Wenn Unternehmen mehr Sichtbarkeit auf Facebook, Instagram oder TikTok wollen, können sie sich vertrauensvoll an Shalin Kläre wenden. Die Social-Media-Strategin und Creatorin hat sich vor anderthalb Jahren selbstständig gemacht und betreut nun in Eigenregie Unternehmens- und Agenturkunden. Zuvor war sie Festangestellte bei der Agentur Scholz & Volkmer, bei PlayStation und beim Technologieunternehmen DJI. Aber: „In meiner Festanstellung fühlte ich mich oft eingeschränkt, da ich meine Stärken nicht gezielt einsetzen konnte“, sagt die 34-Jährige. „Mir hat der Raum gefehlt, meine Kreativität und Potenziale voll zu entfalten.“ Ein großer Vorteil des Freelancings liege für sie in der flexiblen Arbeitszeitgestaltung: „Ich kann – je nach Projekt – meinen Tag individuell strukturieren und auf meine persönliche Produktivität abstimmen.“ Kläre arbeitet entweder im Homeoffice im hessischen Neu-Isenburg, in Cafés oder in internationalen Co-Working-Spaces.

Wie läuft es finanziell? „Aktuell schaffe ich es, genauso viel zu verdienen wie in meinen Festanstellungen, aber mit weniger Arbeitszeit“, berichtet Kläre – eine für sie sehr wünschenswerte Situation. „Es ist nicht mein Ziel, in Vollzeit zu arbeiten. Ich lege großen Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance, um auch Zeit für persönliche Projekte und andere Aktivitäten zu haben.“
Ähnlich sieht es bei Robert Blessing aus. Der 43-Jährige arbeitet in einem Co-Working-Space in Ravensburg als SEA-Experte im B2B-Bereich. Er betreut für Unternehmen Werbekampagnen auf Google und LinkedIn. „Mein Verdienst ist vergleichbar mit dem eines Festangestellten“, berichtet Blessing. „Aber ich habe die Freiheit, meine Arbeit nach meiner Familie auszurichten – kann nachmittags Zeit mit meinen Kindern verbringen, abends die offenen Aufgaben abschließen“, sagt der zweifache Vater. „Das gibt mir die Flexibilität, die für uns als Familie zählt.“
Freelancer federn personelle Engpässe in Unternehmen ab
Wie die Social-Media-Strategin Kläre war auch Blessing bei verschiedenen Unternehmen angestellt, bevor er 2018 in die Selbständigkeit wechselte. Mittlerweile arbeitet er für einen festen Stamm von Kunden, der sehr stabil ist. „Die Fluktuation ist gering, weil wir oft langfristige Strategien entwickeln“, sagt Blessing. „Das schafft Planungssicherheit – für die Kunden und für mich.“ Das Geschäft habe sich insbesondere in der Corona-Krise positiv entwickelt, da viele Unternehmen stärker in Online-Werbung investiert haben, um digital präsenter zu sein.
Freelancer waren immer ein unverzichtbarer Faktor in der Marketing- und Agenturwelt. Sie kommen vor allem für Aufgaben zum Einsatz, für die sich eine Festanstellung nicht anbietet. Zudem können sie akute personelle Engpässe abfedern. Die Digitalagentur Syzygy Deutschland in Frankfurt setzt Freelancer in fast allen Bereichen ein: Projektmanagement, Kreation und Development. Allerdings: „Für 2025 sehe ich bei uns einen Rückgang der Freelancer-Einsätze“, kündigt Geschäftsführer Felix Schröder an. „Wir sind in den letzten Jahren sehr gut mit dem Teamaufbau vorangekommen und daher sehr gut aufgestellt.“ Er betont aber: „Wenn uns Spezialwissen für eine Aufgabe fehlt oder wir in bestimmten Bereichen kurzfristig skalieren müssen, dann nutzen wir sehr gern unser Freelancer-Netzwerk.“
Angebote auf Freelancermap gingen im zweiten Halbjahr 2024 stark zurück
Syzygy ist kein Einzelfall. Die Zeiten für Marketing-Freelancer werden rauer. Lange galten sie Vorreiter der New Work: zeitlich und lokal flexibel, vielfältig einsetzbar, unabhängig von lähmenden Strukturen der Unternehmen, dazu immer motiviert und hungrig auf neue Herausforderungen. Das sprach für die Freelancer, die mehrheitlich sehr gut im Geschäft waren – nicht so gut wie die Freiberufler in der IT, aber immerhin.

Nun steigt aber der wirtschaftliche Druck. Die Tendenz zeichnete sich bereits im Frühjahrsmonitor 2024 des Gesamtverbandes Kommunikationsagenturen (GWA) ab. Die Umfrage unter den Mitglieds-Agenturen ergab, dass 31 Prozent weniger Freiberufler beschäftigen wollen als bislang, nur 21 Prozent wollen die Zahl erhöhen. 48 Prozent planten mit einer konstanten Zahl.
Aufschluss über die Entwicklung geben auch die Bewegungen auf der Vermittlungsplattform Freelancermap. Hier wird die Marketing- und Agenturen-Branche von den Bereichen Grafik/Design/Kreation, Digitales Marketing und Text/Übersetzung abgedeckt. Pro Monat werden auf der Plattform jeweils bis zu 400 Projekte angeboten. Die Zahlen seien 2024 konstant geblieben, nur der Bereich Text/Übersetzung sei geschrumpft, sagt Sherin Kharabish, Director Strategic Marketing bei Freelancermap. Allerdings habe sich das Jahr sehr wechselhaft gestaltet: „Das erste Quartal war stark, während die Kurve in der zweiten Jahreshälfte extrem abknickte“, so Kharabisch. „Der digitale Bereich brach um rund 10 Prozent ein.“ Die wirtschaftliche Unsicherheit in den Unternehmen mache sich bemerkbar, so Kharabisch: „Man ist vorsichtiger mit neuen Projekten.“
Es ist für die Freischaffenden auch nicht mehr so einfach, die gewünschten Honorare durchzusetzen. „Die Zahl der Freelancer ist im Marketingbereich in den vergangenen Jahren stark angestiegen, unter anderem durch eine Welle während der Corona-Pandemie“, so die Freelancermap-Managerin. „Das führt zu deutlich höherem Wettbewerb und entsprechendem Druck auf die Preise.“ Die Konsequenz: Im Vergleich zu anderen Branchen ist die Zufriedenheit der Freelancer im Marketingbereich mit 78,2 Prozent sehr niedrig, wie eine jährliche Erhebung der Vermittlungsplattform ergibt. „Vor allem im Kreativbereich sorgen sich viele um ihre Altersversorgung“, so Kharabisch.
Die Preise fallen: 650 Euro statt 900 Euro für einen Creative Director

Einen im Moment „sehr uneinheitlichen Freelancer-Markt“ sieht Alexander Haase. Er ist Geschäftsführer der Büros Frankfurt und Stuttgart bei der Personalberatung Designerdock, die auf Jobs in den Bereichen Werbung, Design und Digital spezialisiert ist. Seine Beobachtung: „Es gibt nach wie vor Freelancer, die komplett ausgebucht sind, andere haben seit Monaten keine Aufträge mehr.“
Haase bestätigt, dass die Zahl der Freelancer in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist: „Es ist schwer zu beurteilen, woran das liegt“, so der Personalberater. „Ein Grund kann sein, dass viele Festangestellte in den wirtschaftlich guten Jahren den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt haben.“ Auch Haase sieht als Folge einen starken Druck auf die Preise: „Ein guter Creative Director konnte früher 800 bis 900 Euro pro Tag aufrufen. Heute muss er sich oft eher mit 650 Euro zufriedengeben.“ Die Folge: Viele Freelancer rutschen in existenzielle Notlagen, was zu weiterem Preisdumping führt. „Wir sehen zurzeit viele gestandene Freelancer, die gerne wieder in eine Festanstellung wollen“, berichtet Haase.
Wie alt ist eigentlich der durchschnittliche Marketing-Freiberufler? Über die Angebote auf Freelancermap lässt es sich genau ermitteln: 39,7 Jahre. Das heißt aber nicht, dass die meisten um die 40 sind. Die Altersstruktur gleich eher einer U-Form, erläutert Haase: „In den letzten Jahren arbeiten vermehrt viele junge Leute selbstständig. Dann kommt die Phase, in der man eine Familie gründet und die finanzielle Sicherheit einer Festanstellung vorzieht. Noch später hat man dann so viel Berufserfahrung und vielleicht auch finanzielle Reserven, dass Freelancing wieder attraktiver wird.“ In vielen Agenturen gelte nach wie vor das ,up or out‘-Prinzip: „Wenn man älter wird, steigt man entweder auf oder aus. Das sorgt nach wie vor dafür, dass es in Agenturen kaum ältere Mitarbeitende gibt, die nicht in Führungspositionen sind.“
KI ist Risiko, aber auch Chance für die Freiberufler
Was den Freelancer-Status unattraktiver machen könnte: Viele der damit verbundenen Freiheiten genießen mittlerweile auch die Festangestellten, vor allem Homeoffice, aber auch flexible Arbeitszeiten oder Workation. Das kann dazu führen, dass Festangestellte und Freiberufler teilweise unter den gleichen Bedingungen an bestimmten Projekten arbeiten – bis auf die Tatsache, dass man sich vom Freelancer jederzeit trennen kann. Mittlerweile rudern allerdings viele Unternehmen zurück und pochen auf Regelarbeitszeiten und Büro-Anwesenheit.

Aber mehr als der Seitenblick auf die Festangestellten beschäftigt die Freelancer eine andere Entwicklung: Welche Veränderungen bringt die Künstliche Intelligenz? Klar ist, dass viele Jobs wegfallen werden, die einfach durch generative KI zu ersetzen sind. Hinzu kommt, dass man von den Freelancern selbst auch erwartet, dass sie KI einsetzen – und entsprechend weniger Zeit für bestimmte Aufgaben brauchen. Ein Beispiel sind die automatisierten Buchungstools, die Google mittlerweile anbietet. „KI macht das Schalten von Kampagnen einfacher“, sagt SEA-Experte Blessing. Aber die Entwicklung beunruhigt ihn nicht: „Ohne zu verstehen, wie die spezifische KI der Werbeplattformen funktioniert und welche Daten sie braucht, wird das schnell zum Problem.“ Falsch angelernt, optimiere die KI für günstige, aber irrelevante Klicks. „Deshalb sind Online-Marketing-Experten weiterhin unverzichtbar“, so Blessing.
Laut Syzygy-Geschäftsführer Schröder verändert sich die Aufgabenstellung so, wie für die Agenturen auch: „Freelancer müssen erkennen, welche KI-Tools sie wo und wie bei ihrer Arbeit bestmöglich unterstützen können. In der Regel sprechen wir hier über Zeitgewinn bei der Erstellung der Arbeitsergebnisse, also Effizienz.“ Zudem müssen sie laut Schröder lernen, welche Möglichkeiten der Einsatz von KI für eine bessere User-Experience bietet. Das ist dann die Seite der Produktentwicklung.“
Die Freischaffenden sind auf jeden Fall gut beraten, bei KI in den Fahrersitz zu kommen und nicht nur zu reagieren. Vor allem, wenn ihre Kunden das Thema nicht schon selbst vorantreiben. Dann können Freelancer mit neuen Anwendungen sogar punkten – wie es Social-Media-Strategin Kläre tut: „Ich arbeite kontinuierlich daran, mithilfe von KI smarte Prozesse zu entwickeln, die nicht nur mir, sondern auch meinen Kunden helfen.“ Genau hier liegt aus ihrer Sicht ein Vorteil des Freelancings: „Man kann flexibel auf Trends reagieren und sich zwischen den Projekten gezielt sein Know-how aufbauen.“
Wie sieht sie – bei all den turbulenten Entwicklungen – ihre wirtschaftliche Zukunft? „Natürlich gibt es Unsicherheiten. Aber ich sehe mehr Chancen als Risiken. Wichtig ist, sich langfristig gut aufzustellen und Ruhe zu bewahren, selbst wenn mal weniger Aufträge reinkommen.“