AI ist nicht der Boss

Warum KI (noch) nicht das Zeug zum Leader hat, warum sie Führungskräfte dennoch unter Druck setzt – und was das auch mit TUI-Chef Sebastian Ebel zu tun hat.
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Besonders in Sandwichpositionen wird Künstliche Intelligenz bald viele Führungsaufgaben übernehmen oder mitgestalten. (© iStockphoto)

Wenn Sie diese Kolumne regelmäßig lesen, wissen Sie vielleicht auch, dass ich „Kollege KI“ für das Unwort des Jahres 2024 halte. Da ist es nur konsequent, dass ich vor ein paar Tagen auf einen Vortrag mit dem knackigen Titel „My Boss is an AI“ hochneugierig hereingefallen bin. Mit der Betonung auf hereingefallen. Denn der Vortrag von Peter Fischer, CEO Eurosysteam, auf der Digicon24 hielt leider nicht ganz, was der Titel versprach. Seine künstlich intelligente Chefin ist letztlich nicht sehr viel mehr als ein mit Hilfe der Pro Version von ChatGPT Pro programmierter Avatar, der Fischer nach eigenem Bekunden, „den Tag strukturiert, bei Priorisierungen hilft, seine Jahresziele in einzelne Etappen zerlegt, an Termine erinnert und manchmal auch im Zwiegespräch intellektuell challenged“.

Das ist toll. Keine Frage. Hat aber mit Führungsarbeit leider nur sehr bedingt zu tun. Selbst Fischer nennt das Ganze dann doch recht bescheiden „ein erstes Experiment“. Bei der Frage nach dem Unterschied zwischen seiner „AI als Boss“ und „KI-basierten Assistenzsystemen“ verweist Fischer auf „verschwimmende Grenzen“.

Führung wird entmystifiziert, mittleres Management unter Druck

Wesentlich interessanter als sein persönliches KI-Experiment sind Fischers Thesen über Leadership und KI. Denn darin beschreibt er sehr klar, was auf Führungskräfte dank KI zukommen und wie sich ihre Rolle verändern wird. Fischer sagt: „Da das Beauftragen von KI dem Delegieren von Aufgaben ähnelt, wird das Führen insgesamt entmystifiziert. Führungskräfte müssen Mitarbeitenden beibringen, wie man delegiert, also Teile ihres Handwerkszeugs teilen.“ Zwei weitere These lauten: „Das traditionelle Hierarchiemodell wird obsolet; KI-Systeme werden Teams koordinieren und optimieren“ und „Führungskräfte, die KI nicht adaptieren, werden durch solche ersetzt, die es tun.“

Eine Schlussfolgerung aus Fischers Thesen traue ich mir auch ganz ohne KI zu: Die Umwälzungen werden schnell und in erster Linie das mittlere Management treffen. Denn gerade in den Sandwichpositionen wird Künstliche Intelligenz schon sehr bald viele Führungsaufgaben übernehmen oder zumindest mitgestalten. Fischer schreibt dazu: „Das Bewerten von Leistungen wird sich komplett wandeln, denn Kompetenz, Expertise, Eloquenz, Fleiß, Sachverstand haben ab jetzt eine sehr kurze Halbwertszeit.“ Was Führungskräften als USP dann noch bleibt, sind eher Fähigkeiten, die man aus der New-Work-Bewegung kennt: Soft Skills nämlich wie Coachen, Moderieren und Herstellen von psychologischer Sicherheit.

In der Wochenendausgabe des Handelsblatts, die sich auf sechs Seiten der Suche nach der perfekten Vorstandsformel widmet, sagt der ehemalige Siemens-Vorstandschef Joe Kaeser mit Blick auf die nächsten zehn Jahre: „Die kognitive Ebene dürfte sehr stark durch die künstliche Intelligenz unterstützt werden und damit weniger Bedeutung haben als bisher.“ Stattdessen, so Kaeser weiter, würden die Anforderungen „eher in Richtung affektiver Werte wie Empathie, Intuition, Gewissenhaftigkeit, Beharrlichkeit, soziale Konformität, Engagement und Selbstwirksamkeit gehen“.

Wertekompass und Haltungsbotschafter

Immer mehr CEOs scheinen das zu verstehen – und sich ihrer Rolle auch als Wertekompass und Haltungsbotschafter bewusst zu werden. Keine Minute zu spät, möchte man meinen. Denn spätestens seit vergangener Woche zahlreiche Wissenschaftler vor den Auswirkungen der AfD auf die deutsche Wirtschaft warnten, gehen immer mehr CEOs aus der Deckung und beziehen Stellung. TUI-Chef Sebastian Ebel etwa bekennt in einem Interview: „Beim Wort Remigration wird mir schlecht.“ Für Ebel sei die AfD „heute im Kern eine rechtsradikale Partei, die Hass sät. Ich verstehe, wenn Wähler enttäuscht sind von der Ampel. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die Menschen zu überzeugen, dass eine Protestwahl lebensgefährlich sein kann.“

Sie stimmen mir hoffentlich zu, dass diese Art von Führungsqualität noch lange nicht durch KI ersetzt werden kann.

Stressresistente Alleskönner nerven

Zum Schluss noch ein ganz anderes Thema und nach so viel harter Kost etwas deutlich Leichteres: Liebe Recruiterinnen und Recruiter, suchen Sie in Ihren Stellenanzeigen bitte nie mehr „Stressresistente Alleskönner“, die sich „Jenseits der 9-5-Mentalität“ verorten, auf ihren Unterarm „Work hard, play hard“ tätowiert haben und von sich selbst behaupten, „nur unter Druck arbeiten“ zu können. Denn diese Attribute führen die Liste der „nervigsten Floskeln in Stellenanzeigen“ an, die der Sprachlernanbieter Preply gerade in einer Umfrage ermittelt hat. Weitere Nervfloskeln für Jobsuchende sind unter anderem „echte Anpacker“, Leute mit „Hands-on-Mentalität“ und Menschen, die bereit sind für das berühmte „neue Abenteuer“.

In diesem Sinne: Eine abenteuerliche Woche – und bleiben Sie gut drauf!

ist seit mehr als 20 Jahren Journalistin, spezialisiert auf Marketing, Medien, New Work und Diversity. Sie war stellvertretende Chefredakteurin bei “Horizont”, schreibt seit 2014 als freie Autorin für diverse Wirtschafts- und Fachmedien und liebt es, als Dozentin für Fachjournalismus und Kommunikation junge Menschen für die Branche zu begeistern. Privat muss es bei ihr sportlich zugehen – am besten beim Windsurfen oder Snowboarden.