Das grüne Krankenhaus wird zur Marke

Wo es um Menschenleben geht, dürfen Klima- und Ressourcenschutz keine Rolle spielen? Das setzt falsche Prioritäten, finden immer mehr Kliniken. Sie zeigen, dass es auch anders geht.
Klimaschutz Krankenhaus: Essensausgabe
Die Nachhaltigkeit des Arbeitgebers spielt auch für Angestellte in Krankenhäusern eine Rolle. (© Ines Walter, Evangelische Kliniken Essen-Mitte)

Wer schon einmal im Krankenhaus gelegen hat, kennt das Problem: Müllberge durch Einmalprodukte. Sieben bis acht Tonnen Abfall verursacht der Klinikbetrieb nach Schätzungen von Fachleuten jeden Tag bundesweit – und das ist nur ein Nachhaltigkeitsaspekt von vielen. Der Gedanke an eine Öko-Bilanz erscheint da eher verwegen. Oder? 

Es tut sich was, und das hat viel mit gutem Marketing zu tun. „Kein Krankenhaus will heute als Dreckschleuder dastehen“, sagt Thorsten Schabelon, Leiter Marketing und Kommunikation bei den Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM). „Auch wir stehen im Wettbewerb und wollen uns abheben.“ Vorbei die Zeiten, in denen sich Hospitäler damit herausreden konnten, dass es ja schließlich um die Rettung von Menschenleben gehe – und der Blick auf Ressourcen daher fehl am Platz sei. Schabelon: „Für Patient*innen und Mitarbeitende spielt zunehmend eine Rolle, wie ein Krankenhaus beim Thema Nachhaltigkeit aufgestellt ist.“ 

Employer Branding durch Nachhaltigkeit

Aus Marketing-Sicht geht es vor allem um Zielgruppen, die sich den Ort ihrer Behandlung aussuchen können, besonders bei Eingriffen, die von Krankenkassen großzügig vergütet werden. Womöglich noch wichtiger ist das Image als Arbeitgeber – wo das Personal so knapp ist wie in Medizin und Pflege, geht es nicht ohne Employer Branding. Professor Henriette Neumeyer, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, sagt: „Krankenhäuser, die in Belangen der Nachhaltigkeit als Vorreiter gelten, berichten immer wieder, dass sie deutlich weniger Schwierigkeiten bei der Personalgewinnung verzeichnen.“ 

Für das Werben von Fachkräften zählten vor allem soziale Faktoren wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Chancen- und Lohngleichheit für die Karriere, Geschlechtergleichheit für Führungspositionen, heißt es in einer Studie der Unternehmensberatung pwc. Doch auch grüne Themen wie der Klimaschutz spielen eine Rolle. „Nachhaltigkeitsbestrebungen gehören zu den wichtigsten Innovationstreibern der kommenden Jahrzehnte – auch in der Krankenhauslandschaft“, schreiben die Studienautor*innen. 

Vorzeigeprojekte und innovative Lösungen

Viele Krankenhäuser sind schon heute ausgesprochen kreativ, wenn es darum geht, Ressourcen und CO2-Emissionen zu sparen. Das Herz-Jesu-Krankenhaus in Fulda beispielsweise fängt treibhausrelevante Narkosegase im OP zu 99 Prozent auf, filtert sie und setzt sie erneut ein; ein ähnliches Projekt läuft an der Universitätsklinik Düsseldorf. Als vorbildlich gilt in der Branche die Berliner Charité, die sogar im OP Müll trennt und ausschließlich Arbeitskleidung mit dem Siegel „Grüner Knopf“ einkauft. Ein anderer Pionier ist die Uniklinik Freiburg, die zum Heizen auch Motor- und Abgaswärme nutzt, Gebäude mit Grundwasser kühlt und einen Wald gepflanzt hat, der 1000 Tonnen Kohlendioxid binden wird. Im vergangenen Jahr veröffentlichten die Badener einen CO2-Rechner für Krankenhäuser – damit andere dem guten Beispiel folgen. „Nur wenn Krankenhäuser die zentralen Stellschrauben kennen, können sie konkret etwas verändern“, sagt Prof. Frederik Wenz, Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Freiburg. 

Bei Schabelons Arbeitgeber, den Evangelischen Kliniken in Essen, herrsche „Aufbruchstimmung“, sagt er. Seit Mitte 2023 ist auf dem Dach der Zentralküche eine Photovoltaik-Anlage installiert, die jährlich rund 100.000 Kilowattstunden Strom erzeugt. Schabelon: „An sonnigen Tagen können wir unsere Küche dank der Anlage autark betreiben.“ Bei Lebensmittelbestellungen werden regionale Zulieferer bevorzugt, und die Cafeterien arbeiten nur noch mit Mehrweg-Geschirr, auch wenn Angestellte oder Besucher das Essen mit auf Station nehmen – eine Kooperation mit dem Start-up Relevo macht’s möglich. Die Beleuchtung wird sukzessive auf LED umgestellt, die Fahrzeugflotte auf Elektro. Und auch beim Recycling sind die Evangelischen Kliniken laut Schabelon auf einem guten Weg: Medikamentenverpackungen, Druckerpatronen oder Batterien werden ebenso selbstverständlich gesammelt wie Glasampullen, die früher achtlos im Mülleimer landeten. 

Wo es mit Nachhaltigkeit im Krankenhaus noch hakt

Bundesweit indes ist Nachhaltigkeit als strategisches Unternehmensziel erst in jedem zweiten Haus verankert, ergab eine 2023 veröffentlichte Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO. Nur jedes vierte Hospital plant seine Maßnahmen übers Jahr hinweg. Immerhin, der Trend zeigt nach oben: Nach neuen Zahlen des DKI beschäftigen 30 Prozent der Kliniken einen Nachhaltigkeitsbeauftragten, weitere 21 Prozent planen dies konkret. 

Dass es nicht so einfach ist mit dem Umsteuern, liegt meist nicht am Personal: Klimamanager*innen, die mit Widerständen etwa bei der Einführung von Mülltrennung gerechnet hatten, „bekamen Rückmeldungen wie ‚Das wurde ja auch Zeit‘“, berichtet Krankenhaus-Kennerin Neumeyer. Vielfach verhindert das Gebot der Hygiene ressourcenfreundliche Lösungen. So seien Einmalhandschuhe nicht immer vermeidbar, auch wenn ihr Einsatz 29mal so viel CO2 freisetze wie eine Handdesinfektion. Auch fehlt eine Rücknahmepflicht für Medizinprodukte wie Pinzetten und Scheren. „Die Entsorgung erfolgt über den allgemeinen Klinikabfall, der in der Regel thermisch verwertet und anschließend deponiert wird“, kritisieren Forscher des Fraunhofer Institut für Wertstoffkreisläufe und Ressourcenstrategie (IWKS). Rund 4000 Tonnen Einweginstrumente aus Chromstahl würden jährlich in Heizkraftwerken verbrannt.  

Gerade kleinere Häuser haben es zudem oft schwer, beim Einkauf neue nachhaltige Lösungen durchzusetzen – damit diese für Lieferanten profitabel sind, fehlt der Mengeneffekt. Und es gibt administrative Hürden. Mehrwegsysteme zum Beispiel sind häufig teurer als Wegwerflösungen; innovative Technik erfordert Investitionen. Die Bürokratie in dem hochregulierten Sektor sei darauf zu wenig eingestellt, klagt Neumeyer: Mehrkosten würden kritisch hinterfragt, während ökonomischer wie ökologischer Mehrwert kaum Beachtung finde. „Solange der Preis alleinig als Merkmal wesentlich ist, bremst das Wirtschaftlichkeitsgebot die Entwicklung hin zu mehr Nachhaltigkeit“, befürchtet sie.  

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.