Apple TV+: Warum ein großer Name alleine zu wenig ist

Am 2. April wird Google+ für Privatnutzer eingestellt. Droht dieses Schicksal auch Apple TV+? Der Markenstratege Michael Brandtner erklärt in seinem Gastbeitrag, wieso es keine gute Strategie von starken Marken ist, der Konkurrenz mit "Me-too-Produkten" hinterherzulaufen.
Apple greift mit seinem Streaming Dienst Apple TV+ die Platzhirsche Netflix und Amazon Prime an

Wie die Medien aktuell berichten, steigt Apple mit einem eigenen Videostreaming-Angebot gegen Netflix, Amazon Prime Video und Co. in den Ring. Als Markenname wählte man bei der laut Interbrand aktuell wertvollsten Marke der Welt für den neuen Dienst Apple TV+.

Aus Sicht des Managements mag dieses Namensgebungsmuster logisch sein. Wann immer große Unternehmen aus ihrer Warte wichtige Entwicklungen oder Märkte übersehen haben, reagieren sie in der Regel mit einer einfachen Formel: Sie setzen auf ein „besseres Me-too-Produkt“ und den eigenen starken Markennamen.

Google+ geht vom Netz

Genau das machte auch die heute zweitwertvollste Marke der Welt laut Interbrand bei sozialen Netzwerken im Jahr 2011, nämlich Google. Damals lancierte der US-Technologiekonzern ebenfalls mit einem Plus im Namen Google+ als logische Antwort auf Facebook. Trotzdem hatte Google bei sozialen Netzwerken mit Google+ nie eine echte Chance gegen Facebook. Die Plattform wird am 2. April für Privatnutzer eingestellt.

Was Google heute und morgen vielleicht Apple trösten mag, ist, dass man nicht alleine ist. Genau das Gleiche machte etwa Barnes & Noble als Reaktion auf Amazon im Jahr 1997. So meinte der damalige CEO von Barnes & Noble sogar, dass man Amazon „killen“ werde, wenn man selbst mit bn.com online gehe.

Die gleiche Strategie wählte Microsoft sogar mehrmals, einmal mit MSN Search als Antwort auf Google, dann mit Windows Mobile bzw. Windows Phone als Antwort auf die Betriebssysteme iOS beziehungsweise Android. Und genau das Gleiche macht aktuell die Coca-Cola Company mit Coca-Cola Energy als Antwort auf Red Bull. Die Österreicher hatten ihrerseits im Jahr 2009 mit Red Bull Simply Cola ihre Antwort auf Coca-Cola herausgebracht.

Management versus Kundensicht

Nur was aus Managementsicht oft logisch erscheint, macht aus Kundensicht wenig oder besser gar keinen Sinn, speziell wenn man so gegen eine starke bereits etablierte Marke antritt.

So ist in unserer Wahrnehmung Netflix der echte und wahre Videostreaming-Anbieter. Apple TV+ wird im Gegensatz dazu „nur“ als der Videostreaming-Dienst von Apple gesehen. So war und ist in unserer Wahrnehmung Facebook das echte und wahre soziale Netzwerk. Google+ war immer nur das soziale Netzwerk von Google. Google wiederum ist in unserer Wahrnehmung die echte und wahre Suchmaschine. MSN Search (jetzt Bing) war immer nur die Suchmaschine von Microsoft. Red Bull ist der echte und wahre Energydrink. Coca-Cola Energy wird immer nur der Energydrink von Coca-Cola sein.

So gesehen war es von Microsoft brillant, dass man im Bereich Cloudservices nicht auf den Namen Microsoft Cloud setzte, sondern auf Microsoft Azure. Azure kann sich so in der Wahrnehmung eine echte, eigene Position schaffen. Zudem tritt man gegen keine Spezialmarke sondern gegen Amazon AWS und Google Cloud Platform an. Hier hat Microsoft den mit Abstand stärksten Markennamen und damit auch die mit Abstand stärkste eigene Markenstrategie und -identität. Wie man es macht, zeigt Amazon bei zwei anderen Innovationen, nämlich bei Kindle oder Alexa. Beide haben einen starken Namen und eine starke eigene Markenidentität.

Apples vergessene Erfolgsformel

Dabei müsste es Apple besser wissen. Denn niemand erkannte besser als Steve Jobs, was dauerhaften Markenerfolg ausmachte und ausmacht. So schuf er nicht nur neue Produktkategorien, er gab ihnen auch immer eigene Namen wie iPod, iPhone, iPad oder iTunes. Nur dürfte man dieses Erfolgsmuster bei Apple selbst längst vergessen haben. Sonst kann man sich Namen wie Apple Watch oder Apple TV+ nicht erklären. So kann eine Apple Watch – mental gesehen – nie dieselbe Bedeutung aufbauen wie das iPhone. Das iPhone ist für uns das echte und wahre Smartphone. Die Apple Watch wird immer nur die Watch von Apple sein, weil ihr ein eigener Name fehlt. Aus demselben Grund wird auch Apple TV+ nie die mentale Bedeutung von iTunes erreichen. Und wenn man die „Erfolgsgeschichte“ von Google+ betrachtet, ist wahrscheinlich Apple TV+ zudem keine wirklich glückliche Produktbezeichnung. Die Zukunft wird es zeigen.

 

Zum Autor: Markenstratege Michael Brandtner ist Österreichs führender Markenpositionierungsexperte, Associate of Ries & Ries und Autor des Buches „Brandtner on Branding“. Sein Blog: www.brandtneronbranding.com