„Wir beobachten eine gewisse Zurückhaltung bei Investoren“

Der Bundesverband Deutsche Startups rechnet nicht damit, dass das Rekordjahr 2019 für VC-Investitionen in Deutschland in diesem Jahr übertroffen wird. Im Interview spricht Christoph J. Stresing, Geschäftsführer Politik beim Verband, über die Auswirkungen der Corona-Krise und wie sich Gründer verhalten sollten.
Christoph J. Stresing: "Tatendrang und Optimismus, ohnehin wichtige Eigenschaften für Start-ups, helfen, die aktuelle Situation erfolgreich zu bewältigen." (© Bundesverband Deutsche Startups)

Herr Stresing, wie gelingt es den deutschen Start-ups durch die Krise zu steuern?

CHRISTOPH STRESING: Der Begriff Start-up bezeichnet ja eine Entwicklungsphase von jungen, innovativen Unternehmen, der prinzipiell branchenunabhängig gilt. Die Herausforderungen der Corona-Krise orientieren sich – wie in der etablierten Wirtschaft auch – vorrangig an der Branchenzugehörigkeit und nicht so sehr an der jeweiligen Entwicklungsphase. Grundsätzlich gesprochen erfordert die Corona-Krise sicher in besonderem Maße Kreativität, Schaffenskraft und Resilienz – alles Eigenschaften, die dem Gründergeist und Unternehmertum ja ohnehin immanent sind.

Was unterscheidet dann Gründer von etablierten Unternehmen in der Krise?

Start-ups haben eine besondere Schutzwürdigkeit und eine besondere Schutzbedürftigkeit. Die Schutzwürdigkeit ergibt sich aus der speziellen Innovationskraft: Gerade junge, innovative und agile Unternehmen tragen dazu bei, Lösungen zu finden wie die Krise bewältigt werden und die digitale Transformation erfolgreich gestaltet werden kann. Ein Beispiel dafür ist etwa das Biotechnikunternehmen Curevac, das an einem Corona-Impfstoff forscht oder Start-ups im IKT-Bereich (Informations- und Kommunikationstechnik, Anm. d. Red.).

Die Schutzbedürftigkeit ergibt sich daraus, dass die herkömmliche Finanzierungslogik bei Start-ups meistens nicht greift: Sie finanzieren sich oft durch Wagniskapital und sind nicht „bankable“, das heißt die allgemeinen, kreditbasierten KfW-Hilfen können sie nicht in Anspruch nehmen. Dadurch besteht die Gefahr, dass Start-ups  die grundsätzlich „on Track“ sind aufgrund der Unsicherheit im Umfeld kein Wagniskapital bekommen und dadurch die Geschäfte nicht fortführen können.


Zur Person: Christoph J. Stresing ist seit Mai 2019 Co-Geschäftsführer beim Bundesverband Deutsche Startups. Dort verantwortet er die Bereiche Politik, Presse und Research. Zuvor war er sieben Jahre beim Bundesverband Deutsche Kapitalbeteiligungsgesellschaften als Leiter politische Kommunikation tätig, die letzten fünf Jahre davon zusätzlich als stellvertretender Geschäftsführer.


Was zeichnet das angekündigte, zwei Milliarden-Euro-Hilfsprogramm der Bundesregierung für Start-ups aus und wie funktioniert es?

Das Hilfspaket gliedert sich in zwei Säulen: Säule 1, die Corona Matching Faziliät (CMF) , die von der KfW Capital abgewickelt wird, ist ein Start-up spezifisches Instrument. Vor wenigen Jahren wäre die Zurverfügungstellung in solchem Umfang wohl kaum denkbar gewesen. Das zeigt, dass die Bundesregierung die Bedeutung einer florierenden Gründerlandschaft für die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts erkannt hat. Die CMF funktioniert dabei wie folgt: Die öffentlichen Mittel der CMF werden mit privaten Investorengeldern gematched. Adressat sind Start-ups, antragsberechtigt sind europäische Venture Capital-Fonds. Dahinter steckt der Gedanke, dass aufgrund des Engagements privater Investments Ausfälle unwahrscheinlicher werden. Denn  private Investoren agieren renditeorientiert und minimieren mit eigenen Prüfprozessen und Erfolgseinschätzungen mögliche Fehlinvestitionen. Davon profitiert auch der öffentlich Matching-Partner, der im Übrigen auch am Upside beteiligt ist.

Die Säule 2 des Hilfspakets läuft über die Förderbanken der Bundesländer und teilweise weiterer Intermediäre. Hier können Start-ups und mittelständische Unternehmen mit einem Umsatz bis zu 75 Millionen Euro direkt Hilfen, oft Wandeldarlehen oder stille Beteiligungen, in Höhe von bis zu 800.000 Euro in Anspruch nehmen. Ein externer privater Investor ist dafür nicht erforderlich.

Welche Geschäftsmodelle profitieren in der Krise und welche haben es besonders schwer?

Hier gilt für Start-ups das Gleiche wie für die etablierte Wirtschaft: Die Betroffenheit ergibt sich im Wesentlichen aus der jeweiligen Branchenzugehörigkeit – und ist daher sehr unterschiedlich ausgeprägt. Der Reise- und Tourismusbereich ist in besonderem Maße negativ betroffen. Umgekehrt profitieren Start-ups, die digitale Geschäftsmodelle anbieten, beispielsweise rund um das virtuelle Arbeiten.

Sind Ihnen Beispiele von Gründern bekannt, die in der Krise über sich hinausgewachsen sind und besonderes geleistet haben?

Sehr viele Start-ups haben in den vergangenen Monaten Großartiges geleistet und unter Beweis gestellt, was Gründerspirit bewirken kann. Viele haben innerhalb kürzester Zeit ihr Geschäftsmodell geändert, um überlebensfähig zu bleiben. Es ist schwierig, einzelne Start-ups herauszuheben. Aber Artnight beispielsweise, ein Anbieter von Eventformaten, hat seine Angebote komplett von analog auf digital umgestellt. Das ist schon eine sehr starke Leistung. Ein weiteres tolles Bespiel ist etwa die Nachbarschaftsplattform nebenan.de, über die Nachbarschaftshilfen wie Einkäufe für Risikogruppen schnell organisiert wurden.

Fahren die Start-ups ihre Marketinginvestitionen zurück und wäre das kurzsichtig?

Oft ist es leider notwendig, die Kosten in allen möglichen Bereichen zu senken, um durch die Krise zu kommen. Das kann zwangsläufig auch zu Einsparungen in Bereichen wie Marketing führen, die grundsätzlich zur Umsatzsteigerung beitragen und Wachstum generieren. Hier im Einzelfall genau abzuwägen, ist sicher keine ganz leichte unternehmerische Entscheidung.

Wie steht es generell um die Investitionsbereitschaft zur Wachstumsfinanzierung?

Es ist derzeit sicher zu früh, um das abschließend zu bewerten. Wir beobachten aber insgesamt noch eine gewisse Zurückhaltung bei Investoren, vor allem bei Neu-Investitionen. Verständlicherweise schauen Investoren jetzt grundsätzlich erst einmal auf ihr eigenes, bestehendes Portfolio. 2019 war mit mit mehr als sechs Milliarden Euro VC-Investitionen in Deutschland ein Rekordjahr, dazu haben insbesondere einige wenige sehr große Finanzierungsrunden beigetragen. Es zeichnet sich ab, dass wir in diesem Jahr nicht daran anknüpfen werden. Aber es kann sicher auch noch zu Nachholeffekten kommen, wenn sich die allgemeine Situation stabilisiert und verbessert.  

Was raten Sie Start-ups in der aktuellen Situation?

Angesichts der unterschiedlichen Betroffenheit gibt es sicher nicht die eine Empfehlung, die für sämtliche Start-ups Geltung haben könnte. Aber es bietet sich in dieser Zeit besonders an, zum Beispiel weiter an der Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen oder auch den eigenen Prozessen zu arbeiten. Es klingt floskelhaft, aber in jeder Krise liegt ja bekanntlich auch immer eine Chance: Tatendrang und Optimismus, ohnehin wichtige Eigenschaften für Start-ups, helfen, die aktuelle Situation erfolgreich zu bewältigen und idealerweise sogar gestärkt aus der Krise hervorzugehen.

Einen Schwerpunkt zum Thema Start-ups in der Corona-Krise finden Sie in unserer aktuellen Print-Ausgabe 09-2020 der absatzwirtschaft. Diese und weitere Ausgaben können Sie hier bestellen.

(tht, Jahrgang 1980) ist seit 2019 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Davor war er zehn Jahre lang Politik- bzw. Wirtschaftsredakteur bei der Stuttgarter Zeitung. Er hat eine Leidenschaft für Krimis aller Art, vom Tatort über den True-Crime-Podcast bis zum Pokalfinale.