Wahlplakate unter die emotionale Lupe genommen: Warum die SPD sogar noch hinter der FDP liegt

Mal auf Emotionen hören: Anlässlich der Bundestagswahl 2017 haben die Bremer Markenagentur red pepper und das Berliner Marktforschungsunternehmen emolyzr Wahlplakate der sechs großen Parteien (CDU, SPD, Grüne, FDP, LINKE, AfD) analysiert, um genau zu verstehen, wie die Plakate wirken, welche spontanen Emotionen sie hervorrufen und welche Assoziationen sie wecken.

Einer Stichprobe von Wechselwählern schaute sich die frisch erschienenen Wahlplakate an, während ihr Blickverlauf, die Aktivierung ihres Gehirns und die Attraktivität ihrer emotionalen Reaktionen mittels neurowissenschaftlicher Apparatur erfasst wurden. „Statt unsere Probanden einfach nur zu befragen, verkabeln wir sie und vermessen ihre Emotionen.“, erklärt Neuropsychologe Johannes Meixner von emolyzr. „So können wir ein sehr genaues, unverfälschtes Bild ihrer Wahrnehmung anfertigen und die Effektivität eines Wahlplakats besser prognostizieren.“ Um die emotionalen Wirkmechanismen vollständig zu begreifen, entschlüsselte zudem ein interdisziplinärer Expertenstab von Neuromarketing-, Design- und Kommunikationsexperten von red pepper die Bedeutung und Assoziationen der unterschiedlichen Gestaltungselemente in einer umfangreichen Expertenanalyse.

CDU

CDU

Mit der CDU bleibt alles super in unserem schönen Deutschland. Die Nationalfarben strahlen uns entgegen und ziehen sich durch die gesamte Wahlkampagne. Ein Muster, das man bisher eher von der AfD kennt und erst neu für die CDU lernen muss. Neben Logo, Bildern, Botschaft, ist das ein weiteres Element, das es dem Betrachter nicht wirklich einfach macht, sich zurechtzufinden und die Aufmerksamkeit klar zu lenken. Trotz der Fülle an Elementen, ist die gestalterische Qualität des Markenmusters klar zu erkennen.

Die Bildwelt strahlt Wärme aus, die Botschaften vermitteln Optimismus und es entsteht das Grundgefühl, dass irgendwie schon alles gut wird. Im hellen Sonnenlicht wartet eine strahlende Zukunft auf uns – oder wenigstens auf die Menschen in den Motiven. Weder sprachlich noch visuell wird zur Handlung aktiviert oder der Betrachter in irgendeiner Form miteinbezogen. Die heile Welt zahlt sich aus: die maßgeblich aktivierten Werte sind Familie, Sicherheit, Gerechtigkeit. Relevanter geht’s kaum. Und hatte nicht eigentlich die SPD versucht, Gerechtigkeit für sich zu besetzen?

Der erste Eindruck der Plakate ist oft positiv, doch nicht immer hält sich das über die längere (oder häufigere) Betrachtung. Es gibt keine Ecken und Kanten, die Position zeigen oder einen dazu animieren, sich tiefer mit den Inhalten zu beschäftigen. Es entsteht der Eindruck, dass jeder Schritt in irgendeine Richtung einer in die falsche sein könnte. So beschränkt sich die CDU darauf, den Betrachter und ihre Stammwähler nicht zu ärgern. Wenn jetzt auch noch der Absender klar zuzuordnen wäre, könnte sie sich zurücklehnen.

Fazit: Ohne Ecken und Kanten den Status Quo sichern. Platz 1

FDP

FDP

Die FDP nutzt das in den vergangenen Landtagswahlen erfolgreiche Muster: starke Personalisierung, aktivierende Farben, qualitativ hochwertige Gestaltung, die eher an ein Lifestyle-Magazin als an eine etablierte Partei erinnert. Die Verjüngung setzt sich auch mit der Wahl des zentralen Wahlkampfthemas konsequent fort: Digitalisierung.

Farben, Schrift, Aussagen: alles wirkt auf den ersten Blick jung, dynamisch, fordernd. Christian Lindner hingegen wird auf Schwarz-Weiß-Bildern zurückgelehnt, kritisch, passiv inszeniert – eher Fashion Model als Macher. Zusammen mit der Botschaft zieht er die erste Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich, weckt je nach Motiv eher leicht angenehme oder unangenehme Gefühle. Die Forderung nach Veränderung verschreckt den Wähler: Veränderung ist zwar notwendig, aber wird auch gern gemieden. Auf den zweiten Blick wird „das Kleingedruckte“ wahrgenommen – was in unserem Alltag schon nicht positiv besetzt ist, wird auch auf einem Wahlplakat nicht unser Freund. Trotz einer augenscheinlich attraktiven, zeitgemäßen Gestaltung, dynamischen Farben und intelligenten Aussagen, schaffen die Plakate es nicht, den Wähler zu aktivieren – zu schwer wirkt die zurückgelehnte, distanzierte Haltung des Spitzenkandidaten.

Die breite Masse an Wechselwählern wird die FDP mit dieser Kommunikation nur schwer zur Wahl bewegen. Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, dass allein die Verjüngungskur und symbolisierte Dynamik einige Wähler überzeugen kann, dass sich mit der FDP im Bundestag wieder mehr bewegen kann.

Fazit: Mit Lifestyle für die Digitalisierung. Platz 2

SPD

SPD

Bis auf das Bildungsmotiv schafft die SPD es nicht, Nähe zum Betrachter herzustellen und positiv zu aktivieren. Kalte Bilder schaffen Distanz, obwohl lachende Menschen gezeigt werden. Im Fachjargon spricht man von „kognitiver Dissonanz“. Kantige Formen und ein klarer Aufbau unterstützen die Nüchternheit. Die Botschaften sind kompliziert, wenig aktivierend  oder werden falsch abgespeichert, zum Beispiel „kleine Rente“. Die SPD wirkt nicht wie eine Partei, die wichtige Themen anpackt, sich für Gerechtigkeit einsetzt oder um Menschen kümmert. Zentrale Werte wie Solidarität und Gerechtigkeit werden nicht vordergründig angesprochen, stattdessen dominieren Kontrolle und Individualismus. Eine Aufholjagd sieht definitiv anders aus.

Fazit: Kompliziert, distanziert, SPD – (k)eine Partei für den kleinen Mann. Platz 3

Die LINKE

Die LINKE

Die LINKE ist ihrem Muster aus lauten, plakativen Botschaften und weiß-rotem Farbkontrast treu geblieben. Im ersten Moment zieht das die Aufmerksamkeit auf sich, aktiviert – doch leider nicht wirklich positiv. Die Botschaft ist das prägende Element, besitzt durch die schwarzen Balken aber Komplexität. Was sollte ich jetzt nicht beachten?

Die Themenplakate folgen wiederum einem anderen Muster: statt wie andere Parteien mit Bildern wirbt die LINKE mit grafischen Elementen, auf denen ein positives Schlagwort platziert ist. „Mensch“, „Respekt“, „Gerecht“ – wer kann denn da etwas dagegen haben? „Leben Menschen Tanzen Welt“ für Fortgeschrittene. Das wird auch noch in WordArt-Grafiken inszeniert, wie wir uns alle einmal daran versucht haben. Gestalterische Qualität sieht anders aus, doch das muss nicht unbedingt negativ sein. Die Worte sind plakativ, ziehen die Aufmerksamkeit auf sich und sind leicht zu erfassen.

Die Botschaften versuchen, dem Plakat inhaltliche Tiefe zu geben, schrammen aber manchmal an den angezeigten Themen vorbei. Sie sind verkopft, kompliziert und bleiben nur schwer hängen. Wenn aber allein die positiven Schlagworte hängen bleiben, hat die LINKE schon etwas gewonnen. Die emotionale Aktivierung ist in den Anzeigen aber nicht so stark, wie man sich das wünschen würde – und auch die positiven Emotionen lassen auf sich warten. Keine Bilder, die Nähe zum Betrachter aufbauen können.

Fazit: Friede, Freude, Eierkuchen. Platz 4

Die GRÜNEN

Die GRÜNEN

Das neue Gestaltungsmuster der Grünen wirkt auf den ersten Blick plakativ, laut und frisch, weil es mit bestehenden Mustern bricht. Das suggeriert einen Standpunkt und Selbstbewusstsein. Doch das macht es dem Betrachter nicht wirklich einfach. Auf den reinen Textplakaten wird man von den Botschaften fast angeschrien, sodass die Botschaften klar im Mittelpunkt stehen. Diese werden jedoch nicht von den Bildern unterstützt, sind in ihrer Formulierung oft kompliziert und die konsequente Versalienschreibweise macht die Entschlüsselung nicht gerade einfach. Auch der aufmerksamkeitsstarke Farbkontrast erschwert die Verarbeitung der Inhalte, was das gesamte Plakat anstrengend wirken lässt. Es gibt kein Element, das positiv wirkt, sondern negative Wörter, wie „NICHT“ oder „OHNE“ – was zusammen mit der Gestaltung wie ein „Hilfeschrei“ anmutet. Die Einfärbung der Bilder in Telekom-Magenta schwächt nachweislich die emotionale Wirkung von Bildern und wirkt zudem unnatürlich – und das bei einer Partei, bei der Umwelt und Natürlichkeit im Kern stehen.

Die Tonalität der Botschaften ist eher anklagend, Moral und Disziplin wird von Betrachtern stark wahrgenommen – von positiven Emotionen weit und breit keine Spur. Einzig und allein die Kandidatin, Göring-Eckardt, kommt an.

Fazit: Lieber laut als natürlich. Platz 5

AfD

AFD

 

Die Kommunikation der AfD entspricht einer Partei, die noch jung ist und sich stark vom politischen Establishment abgrenzt. Die gestalterische Qualität ist eher niedrig, die Bildsprache ist inkonsequent, einzig der blaue Abbinder und der Einsatz von Botschaften sind einheitlich. Die Plakate besitzen viele Signale, da bleibt es nicht aus, dass sich einige widersprechen und die Aufmerksamkeit sich erst einmal orientieren muss. Bei dem untersuchten Motiv konkurrieren im ersten Eindruck Frauke Petry und die Botschaft um die Aufmerksamkeit. Das Baby ist so weit aus der Blickrichtung, dass es erst nach 4 Sekunden bemerkt wird und erst dann das Konzept „Familie“ aktivieren kann – zu spät für ein effektives Wahlplakat. Der Text wird schnell erfasst, der erste Eindruck ist leicht negativ. Erst nachdem die Botschaft Frauke Petry zugeordnet werden kann, ergibt sie für den Betrachter Sinn – wenige reden heute noch davon, „für Deutschland zu kämpfen“. Ein Thema, das in Vergessenheit geraten ist, sodass auch die Konzepte Tradition und Disziplin angesprochen werden. Die Inszenierung der „Jungfrau mit dem Kinde“ ruft gemischte Gefühle hervor. Die grundsätzliche Wirkung ist zwar positiv und wird schnell identifiziert, doch leider schafft das Plakat es nicht wirklich, den Wähler zu aktivieren.

Fazit: Widerspruch. Platz 6

Gesamtfazit

Die Emotions- und Aufmerksamkeitsmessung zeigt, dass sich keine Partei über alle Motive einen Platz im Herzen der Wähler erkämpfen kann – zu gering die Aktivierung, zu gemischt die Gefühle. Den zahmen Wettbewerb zwischen den beiden großen Parteien, in dem bloß kein Risiko eingegangen wird, entscheidet die CDU mit leichtem Vorsprung vor der FDP für sich. Ihre konsequente Adressierung der relevanten Motive Familie und Sicherheit hinterlässt ein seichtes, wohliges Gefühl: keine Ecken und Kanten, tut aber auch nicht weh. Damit ist bei der CDU die Passung zum Markenerbe mehr gegeben als bei der SPD, die es nicht schafft, Nähe und Augenhöhe zum Betrachter aufzubauen und sich so als ernstzunehmenden Gegner der CDU in Stellung zu bringen. Spannend ist der Kampf um die vorderen Plätze: mehr Risiko, mehr Lautstärke, mehr Position. Das Rennen entscheidet die FDP mit Platz zwei für sich: klare visuelle Verjüngung, stimmige Ansprache zeitgemäßer Themen. Die Popstar-Inszenierung Christian Lindners baut leider zu viel Distanz auf, um die breite Masse anzusprechen und nachhaltig zu aktivieren. Aber gerade jüngere Wähler (18 bis 40) dürften mit dieser Kampagne der FDP den Wiedereinzug in den Bundestag garantieren.

Die Analyse der Wahlplakate zeigt, dass keine Partei es wirklich schafft, nachhaltig zu aktivieren und zu emotionalisieren. „ Aktivierung und positive Gefühle sind im ersten Moment unerlässlich und helfen, die Botschaft im Gedächtnis zu verankern“, erläutert der Neuropsychologe Johannes Meixner von emolyzr. Mit den untersuchten Wahlplakaten erarbeitet sich keine Partei die Pole Position in diesem emotionalen Einheitsbrei.