Wie viel gut ist gut genug?

Engagieren sich Unternehmen heute für eine bessere Welt, ist die Kritik nicht weit. Beanstandet wird mit Vorliebe, dass Unternehmen nicht konsequent in allen Bereichen gut handeln. Aber: Braucht man in allen Bereichen eine weiße Weste, damit man das Recht erwirkt, sich für eine gute Sache einzusetzen? Was ist überhaupt gut? Und was ist gut genug? Eine Kolumne von diffferent-Geschäftsführer Jan Pechmann
Frage
Kritisieren kann jeder, aber: "Es wäre vollkommen illusorisch, zu verlangen, dass alle Aktivitäten einer Marke künftig 'gut' sein und Gutes schaffen müssen." (© Unsplash)

Es gibt immer ein Aber: Apple produziert „Woke“-Filmstoffe, aber betreibt gleichzeitig Sweatshops in China. Dove wirbt seit Jahren für wahre Schönheit, aber verschärft mit seinen Verpackungen das globale Plastikproblem. diffferent unterstützt die „For Future“-Bewegung, aber wir verzichten nicht komplett auf Flugreisen.

Wähle dein Einsatzgebiet

Würden alle Unternehmen über Nacht kompromisslos gut und purpose-getrieben handeln, müssten die meisten von ihnen am nächsten Morgen zu machen, weil sie nicht mehr wirtschaftlich arbeiten könnten. Aber wo anfangen, wo aufhören? Lieber überall ein bisschen was bewirken oder in einem Bereich richtig investieren?

Wer wirklich etwas verändern will, sollte sich eines Problems richtig annehmen und sich voll darauf konzentrieren, durch seine Lösung echte Veränderung zu schaffen. Bleibt die Frage: Welches eine Problem? Bei der Bestimmung des eigenen Einsatzgebietes können drei Prüffragen helfen.

Frage 1: Wo kann ein Unternehmen die größte Anstrengung zeigen, dass es die Welt zum Guten verändern will?

Veränderung tut weh.Wenn Unternehmen ihre Produktion komplett nachhaltig aufstellen, kostet das erst einmal richtig Geld. Genauso kann es initial substanziell Kunden und damit Umsatz kosten, wenn man in einem kontroversen Themenfeld Stellung bezieht. Umso wichtiger ist es, den Konsumenten diese Anstrengungen vor Augen zu führen ohne dabei zu vertuschen, dass man in anderen Bereichen noch nicht so weit ist. Denn nur so kann ein Unternehmen auf der anderen Seite langfristig neue Konsumenten gewinnen – und bisherige transformieren.

Frage 2: Welches Problem gehört am meisten dem Unternehmen?

Die meisten Unternehmen haben durch ihr Tun Einfluss auf verschiedene gesellschaftliche Herausforderungen. Bei der Wahl ihres Einsatzgebiets sollten sie sich auf das Feld konzentrieren, das ihnen eindeutig zuzuordnen ist. Dabei hilft es, sich zu fragen, wo man als Unternehmen, aber auch als Teil eines Systems, bisher den negativsten Einfluss auf die Welt hat.

Frage 3: Wo hat ein Konsument durch sein Konsumverhalten persönlich den direktesten Einfluss auf Veränderung?

Die Menschen wollen verstehen, inwieweit ihr Kauf etwas am Status quo ändert. Unternehmen müssen ihren Konsumenten verdeutlichen, welchen positiven Einfluss ihr Konsum haben kann.

Die wichtigste Maxime bei der Auswahl des eigenen Einsatzgebiets: Man muss nicht jeden Kampf kämpfen, aber für die richtige Sache richtig.

Kümmere dich um dein Problem

Große Unternehmen sind Teil großer Probleme. Sie verbrauchen in der Produktion riesige Mengen an Ressourcen, erzeugen jede Menge CO2-Emissionen, befeuern den Konsumwahn der Gesellschaft. Das Gute daran: Wenn solche Unternehmen sich zum Ziel setzen, Teil der Lösung statt Teil des Problems zu werden, können sie mit ihrer Marktmacht die Richtung für ganze Branchen vorgeben.

L’Oréal zum Beispiel hat sich den verantwortungsvollen Umgang mit Rohstoffen auf die Fahnen geschrieben. Um Plastikeinsatz und Verpackungsmüll zu reduzieren, werden ab 2020 verschiedene Kosmetikprodukte in einer Karton-basierten Verpackung vertrieben. Hört sich eher unspektakulär an, ist aber in der Masse eine Riesensache. Vor allem dann, wenn man als Industry Leader einen gewissen Veränderungsdruck auf den Rest der Branche ausüben kann.

Es wäre vollkommen illusorisch, zu verlangen, dass alle Aktivitäten einer Marke künftig „gut“ sein und Gutes schaffen müssen. Umso wichtiger ist es, dass Unternehmen sich ihr eigenes Aktionsfeld suchen und sich das eine Problem schnappen, dass sie wirklich anpacken.

Nimm deine Kunden mit auf den Weg

Unternehmen für bestimmte Aspekte ihres Handelns zu kritisieren, fällt leicht. Man findet immer irgendwo eine Leiche im Keller. Wenn Danone sich zur B-Corp zertifizieren lässt, betreiben sie immer noch aggressive Werbung für Muttermilchersatz in sich entwickelnden Ländern und verstoßen gegen WHO-Kodizes. Wenn Ikea Leasing-Modelle für Möbel testet, und Küchen-Fronten aus recyceltem Material herstellt, produzieren sie immer noch Fast Furniture und Wegwerfprodukte. Wenn Beyond Meat vegane Burgerpatties herstellt, ist ihre Produktion immer noch nicht CO2-neutral.

Egal, wie sehr sich Unternehmen um gutes Handeln bemühen, es wird immer ein „Aber“, einen dunklen Fleck auf der Weste, geben. Umso wichtiger ist es, klar zu kommunizieren, dass man sich als Unternehmen auf den Weg gemacht hat. Dass man dem Versprechen, in die richtige Richtung zu gehen, konsequent Taten folgen lässt. Unternehmen, die das schaffen, wirken authentisch und glaubwürdig. Sie bieten Identifikationspotenzial für Mitarbeiter und Kunden und echte Werte für eine lebenswerte Zukunft.

Eine von Jan Pechmanns Initiativen ist der Marketing For Future Award. Bis zum 15. März können sich hier all jene bewerben, die sich schon auf den Weg gemacht haben.