Warum das Carsharing die aktuellen Krisen gut wegsteckt

Corona, Preisexplosion, Lieferschwierigkeiten, Konsolidierung – der Mobilitätsmarkt ist gehörig unter Druck geraten. Dennoch stehen die Zeichen für Sharing- und Abo-Modelle weiter auf Wachstum. Das Konzept „Teilen statt Besitzen“ erweist sich als robust.
Anders als bei anderen Anbietern wird bei Miles Mobility nach Kilometern, nicht nach Zeit abgerechnet. (© Miles Mobility)

Es ist schon ziemlich bequem, für eine Stadtfahrt einen Wagen zu mieten und ihn am Ziel einfach stehen zu lassen. Aber Geld zu verdienen mit Carsharing im Free-Floating-System, das war schon immer schwierig. Daher haben die deutschen Autohersteller im vergangenen Jahr endgültig die Lust verloren. Im Juli verkauften BMW und Daimler ihre Carsharing-Tochter ShareNow an den Stellantis-Konzern. Dessen Tochter Free2Move wird mit der Integration des ehemaligen Konkurrenten zum größten Mobilitätsanbieter Europas, weltweit betreibt das Unternehmen 32 Mobilitätszentren.

Noch überraschender aber kam im November die Nachricht, dass Volkswagen WeShare abgibt. Der vollelektrische Carsharing-Anbieter mit rund 2000 Fahrzeugen in Berlin und Hamburg ging an Miles Mobility. Das Start-up hat damit seine Flotte in Deutschland und Belgien auf mehr als 11.000 Fahrzeuge ausgebaut. Damit ist der deutsche Free-Floating-Markt recht übersichtlich geworden: Neben Marktführer ShareNow und Miles Mobility ist Sixt dritter Anbieter. Sixt hat den Vorteil, Fahrzeuge einsetzen zu können, die gerade nicht für das Mietwagengeschäft benötigt werden und ansonsten nur herumstehen würden.

Den Verantwortlichen von Miles Mobility gibt es nicht zu denken, dass die großen Autohersteller das Handtuch geworfen haben. Das 2016 in Berlin gegründete Unternehmen hat bereits 2021 profitabel gearbeitet und geht auch für 2022 davon aus. „Wir haben den Vorteil, konzernunabhängig zu sein und daher mit sehr schlanken, dynamischen Strukturen arbeiten zu können“, sagt Unternehmenssprecherin Nora Goette. „Wir bilden die allermeisten Funktionen inhouse ab.“ Zudem rechnet Miles Mobility lieber nach gefahrenen Kilometern ab und nicht, wie sonst üblich, nach Zeit: „Je nach Strecke oder Verkehrslage kann die kilometerbasierte Abrechnung auch mal teurer sein im Vergleich zum minutenbasierten Preismodell“, so Goette. „Wir halten die kilometerbasierte Abrechnung aber für fairer.“ Zudem fahre man entspannter, wenn die Zeit eine weniger große Rolle spielt.

Die Lieferprobleme werden noch lange drücken

Natürlich hat auch Miles Mobility mit den Auswirkungen der wirtschaftlichen Krisen zu kämpfen. Im vergangenen August mussten die Preise erhöht werden, weil das Benzin deutlich teurer wurde (Tanken ist im Miles-Preis inklusive). Zudem drücken die Lieferprobleme: „Wir gehen davon aus, dass wir noch bis Mitte oder Ende 2024 mit Lieferschwierigkeiten bei neuen Modellen rechnen müssen“, sagt Goette. Dennoch will das Start-up, das derzeit in acht Städten präsent ist, sein Netz ausbauen. Zudem ist es im November auch in das Geschäft mit Auto-Abos eingestiegen.

Nicht nur Miles Mobility, sondern der gesamte Carsharing-Markt hat Corona, die Lieferkettenprobleme und die Energiekrise bislang gut überstanden. Die Pandemie mit dem anschließenden Homeoffice-Trend war dabei ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite hatten die Anbieter unter den unmittelbaren Folgen zu leiden: Während der Lockdowns fielen viele Fahrten aus, bisweilen fürchtete die Kundschaft auch Ansteckungsgefahr in „fremden“ Pkws. Auf der anderen Seite führte der Homeoffice-Trend aber bei vielen Menschen auch zur Überlegung, ob das eigene Auto überhaupt noch notwendig ist – Sharing tut es doch auch.

Stationsbasierte Systeme entlasten den Verkehr besser

„Die Pandemie hat 2020 zunächst zu Buchungsrückgängen geführt“, berichtet Benjamin Plank, Sprecher des Bundesverbandes CarSharing (BCS). „Die Lage hat sich aber ab dem zweiten Halbjahr 2020 wieder stabilisiert.“ Das Carsharing in Deutschland habe die Corona-Pandemie also weitgehend gut überstanden. Der BCS fasst in seiner Statistik Free-Floating, stationsbasiertes Carsharing und kombinierte Angebote zusammen. Daraus ist ersichtlich, dass es bereits 2021 wieder deutlich bergauf ging: Zum Stichtag 1. Januar 2022 zählte der Verband knapp 3,4 Millionen Carsharing-Nutzende in Deutschland – 18 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die Zahl der registrierten Fahrzeuge stieg um gut 15 Prozent auf 30.200. Die meisten Kundinnen und Kunden – 2,6 Millionen – zählen die Free-Floating-Anbieter, die auf Metropolen konzentriert sind, aber auch zunehmend umliegende Städte besetzen. Anfang 2022 waren sie in insgesamt 34 Städten aktiv.

In Karlsruhe gibt es, gemessen an der Einwohnerzahl, die mit Abstand meisten Carsharing-Fahrzeuge. @Bundesverband CarSharing

In kleineren Städten kann man meist stationsbasiertes Carsharing nutzen. „Es wird von vielen mittelständischen Unternehmen bereitgestellt, die das Geschäft sehr gut kennen und das für den wirtschaftlichen Erfolg notwendige Management beherrschen“, erläutert Plank. Wie das Jahr 2022 für die Gesamtbranche gelaufen ist, lässt sich noch nicht genau beurteilen – die BCS-Statistik erscheint erst in einigen Wochen. Klar ist aber, dass der Preisdruck immens war: „Die Carsharing-Anbieter haben versucht, die Preise so lange wie möglich stabil zu halten, aber irgendwann mussten die stark gestiegenen Energiepreise auch an die Kundinnen und Kunden weitergegeben werden“, so Plank. „Zu drastischen Umsatzrückgängen hat das nach unserer Wahrnehmung nicht geführt.“

Der Verband hofft darauf, dass die Politik die notwendigen Rahmenbedingungen schafft, um die Carsharing-Versorgung in Deutschland auszubauen. „Wir brauchen für die Zukunft vor allem mehr Stellplätze im öffentlichen Raum und eine funktionierende Förderung für die Carsharing-Ladeinfrastruktur“, sagt Plank. Besonders verkehrsentlastend wirken stationsbasiertes Carsharing und kombinierte Angebote. „Studien haben ergeben, dass ein Fahrzeug im stationsbasierten Geschäft bis zu 20 private Fahrzeuge ersetzt“, erklärt der BCS-Sprecher. „Free-Floating wird stärker ergänzend zum eigenen Pkw genutzt.“

Bei Lynk & Co kann man gemietete Autos auch „untervermieten“

Autofahren ohne Privatbesitz kann aber auch anders funktionieren, etwa im Rahmen von Leasing, Auto-Abos oder nachbarschaftlichen Sharing-Gemeinschaften – in den vergangenen Jahren sind viele neue Ideen entstanden. Ein interessantes Beispiel ist Lynk & Co, eine Tochtergesellschaft des chinesischen Volvo-Mutterkonzerns Geely, die vom ehemaligen Opel- und Volvo-Manager Alain Visser geleitet wird. Bei Lynk & Co kann man für 550 Euro im Monat Mitglied werden und damit gleichzeitig das SUV-Coupé Lynk & Co 01 mieten. Im Grundpreis sind 1250 gefahrene Kilometer inklusive, darüber hinaus fallen 15 Cent pro Kilometer an. Nutzt man das Fahrzeug nicht, kann man es Freunden oder Familie zur Verfügung stellen oder über eine App kostenpflichtig an andere Personen „untervermieten“. Möglich ist natürlich auch der Kauf.

Geht Auto auch anders? Der Autoverleiher Lynk & Co ist davon überzeugt. @Link&Co

Vertreten ist Lynk & Co mittlerweile in sieben europäischen Städten. Zum Konzept gehören Clubs in attraktiven Innenstadtlagen, die den Mitgliedern vorbehalten sind. Hier kann sich die Community treffen und austauschen, Probefahrten machen oder an Events teilnehmen. In Deutschland startete das Unternehmen 2021, Clubs gibt es in Berlin, München und Hamburg. Bis Ende Oktober 2022 hat Lynk & Co hierzulande laut Fachzeitschrift „Automobilwoche“ knapp 4300 Fahrzeuge auf die Straßen gebracht – die Mehrzahl über das Abo. Europaweit waren es rund 23.000. Das Unternehmen sieht sich selbstbewusst auf einer Mission, Mobilität im Sinne von Nachhaltigkeit neu zu denken: „Nach über 100 Jahren, in denen in der Automobilindustrie alles beim Alten geblieben ist, ist es Zeit für etwas Neues“, sagt Visser.

(kj, Jahrgang 1964), ewiger Soul- und Paul-Weller-Fan, hat schon für Tageszeitungen und Stadtmagazine gearbeitet, Bücher über Jugendkultur und das Frankfurter Bahnhofsviertel geschrieben und eine eigene PR-Agentur betrieben. 1999 zog es ihn aus dem Ruhrgebiet nach Frankfurt, wo er seitdem über Marketing-, Medien- und Internetthemen schreibt, zunächst als Ressortleiter bei „Horizont“, seit 2008 als freier Journalist und Autor. In der Woche meist online, am Wochenende im Schrebergarten.