Das Potenzial der Sharing Economy für den Handel

Händler sollten ihre Geschäftsmodelle digital und technologisch anpassen, um die Erwartungen des Kunden effizient und nachhaltig zu erfüllen. Sharing Economy bietet hierzu einen vielversprechenden Ansatz, wie diverse B2C- und B2B-Beispiele zeigen.
Sharing-Modelle kommen den veränderten Konsumenteninteressen entgegen.

Von Thomas Täuber

Das Konsumentenverhalten ändert sich in vielen Branchen. Beispiel Mode: Heutzutage kann man manche T-Shirts günstiger als eine Tüte Chips kaufen, Mode ist zum Verbrauchsgut geworden. Parallel dazu verändern Nachhaltigkeitsskandale die Präferenzen der Konsumenten. Durch reinen Preiskampf können Händler nicht mehr gewinnen. Hier setzen Sharing-Konzepte an.

Sharing Economy: B2C-Anwendungsbeispiele

Smarte Anbieter haben den wahren Kundenwunsch erkannt: Modekäufer wollen ihre Stile häufig wechseln, dies aber zu einem bezahlbaren Preis und möglichst umweltfreundlich. Rent The Runway befriedigt dieses Bedürfnis und bietet bequeme Abo-Modelle für Abendmode an. Das Luxussegment, das sich durch hohe Preise und Margen auszeichnet, ist dafür bestens geeignet.

Ein komplexeres Kalkül müssen Händler wie Otto führen, der mit dem neuen Dienst Otto Now Haushalts- und Elektronikartikel vermietet. Faktoren wie Verwertung der Waren nach Ablauf der Mietdauer sowie der Reparaturservice müssen im Preis berücksichtigt werden. Auf der Umsatzseite gibt es sowohl direkte Effekte wie etwa die erhöhte Lagerumschlagsgeschwindigkeit als auch das Potenzial für zusätzlichen Umsatz mit innovativer Technik. So können auch Normalverbraucher Innovationen wie Drohnen oder VR-Brillen einfach testen.


Was ist Sharing Economy?

Sharing Economy ist ein Sammelbegriff für Unternehmen, Geschäftsmodelle und Plattformen, die das Teilen ganz oder teilweise ungenutzter Ressourcen ermöglichen. Im B2C-Bereich sind diese Konzepte durch Media-, Unterkunfts- oder auch Car-Sharing bereits fest in den Alltag integriert. Der zentrale Treiber für Sharing Economy sind die Kundenerwartungen: Konsumenten legen heute viel Wert auf Flexibilität, schnelle Verfügbarkeit und nachhaltigen Konsum.

Sharing unterstützt ein positives Unternehmensimage – selbst wenn es nicht gerechtfertigt ist. Ein Beispiel: E-Scooter. Einer Umfrage im Auftrag des Digitalverbands Bitkom zufolge ist jeder zweite Bundesbürger davon überzeugt, dass diese zum Klima- und Umweltschutz beitrügen. Experten allerdings haben gehörige Zweifel daran, dass sich die Leih-Roller als Heilsbringer gegen Staus und verschmutzte Luft erweisen. Mit einer Halbwertszeit von unter drei Monaten sind sie vielmehr umweltschädigend.


Vorteile und Potenziale von B2B-Sharing

Analog zum B2C-Bereich ist zu erwarten, dass das Modell der Sharing Economy in naher Zukunft auch den B2B-Bereich umwälzen wird. B2B-Sharing-Konzepte werden in vielen Branchen bereits seit langem verwendet, wie die gemeinsame Nutzung landwirtschaftlicher Geräte oder bei Produktion und Logistik. Die deutsche Einkaufsgemeinschaft „Elvis“ beispielsweise erlaubt über eine Plattform mittelständischen Transportunternehmen, ungenutzte Lager oder Frachtkapazitäten anderen Mitgliedern kurzfristig und flexibel zur Verfügung zu stellen.

B2B-Sharing kann Unternehmen diverse Vorteile bieten:

  • Zugriff auf sonst nicht zugängliche Ressourcen und auf innovative Technologie
  • schnelle und kosteneffiziente Reaktionen auf Marktveränderungen durch Zugriff auf bereits Bestehendes ohne langfristige Investitionen
  • Wettbewerbsvorteile durch Differenzierung und flexiblere Wertschöpfungsprozesse sowie Wachstum in neuen Servicebereichen

Insbesondere in den Bereichen IT-Struktur sowie Datenintelligenz steckt viel Potenzial für den Handel durch die Sharing Economy, wie die nachfolgenden Beispiele andeuten sollen:

B2B-Beispiel 1: Datenintelligenz

Um Prozesse mit künstlicher Intelligenz (KI) erfolgreich zu unterstützen, brauchen Unternehmen große Mengen an Kundendaten, um die Algorithmen zu trainieren. Anwendung findet KI unter anderem bei einem E-Commerce-„Recommendation Engine“, einem smarten Empfehlungsmechanismus, der Nutzern passende Produkte vorschlägt und dadurch die Konversionsrate signifikant erhöht. Das Start-up Recombee bietet Händlern dies als Service an. Teilnehmer auf der Plattform profitieren von einem gemeinsamen Pool anonymisierter Daten aus ihren E-Commerce-Stores, die zum Training des Recombee-Algorithmus verwendet werden.

B2B-Beispiel 2: Hardware und Software-Infrastruktur

Betrachten wir den „Store of the Future“. Das Konzept kombiniert Offline- und Online-Touchpoints, um den Konsumenten ein angenehmes Erlebnis zu bieten. Die Grundlage besteht aus verschiedenen Software- und Hardware-Modulen, darunter IoT („Internet der Dinge“), automatisierte Warenwirtschaft und mobile Bezahlung. Um flexibel und schnell zu agieren, sollten Händler darüber nachdenken, diese Technologieelemente zu mieten, anstatt sie selbst zu bauen. So bietet das Start-up Smartcart aus Finnland intelligente Einkaufswagen, ausgestattet mit einem Touchdisplay, mit Self-Check-out und Navigationstechnologie. B2B-Kunden profitieren von Updates der Apps und müssen nicht in den Aufbau der Infrastruktur investieren.

Start-ups wie Zippin oder AIFI, die eine Amazon-Go-ähnliche Lösung für den automatisierten Check-out entwickelt haben, bieten ebenfalls „As a Service“-Modelle an.

Sharing Economy: Fazit

Prinzipiell kann jeder Bereich der Retail-Wertschöpfungskette durch Sharing Economy neu gedacht werden. Während generell Kooperationen im Ökosystem immer wichtiger werden, stehen echte B2B-Sharing-Konzepte noch am Anfang. Das Denken der Händler ist häufig noch geprägt von Werten wie Kontrolle, Unabhängigkeit und Abgrenzung von Wettbewerben, die aber nur gefühlt im Widerspruch zu „offenen“ Sharing-Konzepten stehen.

Aufstrebende Ansätze finden sich in Bereichen wie Retail Space „as a service“, Anlagenfinanzierung sowie Supply-Chain-Liquidität. Ob B2B oder B2C: Händler sollten sich intensiv mit dem Sharing-Geschäftsmodell auseinandersetzen und überlegen, in welchen Bereichen sie eine führende Position besetzen können, um Skaleneffekte auszunutzen, die Profitabilität zu erhöhen und die Innovationskraft zu stärken.

Thomas Täuber ist Geschäftsführer bei der Accenture Deutschland GmbH, einem Managementberatungs-, Technologie- und Outsourcing-Dienstleister sowie Innovationstreiber im Bereich Digitalisierung. Täuber verantwortet die Bereiche Handel und Konsumgüter in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Russland und unterstützt unter anderem die digitale Transformation des klassischen Handels bei der Positionierung im Wettbewerb mit den großen digitalen Plattformen.

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