Best Practice: Wie Weidmüller die Marke zum Wachstumsträger macht

Die Detmolder Weidmüller-Gruppe gehört zu den führenden Anbietern im Bereich der Verbindungstechnik. Durch eine stringente interne und externe Marken- und Überführung in einen nachhaltigen Markenmanagementprozess positioniert sich das Unternehmen im Zukunftsmarkt für Automatisierung und Digitalisierung

Die Ausgangssituation: vom Verbindungstechnik-Anbieter zum Hightech-Unternehmen

Klemmen-Valley, das Eldorado der Verbindungstechnik, liegt nicht irgendwo in Amerika, sondern mitten in Ostwestfalen. Hier vereinen die drei größten deutschen Player des Marktes für Verbindungstechnik rund 80 Prozent des weltweiten Marktanteils auf sich. Einer davon ist die Weidmüller-Gruppe, 1850 in Chemnitz als Unternehmen der Textilindustrie gegründet, startete sie 1943 mit der Produktion der ersten Staffel-Anreihklemmen. Das familengeführte Unternehmen, seit 1948 in Detmold ansässig, gilt als der Erfinder der kunststoffisolierten Reihenklemme. Ein Commodity-Produkt, das beispielsweise in Schaltschränken von Maschinen- und Anlagenbauern oder Windkraftanlagen oder Zügen verschwindet, aber unentbehrlich für die Kunden ist. Die Reihenklemme entwickelte sich zum Industriestandard und mit ihr wuchs Weidmüller zu einem Konzern mit 4 500 Mitarbeitern, der in 80 Ländern aktiv ist und 2016 einen Umsatz von 680 Millionen Euro erzielte.

Doch die Detmolder ruhen sich nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit aus, sondern stellen sich dem technischen Fortschritt. Frühzeitig konzentrierte sich Weidmüller auf die Bereiche Industrie 4.0 und Digitalisierung. Heute werden konkrete Lösungen entwickelt, mit denen produzierende Unternehmen sich auf das Internet der Dinge und die sichere Steuerung der Produktion aus der Cloud vorbereiten können.

Die Aufgabe: Einklang zwischen Markenprofil und Strategie

Bereits 2011 entwickelte das Management die Unternehmensstrategie 2020. Sie hatte zum Ziel, durch Fokussierung auf Spitzenleistungen in Technologie, Produkt und Service, durch Marktführerschaft in den Kerngeschäftsfeldern und durch profitables Wachstum als führender Anbieter von Lösungen für elektrische Verbindungen das Unternehmen im industriellen Umfeld zu
positionieren.

Es stellte sich damals die Frage, inwieweit die Positionierung der Marke zur fixierten Strategie passt. Im Auftrag des Inhabers wurden deshalb in einer groß angelegten Marktforschung Kunden, große Key-Accounter, Topmanagement, Inhaber, Multiplikatoren im Unternehmen sowie Verbände befragt, wofür Weidmüller eigentlich steht. Das Ergebnis war wenig verwunderlich: Weidmüller wurde als Anbieter von Verbindungstechnik wahrgenommen und darauf reduziert. Deshalb sah man die Notwendigkeit, das Unternehmensprofil entsprechend der strategischen Vision zu schärfen.

Weidmüller ist aus der Historie heraus ein technikgetriebenes Unternehmen. Die Marke bildet die Klammer und den Hebel, um die strategischen Ziele zu erreichen. Bei der Repositionierung der Marke wurde Wert daraufgelegt, herauszustellen, was das Unternehmen ausmacht und wie es sich vom Wettbewerb abgrenzt. Ergebnis der Erkenntnisse aus der Marktforschung war die Entwicklung der Leitidee „Let’s connect“. „In der Marke haben wir nicht nur das Was sondern vor allem das Wie definiert“, erläutert der Leiter der weltweiten Markenführung Marc Götte. 

Hinter dem Kunstwort „Industrial Connectivity“, das im Zuge der Repositionierung aus der Taufe gehoben wurde, verbergen sich die Zielgruppen, für die das Unternehmen Lösungen entwickelt. Aber der Begriff Connectivity steht für mehr als die technische Verbindbarkeit. Er steht für die Verbindung zu den Kunden sowie zu den eigenen Mitarbeitern und die Art und Weise, wie man miteinander umgehen möchte. Er steht ebenso für die Verbindung zu Forschung und Lehre, zu Verbänden und zur Gesellschaft. „Connectivity ist das, was Weidmüller ausmacht“, hebt Götte den Markenkern hervor, „Verbindbarkeit, damit verdienen wir unser Geld, aber es ist auch viel mehr.“

Die Ziele: persönliche Nähe, neue Technologien, exzellenter Service

Um sich vom Wettbewerb zu differenzieren, haben sich die Detmolder drei Markenziele auf die Fahne geschrieben. Sehr weit vorne steht die persönliche Nähe. Dazu gehören die Fähigkeiten der Vertriebler, den Kunden zuzuhören, ihre Verfügbarkeit, die Art und Weise, wie sie mit den Kunden in Dialog treten, oder die Geschwindigkeit, mit der Aufgaben bearbeitet werden.

Neben der persönlichen Nähe stellen neue Technologien ein weiteres Markenziel dar. Dahinter verbirgt sich die Verpflichtung, sich stetig weiterzuentwickeln und die digitale Transformation mit den richtigen Innovationen voranzutreiben. Deshalb beteiligt sich der Hidden Champion am Exzellenzcluster Intelligente Technische Systeme OstWestfalenLippe – kurz: It’s OWL –, der ein Wegbereiter für die Industrie 4.0 sein will. Das Technologienetzwerk hat sich zum Ziel gesetzt, neue Produkte und Anwendungen der intelligenten Automatisierungstechnik und Antriebstechnik zur Marktreife zu bringen und neue Technologien zu entwickeln.

Komplettiert wird das Zieldreieck durch ein Streben nach weltweit exzellentem Service – rund um das Produkt und zum Kunden hin. Ein Thema, das auch im Commodity-Bereich zunehmend an Bedeutung gewinnt und zur Differenzierung beiträgt.

Doch die drei Markenziele gelten nicht nur für den Produktbereich, sondern ebenso für die unterschiedlichen Unternehmensbereiche wie Operations (Fertigung, Qualität, Einkauf), Personal oder Finanzen. Allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunkten in der Operationalisierung der Markenführung. Kunden und Mitarbeiter erleben die Marke heute nicht nur über einzelne Medienkanäle oder eindimensionale Markenbotschaften, sondern machen umfassende Kommunikations-, Service- und Produkterfahrungen an vielen Kontaktpunkten. „Wenn ein Bereich ausgelassen wird, hat man einen Fehler im System und die Umsetzung der Markenpositionierung wird schwierig“, dies hält Götte für einen zentralen Faktor im Hinblick auf den Erfolg. Denn die ganzen Mühen sind umsonst, wenn die gegebenen Versprechen gegenüber Kunden oder Stakeholdern nicht eingehalten werden.

Die Umsetzung: den Marken-Spirit verankern

Doch wie schafft es die Marke bei Weidmüller, als Klammer für das Unternehmen zu fungieren? Als Erstes wurde für Kunden und Mitarbeiter die neue Positionierung durch eine sanfte Änderung der Unternehmensfarbe Orange sichtbar. Die Ästhetik im Unternehmen wurde an die neue Farbe angepasst, um einen frischen Look-and-feel zu erzeugen. Weitere Elemente wurden eingeführt, etwa eine Corporate Language, die sehr stark in der Vermarktung zum Einsatz kommt und die markentypische Kommunikation bestimmt. Und die Leitidee „Let’s connect“ schrieb man als Abbinder jeglicher Kommunikation fest. Götte vermeidet dabei den Begriff Claim und der Abbinder taucht auch nie in Verbindung mit dem Unternehmenslogo auf. „Es ist ein appellativer Ausdruck, eine Einladung zum Dialog“, erläutert der Markenchef die Funktion des
Ausdrucks.

Eine wichtige Aufgabe für den Markenmanager bestand darin, die neue Positionierung und die dahinterstehende Idee den Multiplikatoren im Unternehmen zu vermitteln. Auf internationalen „Werbetouren“ stellte das Topmanagement das neue Markenhaus vor und erläuterte, welche Ziele verfolgt werden, wie die Marke als Hebel zur Erreichung der Strategie funktioniert und welche Teilprojekte sich daraus ergeben. Auf der Hannover Messe 2012 gab es dann zur Überraschung von Mitbewerbern und Kunden den großen Aufschlag mit dem Messestand im neuen Design. Doch damit begann für Markenmanager Götte erst die eigentliche Arbeit, nämlich die Markenpositionierung aufrechtzuerhalten. Dabei geht es nicht nur um Design und Bildwelten, sondern vor allem um den Erhalt des in der Markenpositionierung festgeschriebenen Spirits. 

Jeder neue Mitarbeiter durchläuft einen Onboarding-Prozess, in dem neben Themen wie Compliance, Familienwerte oder Technologie die Marke einen zentralen Bestandteil darstellt. Im Topkräfte-Führungsprogramm stehen auch Markenführung und Methodenkenntnis auf der Agenda. Im Kommunikationsboard, in dem die Führungskräfte unter dem Vorstand vertreten sind, werden die Markenthemen diskutiert. Dadurch werden Multiplikatoren aufgebaut, die wieder Mitarbeiter in ihren Bereichen überzeugen.

Mehrmals im Jahr trifft sich das Topmanagement und diskutiert, wie Topprojekte aus Markensicht einzustufen sind und wie sich der Stand der Projekte aus Markensicht darstellt. Für große Projekte gibt es Marktteams, in dem die Vertriebsleiter der Gruppenunternehmen die Stimme des Vertriebs in die Zentrale hineintragen. Wenn in den Märkten neue Bedarfe gesehen werden, wird diskutiert, ob dafür neue Produktlösungen gefunden werden können. Das führt zu Produkterweiterungen und echten Neuheiten mit USP, was in einem commodty-getriebenen Geschäft gar nicht so leicht ist. Für Produktmanager steht naturgemäß eher die Innovation als die Marke im Vordergrund. Deshalb wird das Markenmanagement schon in der Phase involviert, in der Produktmanager und Entwickler an neuen Produkten und Technologien arbeiten. Dabei setzt sich Götte gewissermaßen die Kundenbrille auf, um die Outsight-in-Sicht einzubringen.

Um die Mitarbeiter technologisch auf dem aktuellen Stand zu halten, finden zweimal jährlich ganztägige Innovationstage statt, auf denen die Ausstellungsstücke der Hannover Messe und der Nürnberger SPS präsentiert werden. Die Markenziele wurden in ein Steuerungssystem migriert und werden regelmäßig reportet. „In dem Moment, in dem die Markenziele in ein strukturiertes Steuerungssystem überführt werden, gewinnt die Marke wirklich Relevanz und Einfluss auf jeden im Unternehmen“, resümiert Götte. Richtig scharf wird dieses Instrument für den Markenmanager, wenn an den Markenerfolg monetäre Aspekte für Führungskräfte geknüpft werden. Im Schulterschluss mit dem Controlling wurden deshalb die Markenziele operationalisiert. Damit repräsentiert die Marke nicht nur ein esoterisches Konzept, sondern wird messbar.