Wie geht Führung in der Krise? 

Auch für dieses Jahr haben wir eine branchenübergreifende Umfrage in Kooperation mit ANXO Management Consulting zum Thema New Work durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen Erstaunliches – vor allem mit Blick auf Unterschiede bei der Selbst- und Fremdeinschätzung von Führungskräften.
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97 Prozent der Befragten finden Resilienz in Krisenzeiten wichtig. (© Unsplash)

Seit einigen Jahren befinden wir uns im Dauerkrisenmodus. Das gilt für die Wirtschaft als System wie auch für den Einzelnen. Wann und ob die Krisenzeit zu Ende geht, kann niemand sagen. Fest steht nur: Gute Führung und der Aufbau von Resilienz, eine der Schlüsselkompetenzen unserer Zeit, spielen heutzutage eine besondere Rolle. 

Um mehr darüber zu erfahren, worauf es bei Führung in der Krise ankommt, haben wir gemeinsam mit ANXO Management Consulting eine branchenübergreifende Befragung aufgesetzt. Diese startete am 26. Juni 2023. Daten wurden bis einschließlich 21. Juli 2023 erhoben. Unsere Fragen danach, ob und wie sich Führung in der Krise vom normalen Alltag unterscheidet, haben insgesamt 121 Führungskräfte und Mitarbeiter*innen aus dem Marketing und Vertrieb von Unternehmen, Beratungen und Agenturen beantwortet. 

An unserer Umfrage haben etwas mehr Männer als Frauen teilgenommen (57 zu 40 Prozent), wobei sich die Teilnehmenden recht ausgeglichen auf verschiedene Unternehmensgrößen verteilten. 83 Prozent haben eine Führungsposition inne, wobei Frauen hier unterrepräsentiert sind. Etwa ein Drittel der Befragten stammt aus dem Dienstleistungssektor (32 Prozent), weitere 13 Prozent sind im FMCG-Bereich tätig. 

Allgemeine Ergebnisse der Umfrage 

Wie bei der Umfrage aus dem vergangenen Jahr haben wir auch dieses Mal den Führungsstil nach der Systematik von Armin Trost abgefragt: Boss, Coach, Befähiger, Partner. 

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Während 2022 der Ruf nach kooperativen und coachenden Führungsstilen besonders laut war, geben nun vier von fünf Befragten an, dass sich Führung in der Krise von der in normalen Zeiten unterscheiden sollte und es auch tut: Die Befragten schätzen die vier Führungsstile in ihrer Eignung ähnlicher ein als vorher. Interessant ist dies vor allem, weil sich 59 Prozent der Befragten vor der Krise selbst als Coach einschätzten. 

Führung: Dominanter Stil ist nicht effektiv

„Aus unserer Sicht und Erfahrung ist dies nicht überraschend, sondern spiegelt die Erfahrungen aus Krisen und wirtschaftlich schwierigen Zeiten wider“, sagt Ralf Strehlau, Geschäftsführer von ANXO Management Consulting. Und weiter: „Viele Menschen suchen in Krisenzeiten Orientierung. Dabei helfen klare und eindeutige Antworten, Lösungen und klares Führungsverhalten. Komplexe Antworten in schwierigen Zeiten führen zu Irritationen.“ Politisch zeige sich dies daran, dass starke Führungspersönlichkeiten besonders häufig gewählt werden. Im Jahr 2022 sei die wahrgenommene persönliche Krisensituation nicht so ausgeprägt gewesen. 

Den Boss-Führungsstil sehen besonders Geschäftsführer*innen als geeignet an. Fast 40 Prozent aller Befragten halten diesen dominanten Führungsstil jedoch für nicht effizient und nicht effektiv. Nur die Geschäftsführungsebene selbst ist von ihm überzeugt (48 Prozent). Das führt in Krisen zwangsläufig zu mehr Konflikten zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden, sagt Dagmar Strehlau, Partnerin bei ANXO: „Insbesondere, wenn in normalen Zeiten ein anderer Führungsstil dominiert und die Führungskraft in Krisenzeiten ihren Führungsstil in ‚Boss‘ ändert. Je länger die Krise dauert, desto intensiver wird dieser veränderte Führungsstil wahrgenommen.“ 

Werteorientierte Führung in der Krise 

Während fast neun von zehn Befragten angeben, dass werteorientierte Führung in ihren Teams grundsätzlich stattfindet, sinkt dieser Wert mit Bezug auf Krisenzeiten leicht; dann stimmen nur noch acht von zehn Befragten der Aussage zu. Blickt man auf die Mitarbeitenden, so liegt dieser Wert deutlich niedriger: Nur 55 Prozent von ihnen sind der Meinung, dass werteorientiere Führung auch in Krisenzeiten stattfindet.

Die Gründe hierfür vermutet Dagmar Strehlau in der Prioritätensetzung der Führungskräfte: „Leider sehen wir immer wieder, dass nur in wirtschaftlich stabilen Zeiten Themen wie Unternehmenskultur auf der Agenda des Managements stehen. In Krisenzeiten rücken die ‚nackten Zahlen‘ in den Mittelpunkt.“ In gewisser Weise sei dies verständlich: „Mit Kultur kann man keine Gehälter bezahlen.“ 

Die Rolle von Resilienz in Krisenzeiten 

97 Prozent der Befragten finden Resilienz in Krisenzeiten wichtig. Der Unterschied zwischen der Selbst- und der Fremdeinschätzung von Führungskräften ist dabei bemerkenswert: 86 Prozent schätzen sich selbst als resilient ein, aber nur gut jede*r Zweite (52 Prozent) würde das von ihrer oder seiner Führungskraft behaupten. 

Ähnlich stark divergiert die Einschätzung mit Blick auf die Förderung der Resilienz von Mitarbeitenden: 86 Prozent der Führungskräfte meinen, sie würden ihre Mitarbeitenden dabei unterstützen, resilienter zu werden. Allerdings stimmt dem nur etwa ein Drittel (31 Prozent) der Mitarbeiter*innen zu. Liegen die Führungskräfte mit ihrer Selbsteinschätzung als Coach also falsch? Ralf Strehlau: „Wir sehen immer wieder, dass das Eigen- und das Fremdbild der Führungskräfte nicht deckungsgleich sind. Sie schätzen sich häufig als sensibler und sensitiver ein, als sie von den Mitarbeitenden wahrgenommen werden.“ Das sei also nichts Neues. Dagmar Strehlau ergänzt: „Wichtig ist hier die Feedbackkultur in einem Unternehmen. Nur wenn diese gut ausgeprägt und etabliert ist, kann man bei den einzelnen Mitarbeitenden den Aufbau der Resilienz unterstützen.“ 

Aktive Maßnahmen wie ein externes Coaching werden nur selten selbst genutzt oder angeboten. Die meisten Maßnahmen sind gar keine beziehungsweise eher passiv zu verstehen, zum Beispiel „gesunder Optimismus“ oder „Akzeptanz der Änderungen“ und tragen nicht zur Stärkung der Resilienz bei. Nur weil sich jemand selbst als Coach einschätzt, bedeutet dies noch lange nicht, dass er oder sie der Rolle gerecht wird. Hier gibt es eindeutig Handlungsbedarf, daran lassen die Umfrageergebnisse keinen Zweifel. 

(ccm, Jahrgang 1984) ist seit Oktober 2021 Chefredakteurin der absatzwirtschaft. Neben der Weiterentwicklung der journalistischen Marke verantwortet sie für die crossmediale Themenplanung sowie die Konzeption und Pilotierung neuer Formate mit Schwerpunkt Digital Storytelling. Aufgewachsen zwischen Südamerika und Deutschland lebt sie aktuell mit Freund und Kater in Köln.