Kaum bis keine Kennzeichnung von Werbung: Wie Landesmedienanstalten und EU dem Influencer Marketing beikommen wollen

Schleichwerber und Produktplatzierer in den sozialen Medien konnten sich bislang weitgehend sicher fühlen, weil sie sich vermeintlich in einer rechtlichen Grauzone bewegten. Das Rossmann-Urteil hat die Influencer-Branche erschüttert und ermahnt sie indirekt dazu, Werbung ordentlich zu kennzeichnen. Dabei sind aber auch die Kontrollinstanzen der Landesmedienanstalten und EU gefordert.
Immer wieder verzichten Influencer auf die Kennzeichnung von Werbung – insgesamt habe sich die Lage aber schon verbessert, meint Cornelia Holsten von der Landesmedienanstalt in Bremen

Von Lutz Frühbrodt

Die Auseinandersetzungen um Schleichwerbung beim Influencer Marketing haben eine neue Qualität erreicht. Das zeigt das vor wenigen Tagen bekannt gewordene Rossmann-Urteil. Der Verband Sozialer Wettbewerb hat hier erstmals den Gang vors Gericht gewagt, um gegen ein Unternehmen, die Drogeriekette Rossmann, juristisch vorzugehen. Nach Ansicht des Verbands hat Rossmann die werblichen Inhalte eines von ihm engagierten Instagramers nicht ausreichend kennzeichnen lassen. Anfang Juni folgte das Oberlandesgericht Celle dem Verband mit seinem Urteil.

Bisher hießen die Kampfmittel der Wahl auf Seiten von Unternehmen und Verbänden Abmahnungen, die auf staatlicher Seite zuständigen Landesmedienanstalten wirkten vor allem hinter den Kulissen und griffen mit Ermahnungen zu deutlich schwächeren Maßnahmen. Das Rossmann-Urteil demonstriert zudem noch einmal eindrucksvoll, dass Schleichwerbung und nicht gekennzeichnete Produktplatzierung auf sozialen Medien wie Instagram und Youtube ein ernstes Problem darstellen. Doch wie groß ist das wahre Ausmaß? Und: Wenn es denn wirklich so schlimm ist, wie die Entwicklungen der vergangenen Monate andeuten, werden dann auch ausreichende Gegenmaßnahmen getroffen?

Wenn Influencer zu Schleichwerbern werden

Genaue Zahlen haben bisher nur die Nachbarn in Österreich ermittelt. In einer Studie für die österreichische Regulierungsbehörde RTR untersuchten Medienforscher der Hochschule St. Pölten die 100 meistgesehenen Videos auf Youtube. Ergebnis: 54 der österreichischen Top-100 enthielten eindeutig Produktplatzierungen, ganze neun davon waren entsprechend gekennzeichnet. Drei der untersuchten Videos enthielten direkte Kaufaufforderungen.

Eine entsprechende Untersuchung für Deutschland fehlt. Aber es gibt unübersehbare Anhaltspunkte dafür, dass sich viele Influencer zu Schleichwerbern machen. Am spektakulärsten war bisher der Fall von „Flying Uwe“, einem ehemaligen „Mister Hamburg“, bei dem die Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein sogar zu härteren Mitteln griff und ein Bußgeld über 10.500 Euro verhängte – nachdem er sich beharrlich weigerte, die Werbeaktionen für seine eigenen Produkte zu kennzeichnen. Ein bislang einmaliges Vorgehen.

Eine Umfrage von MEEDIA bei den zehn Landesmedienanstalten sowie anderen zuständigen Behörden hat ergeben, dass bis auf die Landesanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein noch keine andere Medienanstalt ein Bußgeld gegen YouTuber verhängt hat. Es gebe aber eine „eine Reihe laufender Verfahren“, heißt es dazu auf Nachfrage. Nur äußern könne man sich dazu nicht. Aus dem Umfeld der Landesmedienanstalten wird kolportiert, dass es dabei um bundesweit  „eine mittlere bis hohe zweistellige Anzahl“ handelt. Täglich würden bei den einzelnen Medienanstalten weitere Beschwerden eingehen.

Bereits im vorigen Jahr erzählten Medienanwälte hinter vorgehaltener Hand, dass sich Unternehmen gegenseitig abmahnen würden. Und dabei auch bestimmte Verbände eine führende Rolle spielten. Ende Juni wurde nun bekannt, dass der Verband Sozialer Wettbewerb in diesem Frühjahr offenbar eine ganze Reihe von Abmahnungen an vermeintlich oder tatsächlich schleichwerbende Influencer verschickt hat. Zu den Empfängern gehörte auch die Instagramerin Vanezia Blum. Seitdem erscheinen Werbe-Inhalte mit dem Hashtag #Werbung.

Landesmedienanstalten setzen auf Selbstheilungskräfte des Marktes

Ohne Frage liegt die Hauptverantwortung bei den Influencern selbst. Doch bei genauerer Betrachtung drängt sich die Frage auf, ob die Landesmedienanstalten durch ihre bisherige Politik nicht auch die mangelnde Werbekennzeichnung gefördert haben. Der Ansatz der öffentlichen Aufseher besteht aus zwei Komponenten. Die eine: Hinter den Kulissen auf schleichwerbende Influencer einwirken und sie zu einer Verhaltensänderung bewegen. Nach Selbsteinschätzung der Medienanstalten ein Erfolgsmodell. Die andere Komponente: In der Öffentlichkeit und bei der breiten Masse der Influencer Aufklärungsarbeit leisten. Hier stellen sich die Verantwortlichen der Landesmedienanstalten ein gutes Zeugnis aus. „Die Kennzeichnung hat sich erheblich verbessert“, meint Cornelia Holsten, Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt gegenüber MEEDIA.

Sie glaubt an die so genannten Selbstheilungskräfte des Marktes. Wenn Influencer kritische Kommentare unter nicht gekennzeichnete Videos oder Bilder von anderen Influencern setzten, dann würde das die Glaubwürdigkeit des schleichwerbenden Influencers in Frage stellen. Und Glaubwürdigkeit sei schließlich das höchste Gut der Internetstars.

Holstens Lieblingsbeispiel ist das des schwedischen Youtubers Pewdiepie. Nachdem im Juni 2016 bekannt wurde, dass der Gamer seine Zusammenarbeit mit dem Medienkonzern Warner nicht ordnungsgemäß gekennzeichnet hatte, musste er seine Kommentarfunktion deaktivieren. Zu viel Kritik und Spott der Mediennutzer schlugen ihm entgegen. Pewdiepie verlor zumindest vorübergehend deutlich an Reichweite. „So etwas passiert nur einmal“, ist sich Holsten sicher. „Und solche Fälle bekommt die Branche natürlich mit.“

Wie und was im Einzelnen zu kennzeichnen ist, haben die Landesmedienanstalten in einem kurzen Leitfaden zusammengefasst, der die Zielgruppe im lockeren „Du“ adressiert und die Influencer recht sanft zu einem „Sollen“ ermuntert statt ein klares „Muss“ zu fordern. Die Medienanstalten haben den Leitfaden erstmals im Herbst 2015 veröffentlicht. Im Juli dieses Jahres haben sie eine Neufassung lanciert – wie es scheint, als Reaktion auf das Rossmann-Urteil von Anfang Juni. Denn die Drogeriekette führt an, sie habe getreu dem Leitfaden von 2015 mit „#ad“ gekennzeichnet. In der überarbeiteten Version raten die Landesmedienanstalten nun dazu, werbliche Instagram-Posts mit „#anzeige“ oder „#werbung“ zu versehen. Kennzeichnungen wie „#ad“ könnten dagegen „derzeit“ nicht empfohlen werden.

Richtige Kennzeichnung von Werbung: Soziale Netzwerke reagieren

Das Rossmann-Urteil lässt sich also zumindest indirekt auch als Rüffel der Landesmedienanstalten interpretieren. Wären Influencer bei der Kennzeichnung von Werbung disziplinierter, hätte es mehr als nur ein saftiges Bußgeld gegeben? Wäre dann der mühselige Weg über Abmahnungen überflüssig? Immerhin: Es kommt Bewegung in die Sache – und dies gleich an mehreren Fronten.

Entwicklung Nummer eins: Die Facebook-Tochter Instagram will demnächst ein Kennzeichnungstool einführen, das Werbung wie Produktplatzierung mit der Wendung „Paid Partnership with…“ ausweist. Dieser englischsprachige Passus wird aber wahrscheinlich weder dem Verband Sozialer Wettbewerb noch deutschen Gerichten ausreichen, die bislang auch auf anderen Feldern wie dem Verlagswesen stets auf der Kennzeichnung „Werbung“ oder „Anzeige“ pochten. Außerdem stellt sich Frage: Wie sieht es dann mit einer Provider-Kennzeichnung bei Youtube aus? Muss und wird YouTube hier nachziehen?

Die zweite Entwicklung: In der zweiten Jahreshälfte hat sich der Bundesverband Influencer Marketing (BVIM) gegründet. Er will nicht nur Lobbyarbeit im Berliner Regierungsviertel leisten, sondern sich auch stark für die ausreichende Kennzeichnung werblicher Inhalte von Influencer-Content einsetzen. Der BVIM-Vorsitzende Stefan Doktorowski würde hier am liebsten direkt mit den Landesmedienanstalten zusammenarbeiten.

Und schließlich die dritte große Entwicklung: Eine neue EU-Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste ist auf dem Weg. Ende April hat das EU-Parlament eine erste Fassung verabschiedet, das die Kennzeichnungspflicht auf Videosharing-Plattformen wie Youtube festschreibt. Bis Ende des Jahres verhandelt das Parlament mit dem Europäischen Rat, mithin den Medienministern der Mitgliedsländer, über die Details. Für Deutschland hat die Richtlinie zur Folge, dass der Rundfunkstaatsvertrag über den klassischen Rundfunk hinaus um die neuen audiovisuellen Mediendienste erweitert werden müsste. Und damit auch um die in den sozialen Medien praktizierten Werbeformen.

„Ich glaube, dass wir in Deutschland schon eine ordentliche Grundlage haben“, sagt Europa-Parlamentarierin Petra Kammerevert, die maßgeblich am Entstehen der neuen Richtlinie mitgewirkt hat. Allerdings, so die SPD-Abgeordnete, würden nicht nur Paragrafen im Rundfunkstaatsvertrag neu formuliert werden. „In der Praxis würde dies für die Landesmedienanstalten bedeuten, dass sie sich um diesen Bereich dann mehr kümmern müssen als sie dies bisher tun.“ Die neue EU-Richtlinie wird voraussichtlich im Frühjahr 2018 in Kraft treten.