes-Benz mit neuer Markenkampagne 

Auch Mercedes-Benz gibt mit einem „Hypermiler“ einen Ausblick auf eine neue Modellfamilie, mit Reichweiten von mehr als 750 Kilometern und Schnellladen von bis zu 400 Kilometern in 15 Minuten. Stromverbrauch 12 kWh je 100 Kilometer – Vorstandsvorsitzender Ola Källenius spricht vom „Ein-Liter-Auto für das Elektrozeitalter“.  

Auch dies ein so genanntes Konzeptfahrzeug, wenngleich „seriennah“, so die Formulierung. Zugleich startete Mercedes-Benz die neue globale Markenkampagne „Defining Class since 1886“, in der Schüler*innen durch eine Halle historischer Mercedes-Modelle toben (zum Video geht’s hier). Die Botschaft: Wir sind die Pioniere, die Maßstäbe setzen. Sicher, das ist wunderbar fotografiert, aber – war da nicht was mit Tesla? 

NYT: „Deutsche Autobauer zeigen Visionen – die Chinesen Modelle“  

So eindrucksvoll der Ausblick auf die Zukunft, so sehr beschleicht einen der Gedanke, dass die Deutschen in all ihrer Perfektion womöglich zu langsam sind. Die New York Times fasste es in einem Bericht über die IAA so zusammen: „Die deutschen Traditionsunternehmen präsentierten Pläne, um die Produktion von Elektroautos in den kommenden Jahren auszubauen, aber die Hersteller aus China enthüllten die neuen Modelle für den europäischen Markt.“ Kurz: Die einen planen, die anderen liefern. 

In den Startlöchern: Vinfast aus Vietnam  

Und längst sind es nicht mehr nur chinesische Autobauer, die auf den westlichen Markt drängen, sondern auch Newcomer wie Vinfast aus Vietnam: 2017 gegründet, hat das seit kurzem an der Nasdaq notierte Unternehmen einen Börsenwert von 68 Milliarden Dollar, mehr als BMW und fast soviel wie Mercedes-Benz.  

In North-Carolina baut Vinfast seine erste US-Fabrik, Erstinvestition zwei Milliarden Dollar, zum Spatenstich kam der Gouverneur des Bundesstaats. In Deutschland eröffnet das Unternehmen einen Showroom nach dem anderen: Köln, Berlin, München, Hamburg, Oberhausen… Natürlich können die Fahrzeuge qualitativ nicht mit denen von deutschen Premiummarken mithalten. Doch erinnert sich noch jemand an Toyotas Anfänge in Deutschland? 

Eine gute Woche noch, und behalten Sie die Zukunft im Blick! 

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.