Adobe-Manager Chandra: „KI muss menschlicher werden als sie heute ist“

Seit Jahrzehnten ist Adobe für Kreativ-Software wie Photoshop bekannt – heute jedoch erwirtschaftet die Firma aus dem kalifornischen San José ein Drittel des Umsatzes mit Online-Marketing-Lösungen. Aseem Chandra, Senior Vice President für Experience Cloud, diskutiert mit absatzwirtschaft über Branchentrends und die Frage, ob Roboter besser verkaufen als Menschen.
Aseem Chandra, Senior Vice President für Experience Cloud

Online-Marketing hat sich in den vergangenen Jahren rasant entwickelt. Wie sieht die Zukunft aus?

Das Schlagwort heißt Künstliche Intelligenz. So allgegenwärtig sie bereits ist, so wenig ist ihr Potenzial ausgeschöpft. Wir haben gerade 600 europäische Unternehmen befragt und erfahren, dass nur elf Prozent von ihnen KI einsetzen. Das ist wie in den Anfängen der Smartphone-Revolution. In zehn oder zwanzig Jahren werden Maschinen Anwendungen übernehmen, an die wir heute nicht einmal denken.

Wie stark verändert sich dadurch das Geschäft von Adobe?

Bei allem, was wir tun, geht es heute darum, für unsere Kunden Daten zu sammeln und mit KI aus ihnen zu lernen. Wir haben schon über hundert Dienste, die auf KI basieren. Fotos ausschneiden oder retuschieren, oder das Verschlagworten von Bildern fürs Archiv, all das erledigen Maschinen akkurater als Menschen.

Welche Rolle spielen sprachbasierte Systeme?

Die nächste Kundengeneration wächst mit Voice als Medium auf – meine sieben Jahre alte Tochter spricht mit Alexa, als ob es ihre Freundin wäre. Das zwingt Marketing dazu, Geschichten neu und anders zu erzählen. Wenn die visuelle Oberfläche zur Darstellung von Produkten fehlt, müssen wir bei der Sprachkommunikation kreativer sein.

Wie bei Radiowerbung?

Der Unterschied liegt darin, dass Kunden nicht nur zuhören, sondern auch unterbrechen, nachfragen, antworten. Für dieses sprachbasierte interaktive Marketing gibt es keine Blaupause.

Widerspruch! Was ist mit Telefonmarketing, Haustürgeschäften, Verkaufs-Partys?

Da geht’s ja nicht nur um Voice, da sind die Verkäufer normalerweise Menschen. Interaktiven Vertrieb über maschinelle Sprache hat es noch nie gegeben.

Allerdings geben sich die Ingenieure große Mühe, Roboter möglichst menschenähnlich agieren zu lassen. Vielleicht ist der Unterschied doch nicht so groß.

Ja, ich stimme zu, KI muss menschlicher werden als sie heute ist. Sonst erhält sie keine gefühlsbetonte Reaktion des Kunden. Darin liegt auch eine gewisse Ironie: Die Maschine muss sich, um nützlicher zu werden, dem Menschen nähern.

Was wird noch kommen?

Ganz oben auf unserer Agenda steht die Verbindung von KI mit Voice sowie mit Augmented und Virtual Reality. Überlegen Sie nur, wie das Einkaufen der Zukunft aussehen könnte: Statt in einen Laden zu gehen oder sich in einen Online-Shop einzuloggen, setzen Sie eine Brille auf und besuchen einen virtuellen Store, dessen Warenangebot genau auf Sie zugeschnitten ist. Sie legen, was Sie kaufen möchten, in einen virtuellen Warenkorb, und am nächsten Tag wird es Ihnen geliefert. Die Technologie dafür ist vorhanden. Über kurz oder lang wird es jemand anbieten.

Adobe hat kürzlich eine “Open Data Initiative” mit Microsoft und SAP gegründet. Worum geht es dabei?

Innerhalb von Unternehmen befinden sich Daten in verschiedenen Abteilungen und in unterschiedlichen Systemen. Microsoft, SAP und wir wollen sie durch ein gemeinsames Datenmodell zusammenführen. Das verbessert Effizienz, Kundenerlebnis und Profitabilität. Wenn zum Beispiel alle Kundendaten in einem durchgängigen Format sind, wird man neue Aufschlüsse über ihre Ziele und Präferenzen bekommen. Etwa: Bei welchem Angebot ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass sie zugreifen? Das Ziel ist, es den Konsumenten so leicht wie möglich zu machen, das zu kaufen, was sie möchten.

Die Frage ist, ob alle Kunden so gut verstanden werden möchten.

Wenn Kunden das nicht möchten, müssen sie das Recht haben, es zu verweigern. Es ist Sache der Unternehmen, die Customer Journey so attraktiv und komfortabel zu gestalten, dass ihre Kunden sie angenehm finden und nicht beunruhigend.

Bei so viel digitaler Disruption: Können Sie Marketer verstehen, die sagen, ich brauch jetzt mal `ne Pause?

Unternehmen bleibt keine Wahl. Die Innovationsgeschwindigkeit wächst, und die Kunden gewöhnen sich schnell an neue technische Möglichkeiten. Wer würde heute freiwillig sein Smartphone für eine Woche abgeben oder einen Monat auf Social Media verzichten? Als Marketer ist es unsere Aufgabe, Kundenwünsche zu antizipieren, sonst wird es jemand anderer tun.

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.