Von alten Rollenbildern und neuen Narrativen 

Keine zeitgemäße Marke kommt an der Diversitäts-Thematik vorbei. Doch nicht nur die Marken selbst, auch längst etablierte Tools für die Entwicklung von Markenidentitäten stehen auf dem Prüfstand. Ein Zwischenruf. 
Franziska Duerl ist GWA-Vorständin und Strategiechefin bei Jung von Matt. (© Jung von Matt)

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendeine Marke auf den Zug der Political Correctness aufspringt, um den Zeitgeist der Diversität mitzureiten. Das Konzept der Diversity hat seinen Ursprung in der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Heute setzen sich Bewegungen weltweit dafür ein, gleiche Bürgerrechte für alle Menschen einzufordern.  

Das Konzept beinhaltet drei Dimensionen: die persönliche (Individuum, Psychologie, Herkunft); die innere (Alter, Geschlecht, Ethnie) und die äußere (Ausbildung, Einkommen, Status). 

Archetypen in der Markenwelt

Längst überholt scheint in diesem Zusammenhang das Konzept der Archetypen in der Markenwelt. Archetypen dienen dazu, Marken greifbarer zu machen, folgen aber nicht selten der binären Idee, den Dingen männliche und weibliche Rollenbilder zuzuschreiben – Helden, Narren, Magier und Gesetzlose sind meist eher männlich dargestellt; Heilige, Liebende, Zauberwesen, Heilerinnen, meist eher weiblich. Archetypen folgen einer Urform und stehen für eine Erzählweise, die sich in die antike Mythologie zurückführen lässt und bis heute selbst das Storytelling Hollywoods prägt. 

Geschichten sind identitätsstiftend, weil sie grundlegende Motive und Werte vermitteln, die Menschen verbinden und Gesellschaften zusammenhalten. In ihnen steckt Herausforderung und Chance zugleich: „Die meisten Narrationen sind eng mit den Strukturen und Normen der Gesellschaft verbunden, in der sie entstehen – und haben wiederum die Möglichkeit, formend auf sie rückzuwirken“, so Ann Mbuti, freie Kulturpublizistin. Wer also daran glaubt, dass in (Marken-)Geschichten auch existentielle Wahrheiten verhandelt werden, mache Umbrüche möglich und eröffne neue Horizonte. 

Tiefsitzende Strukturen durchbrechen 

Umso wichtiger ist es, das Brands bei ihren Diversitäts-Vorhaben überlieferte soziokulturelle Codes und psychologische Prägungen der Gesellschaft nicht außer Acht lassen. Ein Thema, das Menschen umtreibt; ein Projekt, das Aufmerksamkeit verspricht; ein paar Grenzgänger*innen, die gute Storys liefern – das alles genügt nicht, um tiefsitzende gesellschaftliche Strukturen aufzubrechen. Denn bei der Frage um Diversität geht es nicht nur um das Ob. Sondern vor allem um das Wie. 

Diese Fragen sollten sich Marken stellen, bevor sie sich zu Diversität positionieren: 

1.    Für welches Narrative treten wir überzeugend ein? 

2.    Welche Motive leiten uns dabei? 

3.    Wie leben wir Diversität nach innen? 

4.    In welches Personal investieren wir dafür? 

5.    Wie wollen wir unsere Haltung zum Ausdruck bringen? 

6.    Wie viel hält unsere Marke nach außen aus? 

7.    Und, vor allem: Was sind wir bereit dafür zu riskieren? 

Die Zeit ist reif für neue Narrative 

Nach Erhebungen von Statista (2019) ist Deutschland auf Platz 5 der Länder weltweit mit der höchsten Akzeptanz für Diversität. Laut einer Kurzstudie von YouGov aus dem Jahr 2022 gab mehr als die Hälfte der Befragten (54 Prozent) an, Unternehmen sollten in ihrer Kommunikation die vielfältige Gesellschaft beachten. Eine Umfrage der Plattform Vice (The Vice Guide to 2030) zeigt, dass vier von zehn Befragten der Generation Z sich auf einer Skala zwischen männlich und weiblich eher als geschlechterneutral empfinden.  

Marken, die also in Sachen Diversität wirklich in sich gegangen sind, treffen danach auf gesellschaftliche Milieus, die neuen Narrativen gegenüber offen sind. Diese Erzählweisen können identitäts- und diversitätsstiftende Marken schaffen, indem sie den im kollektiven Unbewussten schlummernden Archetypen eine zeitgemäße Rolle geben und so eine neue Wirklichkeit formen. 

Franziska Duerl ist GWA Vorständin und Strategiechefin bei Jung von Matt. Die Kolumnistin schreibt bei uns im Wechsel mit Larissa Pohl und Roland Bös über Kollaborationen von Agenturen und Kunden.