KI ist, wenn man trotzdem macht

Warum „Kollege KI“ ein saudoofes Wording ist, SAP gerade ziemlich unkultiviert wirkt, Homeoffice nicht jedes Problem löst und Theo Müller mal „Katapult“ lesen sollte.
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In den Augen unserer Kolumnistin ist "Kollege KI” nicht nur sachlich grob falsch. KI ist kein Kollege. Und auch keine Kollegin. (© Stocksy)

Herzlich willkommen zur ersten „Work & Culture“-Kolumne 2024. Und wie es jetzt schon aussieht, werden uns auch in den kommenden zwölf Monaten die Themen nicht ausgehen. Im Gegenteil: Auf alle, die auch nur irgendwie mit Arbeit und/oder Unternehmenskultur zu tun haben, kommt eine Menge zu. Und damit meine ich nicht die aktuellen Errungenschaften deutscher Arbeitsgesetzgebung von Inflationsausgleichsprämie und Mindestlohnerhöhung bis zu Änderungen beim Kinderkrankengeld und neuen Verpflegungspauschalen. Ich meine die vielen Entscheidungen, die jetzt getroffen werden müssen, um Beschäftigte bei Laune zu halten, neue Mitarbeitende zu gewinnen – und sich eventuell sogar von manchen zu trennen. 

„Kollege KI“ – schon jetzt mein Unwort des Jahres 2024

Aber kommen wir zu Sache: Im Jahr eins nach ChatGPT ist es ja fast schon eine Binse, dass Künstliche Intelligenz (KI) in sehr vielen Unternehmen sehr viele Aufgaben übernehmen und sehr viele Jobs verändern wird. Wobei spätestens jedem und jeder, seit Klarna im Dezember einen Einstellungstopp mit KI begründete, klar sein dürfte, dass verändern auch verhindern bedeuten kann. Klarna CEO Sebastian Siemiatkowski jedenfalls erklärt gegenüber dem britischen „Telegraph“, dass KI für viele Jobs „eine große Bedrohung“ darstellen könne. 

Ich habe es in dieser Kolumne schon öfter geschrieben: Angesichts des steigenden Fachkräftemangels müssen derlei KI-Szenarien per se keine schlechte Nachricht sein. Dennoch bekomme ich – ganz ganz vorsichtig ausgedrückt – heftigen Puls, wenn ich in redaktionellen Beiträgen von „Kollege KI“ lesen muss. In meinen Augen ist das nicht nur sachlich grob falsch. KI ist kein Kollege. Und auch keine Kollegin. Auf KI basieren schlicht und ergreifend jede Menge nützliche Software und Anwendungen, die (auch) in der Arbeitswelt (meist zu Recht) hochwillkommen sind, deren Vermenschlichung man als Mensch aber tunlichst widerstehen sollte. Oder um es positiver auszudrücken: KI ist, wenn man trotzdem macht. 

Ist das Unternehmenskultur oder kann das weg?

Einen ganz anderen Blick auf die Zukunft unserer Arbeit eröffnen kürzlich bekannt gewordene Pläne von SAP. Laut Handelsblatt will der Softwarekonzern seine Mitarbeitenden künftig nicht mehr nur nach fachlichen Leistungen bewerten, sondern auch in drei Kategorien einteilen: Performer, Achiever und Improver. Die Performer, Sie ahnen es, bekommen am Ende größere Boni, und die Achiever sind im Unternehmen zumindest gut gelitten. Den Improvern jedoch soll es bald an den Kragen gehen, unter anderem in Form von verpflichtendem Coaching, das ihnen bei der eigenen Verbesserung helfen sollen. Ob es dabei bleibt? Laut Handelsblatt wünscht sich der Konzern auch eine „größere Fluktuation“, vor allem in Deutschland. Dazu passt, dass SAP offenbar sogar Quoten ausgeben will, wie viele Improver die Führungskräfte in ihren jeweiligen Teams ausfindig machen sollen. 

Noch ist das Ganze nicht in trockenen Tüchern, die Verhandlungen mit dem Betriebsrat laufen. Doch bei mir werfen die SAP-Pläne schon jetzt zwei Fragen auf. Erstens: Was ist an verpflichtenden Coachings eigentlich so schlimm, dass sie für Improver als Abschreckung dienen? Und zweitens: Ist das Einteilen von Mitarbeitenden in Performance-Kategorien eigentlich noch Unternehmenskultur oder kann das schon weg? 

Geld und Homeoffice sind auch (k)eine Lösung

Als ich selbst Führungskraft war, sagte ein kluger Kollege im Rahmen einer Gehaltsverhandlung mal zu mir: „Seit Erfindung des Geldes ist der Ausdruck von Dankbarkeit ganz einfach.“ Ok, das ist jetzt ein paar Jährchen her. Damals gab es weder Firmen-E-Bikes noch Homeoffice-Optionen. Doch irgendwie scheint an dem Sätzchen auch noch heute was dran zu sein. Was die wenigsten unter Ihnen vermutlich nicht einmal überraschen wird. 

Laut nagelneuer Wechselwilligkeitsstudie von Onlyfy und Forsa jedenfalls ist für Beschäftigte ein zu niedriges Gehalt noch immer Wechselgrund Nummer eins. Danach kommen Stress und Unzufriedenheit mit der strategischen Ausrichtung des Unternehmens auf den Plätzen zwei und drei. Doch nur die Ruhe. Bevor Sie jetzt im Personalbudget hektisch die letzten Krumen zusammensuchen: Einen konkreten Wechsel für 2024 geplant haben laut Studie gerade mal 6 Prozent der Befragten, 60 Prozent wollen langfristig beim jetzigen Arbeitgeber bleiben. 

Also alles gut im neuen Jahr? Leider nein. Genauer: Mitnichten. Denn offen für einen Wechsel sind 2024 laut Studie immerhin satte 31 Prozent der Befragten. Und hier finde ich zwei Erkenntnisse der Studie besonders interessant. Erstens: Als größter Wunsch an potentielle Arbeitgeber wird von den Befragten ein guter Zusammenhalt unter Kolleginnen und Kollegen genannt. Für 71 Prozent der Beschäftigten sei dieser ein echtes „Must have“ und liegt damit weit vor flexibler Arbeitszeit auf Platz 3 (66 Prozent) und Remote Work auf Platz 7 (44 Prozent). 

Ob Remote Work- und Homeoffice-Enthusiasten an dieser Stelle hellhörig werden sollten, bleibt jedem selbst überlassen. Doch offenbar gibt es nicht wenige Menschen, die Face-to-Face-Teamwork zu schätzen wissen. Was im Übrigen auch für die Viertagewoche gilt. Aber das ist wieder ein anderes Thema, das seit Jahresanfang nun endlich auch in Deutschland im Rahmen einer Pilotstudie, an der 45 Unternehmen teilnehmen, zumindest mal mit ein paar Fakten untermauert werden soll. 

Die Zeit für Haltung ist jetzt

Apropos Fakten: Kurz vor dem Jahreswechsel wurde publik, dass sich Theo Müller, Gründer und Chef der Molkerei Müllermilch, schon des Öfteren mit AfD-Chefin Alice Weidel getroffen hat und darin nichts Schlimmes sehen kann. Laut eigenem Bekunden findet Müller in der vom Verfassungsschutz teilweise als gesichert rechtsextremistisch eingestuften Partei (Landesverbände Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt) „nicht den geringsten Anhaltspunkt“, der auf NS-Ideologie schließen lasse. 

Fast zeitgleich erreichte die Medienwelt ein mit „Notruf“ betitelter Text von Katapult-Macher Benjamin Fredrich. Die Redakteurinnen und Redakteure des Verlags aus Mecklenburg-Vorpommern würden zunehmend von „Rechten, Rechtsextremen und Querdenkern“ bedroht. Fredrich schreibt: „Wie nie zuvor merken wir derzeit, dass die Rechten stärker und selbstbewusster werden, dass sie uns einschüchtern wollen – und es tatsächlich auch klappt. Deshalb schreibe ich diesen Text. Ich will das nicht hinnehmen.“ 

Nur zwei Nachrichten unter leider immer mehr dieser Art. Natürlich können Sie jetzt fragen: Was hat das mit Work & Culture zu tun? Hier meine Antwort: Die Zeit für Haltung ist jetzt. Sowohl als Werbungtreibende wie auch als Arbeitgebende sind Unternehmen und Agenturen genau jetzt gefordert, sich für Demokratie und Freiheit stark zu machen. Sehr viele Kundinnen und Kunden, Mitarbeitende und Menschen überhaupt werden das goutieren – oder ein Fehlen dieser Haltung abstrafen. 

Außerdem: Haltung braucht es nicht nur, um anderen zu gefallen, sondern auch sich selbst. 

In diesem Sinne: Ein in jeder Hinsicht erfolgreiches Neues Jahr – und bleiben Sie gut drauf! 

ist seit mehr als 20 Jahren Journalistin, spezialisiert auf Marketing, Medien, New Work und Diversity. Sie war stellvertretende Chefredakteurin bei “Horizont”, schreibt seit 2014 als freie Autorin für diverse Wirtschafts- und Fachmedien und liebt es, als Dozentin für Fachjournalismus und Kommunikation junge Menschen für die Branche zu begeistern. Privat muss es bei ihr sportlich zugehen – am besten beim Windsurfen oder Snowboarden.