Warum Retail Media neu gedacht werden muss

Die Omnichannel-Idee hat ein neues Zeitalter im Handel eingeläutet. Das betrifft auch die Handelswerbung. Vier Thesen zur Retail-Media-Revolution von Sebastian Kraemer.
Sebastian Kraemer führt seit 2018 die Geschäfte des Adtech-Scaleups Adcombi in Deutschland, Österreich und der Schweiz. (© Adcombi)

Stationärer Handel und E-Commerce wachsen zusammen. Der Fachausdruck zu diesem Trend lautet Omnichannel. Die Idee nimmt die Bedeutung des lateinischen Worts „omni“ wörtlich. Alles geht in einem allumfassenden Vertriebskanal auf. Das Omnichannel-Zeitalter verändert die Branche tiefgreifend. Und es bietet dem Handel immense Chancen.

Die Boston-Consulting-Group hat die Verschmelzung von stationärem und Online-Handel als einen wesentlichen Wachstumstreiber der kommenden Jahre identifiziert. Das Zusammenwachsen von On- und Offline führt aber auch dazu, dass das Konzept Retail Media neu gedacht werden muss – vom einstmals rein digitalen zum Omnikanal-Geschäftsmodell.

1. Retail Media bedeutet heute: digital und analog

Der Begriff Retail Media stammt aus der Online-Terminologie. Wir verstehen darunter größtenteils noch immer die Vermarktung von Werbeflächen und Daten innerhalb von Online-Shops, wie es Amazon, Zalando oder Otto erfolgreich praktizieren. Im Zeitalter des Omni-Commerce ist das zu kurz gedacht. Retail Media im modernen Sinne bedeutet Media für alle Vertriebskanäle – für die stationären und analogen, ebenso wie für die digitalen.

Die Kernidee von Retail Media ist ohnehin viel älter als das Internet. Schon immer haben Händler Werbeflächen geschaffen und vermarktet: von der Promotion-Stele im Supermarkt bis zum Kundenmagazin. In der Online-Terminologie könnte man von „On-Site“ sprechen, also Werbung auf der eigenen Plattform.

In der strategischen Verzahnung sämtlicher analoger und digitaler On-Site-Werbeflächen liegt ein enormes Potenzial. Dieses Potenzial erschließt sich vor allem im Zusammenspiel mit seinem Gegenstück: den so genannten Off-Site-Investitionen.

2. Off-Site-Werbung wird wichtiger und integrierter

Mit Off-Site bezeichnen wir klassischerweise digitale Werbeinvestitionen außerhalb der eigenen Plattform. Sie locken Kunden auf die Webseite und kurbeln die eigenen E-Commerce-Umsätze an. Das Aussterben der Cookies macht diesen Teil des Geschäfts noch wichtiger und lukrativer. Händler können die auf der eigenen Plattform gewonnenen wertvollen First-Party-Daten nutzen, um User außerhalb der eigenen E-Commerce-Plattform zu erreichen.

Auch Off-Site-Werbung muss im Zeitalter des Omnichannel-Marketings neu gedacht werden. Off-Site im Verständnis von Omni-Commerce schließt auch klassische analoge Handelswerbung mit ein. Im Verbund mit digitalen Formaten und E-Commerce bilden sie heute eine 360-Grad-Klaviatur, die es zu bespielen gilt. Große Einzelhändler wie Rewe oder Douglas setzen diese Vielkanal-Philosophie bereits erfolgreich um.

3. Von Off-Site zu Near-Site: Local Programmatic als Booster

Das bislang fehlende Puzzlestück, um diese beiden Stränge im Sinne einer konsequenten Omnichannel-Strategie effizient miteinander zu verknüpfen, ist Local Programmatic. Mit diesem Ansatz können heute ohne viel Aufwand hyperlokale Kampagnen mit mehr als 1000 Varianten individuell für jeden Standort durchgeführt werden.

Händler können auf dieser Weise ihren First-Party-Datenschatz nicht nur für ihr E-Commerce-Geschäft nutzen, sondern auch für die nächste Drive-to-Store-Kampagne. Hyperlokale Online-Werbung wird so zum Booster für Retail Media. Sie bietet ein modernes digitales Äquivalent zur klassischen Umfeld-Werbung. Aus Off-Site wird Near Site.

4. Händler werden zu Vermarktern

Der große Trend, in dem diese Entwicklungen münden, ist eine neue Rolle des Handels. Handelsunternehmen werden zu Vermarktern. Immer mehr Händler haben ihre eigenen Retail-Media-Plattformen aufgebaut und erschließen damit neue Erlösquellen. Agenturen und Vermarkter bekommen Konkurrenz durch ihre eigenen Kunden aus dem Handel.

Diese Wettbewerber sind sehr ernst zu nehmen. Denn Handelsunternehmen haben eine direkte und lang gewachsene Kundenbeziehung zu den großen Werbespendern. Und sie besitzen mit ihren digitalen Kundendaten einen Trumpf, der im Rahmen einer ganzheitlichen Omnichannel-Strategie noch besser sticht.

Fazit: Das Omnichannel-Konzept bietet Händlern ein immenses Wachstums-Potenzial. Aber Omnichannel ist weit mehr als nur die Verknüpfung der eigenen digitalen Onsite-Kanäle mit den stationären Märkten. Es bedeutet auch eine stärkere Verzahnung von digitaler und analoger Handelswerbung. Stationäre Werbung digitalisiert sich. Digitales Marketing „analogisiert“ und lokalisiert sich. Im ganzheitlichen Omnichannel-Ansatz befeuern sie sich gegenseitig.