Altersdiversität in Unternehmen: Weg vom Jugendwahn

Diversity bedeutet nicht nur eine Vielfalt von Geschlechtern, Herkunft und sexueller Orientierung. Unternehmen müssen auch altersdiverser werden. Denn die Zukunft ist Jung und Alt, sagt die Unternehmerin Irène Kilubi.
Irène Kilubi, Diversity-Expertin (© Thomas Dashuber)

Frau Kilubi, wenn wir über Diversity sprechen, geht es meistens ums Geschlecht, die sexuelle Orientierung oder Herkunft. Warum ist so selten die Rede von ­Altersdiversität – wo sie gleichzeitig so wichtig ist?

Diversity wird oft im Zusammenhang mit Diskriminierung gesehen. Das Alter wird nicht als soziale Kategorie wahrgenommen, weil es kein offensichtliches Diskriminierungsmerkmal ist. Das ist es aber, und zwar eines, das uns alle betrifft. Ein Problem ist auch, dass niemand darüber spricht, wenn er oder sie aufgrund des Alters diskriminiert wird. Es ist viel schwieriger nachzuweisen, dass man diskriminiert wird, weil man zu alt oder zu jung ist, und nicht zum Beispiel wegen des Geschlechts.

Was heißt eigentlich „alt“ – ab wann ist man das?

Im beruflichen Kontext ab 50 Jahren. Und das ist wirklich verwerflich, wenn man überlegt, dass wir heute 100 Jahre alt werden!

Welche Arten von Altersdiskriminierung sind im Arbeitsumfeld an der Tagesordnung und warum sind sie so problematisch?

Das fängt bei der Stellenausschreibung an: Manche Unternehmen suchen zum Beispiel gezielt nur nach Mitarbeitenden bis zu einer bestimmten Altersgrenze, etwa 30. Damit werden Menschen als „zu alt“ abgestempelt für eine bestimmte Position. Viele Unternehmen gehen einfach davon aus, dass die Jüngeren technikaffiner sind – dafür aber zum Beispiel keine Führungsqualitäten haben. Hier werden Menschen aufgrund ihres Alters bestimmte Skills einfach abgesprochen.

Aber ist da nicht tatsächlich was dran, dass die ­Jungen technikaffiner sind und Ältere vielleicht ­erfahrener in Sachen Entscheidungen oder Führung?

Es stimmt schon, dass junge Menschen neue Technologien schneller lernen, denn sie sind damit „natürlich“ aufgewachsen. Das heißt aber nicht, dass jemand mit über 50 sich dieses Wissen nicht auch aneignen kann. Umgekehrt hat auch nicht jeder 50-Jährige eine Entscheidungs- oder Führungskompetenz. Das Alter sagt bei der Bewerbung nichts aus, es geht vielmehr um die Kompetenzen einer Person. Unternehmen dürfen nicht das Alter mit den Fähigkeiten von Menschen assoziieren, sondern müssen offen und empathisch allen Altersgruppen gegenüber bleiben.

Was heißt das für das Recruiting?

Schon die Kanäle, über die Stellenausschreibungen ausgespielt werden, sind wichtig. Wer nur auf Social Media nach neuen Mitarbeitenden sucht, wird auch nur Bewerbungen von jungen Menschen bekommen. Auch Sprüche wie „Wir sind ein junges, dynamisches Team“ samt Bild von jungen Menschen schließen die Älteren kategorisch aus.

Einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zufolge findet ein Drittel, alte Menschen sollten „Platz machen“ für die jüngere Generation, indem sie wichtige berufliche und gesellschaftliche Rollen aufgeben …

Da läuft etwas falsch. Älteren Menschen begegnet im Arbeitsumfeld oft das Vorurteil, dass sie weniger produktiv und wenig innovativ sind. Dabei ignoriert man aber das Wissen und die Erfahrungen dieser wertvollen Altersgruppe. Das ist eine starke Form von Diskriminierung und Ausgrenzung – diese Stereotype müssen wir in den Köpfen der Gesellschaft unbedingt ändern.

Wie kann das gelingen?

Auch Medien und Werbung tragen ihren Teil dazu bei, wie wir Ältere wahrnehmen. Sie werden entweder als alt und zerbrechlich gezeigt, sie haben keinen anderen Sinn, als sich um die Enkel zu kümmern, oder sind glücklich auf dem Kreuzfahrtschiff unterwegs. Dass Ältere – insbesondere Frauen – im Berufskontext noch mit 60 erfolgreich im Beruf gezeigt werden, ist extrem selten.

Mit welchen Folgen müssen Unternehmen rechnen, die sich Altersdiversität nicht auf die Fahnen schreiben?

Sie verlieren an Erfahrungsschatz, an Wissen, an unterschiedlichen Perspektiven. Ältere Zielgruppen machen den größten Teil der Kaufkraft aus. Wenn nur noch junge Menschen für Innovationen zuständig sind, werden deren Bedürfnisse nicht mehr berücksichtigt. Wenn es nur junge Mitarbeitende gibt, ist das nicht repräsentativ. Und wirkt sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit, die Innovationskraft und am Ende auch die Arbeitgeberattraktivität aus. Übrigens: Unternehmen stecken doppelt so viel Geld in die Weiterbildung von der jungen Generation und richten zwei Drittel ihrer Anstrengungen an die Gen Z. Das widerspricht dem demografischen Wandel und auch dem Fachkräftemangel. Es ist zu kurz gedacht und wenig nachhaltig. Und sorgt auch dafür, dass sich ältere Mitarbeitende ausgegrenzt fühlen, die schon seit vielen Jahren im Unternehmen sind. 

Ein Fokus auf verschiedene Generationen bringt auch neue Herausforderungen für HR und Führungskräfte mit sich. Wie müssen sie sich aufstellen?

Das Thema hat Topmanagement-Priorität. Es ist eine riesige Herausforderung, die man nicht unterschätzen sollte. Die Führungskräfte sind das wichtigste Bindeglied zwischen den verschiedenen Generationen, sie müssen einerseits darauf achten, dass sie auf die Werte und Bedürfnisse der jüngeren Generation eingehen, aber auch die Erfahrungen und Anforderungen der Älteren nicht außer Acht lassen.

Wie schaffen sie es, das alles unter einen Hut zu bringen?

Sie müssen neue Ansätze finden, Generationen zusammenzubringen, ein gemeinsames Verständnis schaffen, begreifen, wie eine Generation tickt und sich verhält. Sie müssen eine Kultur schaffen, in der man Dinge offen ansprechen kann, wo alle gesehen und gehört werden. Sie müssen verschiedene Optionen anbieten, damit sich alle wohlfühlen: flexible Arbeitszeiten, Remote Work, wer möchte, kann ins Office, wer nicht möchte, muss nicht. Schulungsmaßnahmen für alle zusammen, nicht nur für bestimmte Generationen wie Auszubildende oder Executives. Auch Teambuilding ist sehr wertvoll. Dabei reichen aber nicht nur Veranstaltungen, wo man in den Dialog tritt, sondern man muss richtig aktiv miteinander arbeiten.

Das klingt nach einer Mammutaufgabe. Brauchen Unternehmen neben dem oder der Diversity-Beauftragten also bald auch eine*n Cross Generation Manager*in?

Das wäre sehr wertvoll, denn so bekäme diese Diversitätsdimension auch eine viel größere Relevanz.

Inwieweit müssen sich die Mitarbeitenden selbst umstellen, wenn es mehr Altersdiversität gibt?  

Wir werden immer mehr erleben, dass junge Mitarbeitende ältere führen. Damit müssen wir umgehen lernen, denn unsere Gesellschaft ist stark von einem Senioritätsprinzip geprägt. Es geht aber nicht um Alt gegen Jung oder um entweder-oder, sondern um ein Miteinander, wo verschiedene Perspektiven, Meinungen und Erfahrungswerte erwünscht sind. Es geht nicht um Gen Z oder Ältere, sondern darum, alle zusammenzubringen. Ohne Vorurteile, in beide Richtungen. 

Wie weit sind deutsche Firmen – haben sie inzwischen erkannt, wie wichtig ältere Mitarbeitende sind? 

Solche Themen finden normalerweise in drei Phasen statt: In der ersten Phase werden wir uns langsam der Bedeutung eines Themas bewusst. Dann fangen wir an, darüber zu sprechen. Und dann tun wir etwas dagegen. Im Vergleich mit Australien, UK oder den USA hinken wir hinterher. Aber das Bewusstsein ist langsam da, es wird viel darüber gesprochen. Vielen ist klar, dass etwas getan werden muss. Aber keiner weiß, was und vor allem wie. Studien belegen, dass sich nur zehn Prozent aller Organisationen auf die Herausforderungen, die eine altersdiverse Belegschaft mit sich bringt, vorbereitet fühlen. Die meisten Unternehmen stecken noch immer mitten im Jugendwahn. Und da müssen sie raus.

(jag, Jahrgang 1980) ist freie Autorin und in der Marketingwelt zuhause. Seit ihrem Studium begeistert sie das Thema, denn es steht einfach nie still! Was heute ein Trend ist, kann übermorgen Standard sein – oder wieder weg vom Fenster. Als waschechte Münchnerin ist sie ihrer Heimat natürlich (mit Ausnahmen in Frankreich und Regensburg) treu geblieben: #schönstestadtderwelt!