KI – Beschleuniger oder Bremse für das Marketing? 

Der kreative Mensch darf das Steuer nicht an die Künstliche Intelligenz übergeben, sondern muss sie sich zum Co-Piloten machen. Wie sich die neuen Tools sinnvoll einsetzen lassen, erläutert unsere Gastautorin Imke Jendrosch.
Imke Jendrosch ist Gobal CMO der Ergo Group. (© Oliver Wagner, Montage: Olaf Heß)

ChatGPT, Midjourney & Co. haben die Herzen vieler User im Sturm erobert, allen voran die der hausaufgabengeplagten Schüler*innen. Die technischen Möglichkeiten faszinieren und befremden zugleich. Letzteres, weil man eigentlich nicht versteht, wie die KI genau funktioniert. Doch die Einfachheit, mit der sich produktive und Content-produzierende Aufgaben vom Computer erledigen lassen, wiegt die Skepsis auf. Die KI erfüllt Wünsche, von denen man im Berufsleben träumt: Seien es Texte, die wie von Zauberhand formuliert werden, Bilder, die mit wenigen Vorgaben auf Knopfdruck entstehen, oder gar komplette Videos, die die KI-Anwender*innen in die Rolle eines Regisseurs oder einer Regisseurin versetzen.  

Für das Marketing liegen die Chancen auf der Hand: Kommunikatives Material lässt sich scheinbar fix und in Eigenregie produzieren, ganz ohne Grafiker*innen und Texter*innen. Selbst komplette Kampagnen bis hin zum Jingle sind mittels KI bekanntlich machbar, ohne dass es noch großer Anstrengung bedarf. KI wird so zu einem tollen und zugleich nützlichen Tool, das Zeit, Ressourcen und Kosten spart. „Erstelle mir eine Werbeanzeige!“ dürfte in Zukunft wohl ein Sprachbefehl sein, der in Marketingabteilungen häufiger zu hören sein wird. All das ist zum Greifen nah. Wäre da nicht das Wenn. 

Navis und Taschenrechner nehmen die Kopfarbeit ab 

Denn wenn KI-Tools all diese Aufgaben übernehmen, könnten gleichzeitig wichtige menschliche Leistungen verlorengehen. Wir kennen diesen Technik-Effekt aus anderen Bereichen: Die Fähigkeit zum Kopfrechnen etwa wurde durch das Aufkommen des Taschenrechners vor vielen Jahren zwar nicht beseitigt, aber doch beeinträchtigt. Und heute hadern Autofahrer*innen mit einem zunehmend fehlenden Orientierungsvermögen, das durch die Omnipräsenz von Navis kaum noch gefordert ist. 

Und wenn es um Kommunikationskonzepte geht, die sich der Exzellenz verpflichtet fühlen, darf genau das nicht passieren. Erfolg im Marketing setzt Einsatzwillen und Leistungsbereitschaft voraus. Es sind die Ideen, die Inspiration, die Kreativität und die Einfälle von engagierten Menschen, die gute Werbung und Kommunikation so besonders machen. Durchschnittliches darf nicht zum Anspruch im Marketing werden, ganz im Gegenteil. Kund*innen dürfen erwarten, durch Marketing und Markenführung in besonderer Weise angesprochen, abgeholt und mitgenommen zu werden. Hier können Automatismen und Algorithmen helfen, Kund*innen zu adressieren, etwa im E-Commerce. Aber kann ein Chat-Bot begreifen, was einen Kunden im tiefsten Inneren bewegt? Kann eine KI von sich aus eine Extra-Meile für ihn oder sie gehen? Werden neue Ideen, die mehr sind als errechenbare Kombinationen, jemals von Künstlicher Intelligenz produzierbar sein? 

Sind die Promts Massenware, ist es das Ergebnis auch  

Bereits bei der künstlichen Bilderstellung fällt auf, dass sich der Stil bei unzureichenden Prompts schnell ähnelt: Anfangs ist man fasziniert von Grafik und Gestaltung, doch bald schon wirken die Bilder wie eine wiederkehrende, ermüdende Massenware. Das ist nachvollziehbar, haben doch alle Ergebnisse ihren Ursprung in dem zuvor eingepflegten Material. Doch der Pool an Trainingsdaten ist begrenzt, enthält teilweise urheberrechtlich geschützte Werke, was eine ganz eigene Dynamik in die kommerzielle Nutzung bringt. Zum anderen gilt: Sind die Prompts schon Massenware, ist es das Ergebnis auch. 

Und auch bei Texten kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Kreativität des Schreibens begrenzt ist und von den Anbietern der KI eingehegt wird. Undurchschaubare Algorithmen liefern nur glattgeschliffene Inhalte ohne stilistische Ecken und Kanten. Nichts Provokantes, nichts mit Profil. Einige dieser Punkte lassen sich sicherlich durch geschicktes Prompt Engineering lösen, also das gezielte Verfeinern von Vorgaben an die KI; eine Kompetenz, die zunehmend wichtig wird im Berufsleben. Es hilft aber auch einfach, die Grenzen von KI zu kennen, um ihre realen Möglichkeiten für das Marketing zu nutzen.  

So ist KI heute für Standardaufgaben, für erste Entwürfe, zur raschen Visualisierung von Ideen oder zur Produktion von Content geeignet. Sie kann eine hilfreiche Basis liefern, auf der man weiter aufbauen kann und schaufelt Marketingverantwortlichen im stressigen Alltag Ressourcen frei, die ihnen helfen, jene unternehmerischen Spitzenleistungen zu liefern, die von den Kund*innen zurecht erwartet werden. 

KI ist keine Abkürzung zum Markterfolg 

Doch KI entbindet den Menschen nicht von seiner Verantwortung. Denn die Systeme haben kein Verständnis für den Inhalt von Fragen oder Antworten. Sie kennen keine sozialen oder kulturellen Hintergründe, haben kein Wissen von Kunst- oder Kulturgeschichte und können nicht beurteilen, ob ein Bild oder Text unangemessen oder doppeldeutig ist. Das muss weiterhin der Mensch entscheiden und je mehr Inhalte von KI generiert werden, desto mehr wird es auf seine Expertise ankommen, um aus der Masse an Vorschlägen das wirklich Einzigartige zu schaffen.   

Die Fähigkeiten von KI, die heute für jedermann verfügbar sind, bieten zweifelsohne faszinierende Möglichkeiten. Der Marketingnutzen im Sinne einer Arbeitserleichterung im beruflichen Alltag liegt auf der Hand. Doch wer KI als bequeme Abkürzung zum Markterfolg versteht, der irrt sich. Sie ist ein Co-Pilot, der gepaart mit menschlicher Marketingexpertise, Erfahrung und Achtsamkeit den Raum für echte Spitzenleistung schaffen kann. Denn auch im Marketing gilt: „Speed is a major driver for success.“