Überwachung der Barrierefreiheit: Chaos der Zuständigkeiten

Online-Shops müssen ab 2025 barrierefrei sein. Doch nicht nur die genauen Regelungen sind noch offen, auch wie die Überwachung läuft, ist unklar. Welche Rechte haben Nutzer*innen? Wie wahrscheinlich ist es, dass eine Webseite überhaupt überprüft wird und welche Sanktionen drohen?
Das Barrierefreiheitsgesetz verpflichtet viele Onlinehändler, ihre Shops bis 2025 barrierefrei zu gestalten. (© Unsplash/Roberto Cortese)

Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz müssen Online-Shops ab 2025 barrierefrei sein. Doch ein solches Gesetz ist für darauf angewiesene Menschen nur dann nützlich, wenn die Einhaltung kontrolliert wird – und es entsprechende Beschwerdemöglichkeiten gibt, falls Menschen dennoch auf Barrieren stoßen.

Genau wie die einzuhaltenden gesetzlichen Anforderungen an die Barrierefreiheit, steht auch die Überwachung noch nicht. Nachdem das Gesetz zunächst auf EU-Ebene beschlossen wurde, hat es nun der Bund in deutsches Recht übertragen – und die Kontrolle wiederum an die Länder weitergereicht. Von der Bundesfachstelle Barrierefreiheit heißt es, dass die Kontrolle komplett bei den Ländern, konkret bei den dortigen Marktüberwachungsbehörden, liegt.

Zuständigkeiten: Von einer Behörde zur nächsten

Einen zentralen Ansprechpartner wird es also schon einmal nicht geben. Dazu kommt: Es gibt in der Regel keine Behörde mit Namen Marktüberwachungsbehörde, sondern Einrichtungen, die je nach konkreter Aufgabe einzelne Bereiche überwachen. In Nordrhein-Westfalen setzt beispielsweise das dortige Sozialministerium die Überwachung um. Vom Ministerium heißt es allerdings: „Angaben zu dem künftigen Ablauf der Marktüberwachung können derzeit noch nicht gemacht werden.“ In Berlin verweist unterdessen der Verbraucherschutzsenat auf Anfrage darauf, dass eventuell Sozialsenat oder Gleichstellungssenat zuständig sein könnten, von dort wiederum verweist man zum Digitalisierungssenat. Hier gibt es immerhin eine Antwort: „Die Senatsverwaltungen befinden sich noch in der Abstimmung darüber, welche Behörde für die digitale Barrierefreiheit im Hinblick auf das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz zuständig sein wird.“ Wenn aber nicht mal klar ist, wer für die Überwachung zuständig ist, dann ist die konkrete Ausgestaltung erst recht offen.

Anders ist die Lage bei Webseiten von öffentlichen Stellen: Bereits jetzt müssen sie barrierefrei sein. Für die Überwachung ist hier die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik (BFIT) zuständig. Nach eigener konservativer Schätzung ist die BFIT für etwa 1.200 Webseiten zuständig. Im kommenden Jahr werden davon etwa zehn Prozent einer Überprüfung unterzogen.

Harte Sanktionen gegen Onlineshops wären absurd

Die Chance, erstmal ohne Untersuchung davon zu kommen, ist also hoch – zumal die Überprüfungsquote bei Onlineshops deutlich geringer sein dürfte: In Deutschland gab es bereits 2018 etwa 120.000 Online-Shops. Auch Dank Corona dürfte diese Zahl noch einmal deutlich zugelegt haben. Auch wenn nur ein Teil davon unter die Regelung fällt: Selbst zehn Prozent davon jährlich zu überprüfen, dürfte utopisch sein.

Dass man sich deswegen in Sicherheit wiegen dürfte, glaubt Eva Behling, Rechtsanwältin des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel, jedoch nicht: „Mit Sicherheit wird es aufgrund der schwierigen Umsetzung und ungenauen Regeln Ordnungsgelder geben. Wir hoffen, dass es in der Übergangszeit eine gewisse Kulanz geben wird, wenn erkennbar ist, dass sich um Barrierefreiheit bemüht wird.“

Auch aus einem anderen Grund wären allzu harte Sanktionen wenigstens verwunderlich: Laut BFIT hat bisher keine der überprüften Webseiten von öffentlichen Stellen alle geltenden Anforderungen gleichzeitig erfüllt. Wenn Onlineshops wenige der Kriterien verfehlen, wären harte Strafen absurd – wenn das Bemühen zu mehr Barrierefreiheit erkennbar ist. Welche Strafen möglich sind, wird sich frühestens mit Veröffentlichung der entsprechenden Verordnung im Sommer 2022 zeigen.

Welche Rechte haben Nutzer*innen bei Mängeln?

Nutzende, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind, könnten am Ende die Leidtragenden sein: Sie haben Anspruch darauf, dass es auf einer Webseite ein gut zugängliches Formular zum Melden von Mängeln gibt – so haben Webseitenbetreiber die Chance, den Mangel zu beheben. Vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales heißt es dazu: „Wer sich als Verbraucherin oder Verbraucher dennoch in seinen Rechten verletzt sieht […] kann sich in der Durchsetzung der eigenen Rechte unterstützen lassen. Wenn bestimmte Produkte oder Dienstleistungen den Anforderungen zur Barrierefreiheit nicht entsprechen, können Verbraucher*innen bei der zuständigen Landesbehörde zur Marktüberwachung beantragen, dass Maßnahmen gegen diejenigen ergriffen werden, die Standards nicht einhalten.“ Welche Konsequenzen dann tatsächlich folgen: Unklar. Um sich aber überhaupt beschweren zu können, müsste erstmal feststehen, welche Behörde überhaupt zuständig ist.

(fms, Jahrgang 1993) ist UX-Berater, Medien- und Wirtschaftsjournalist und Medien-Junkie. Er arbeitet als Content-Stratege für den Public Sector bei der Digitalagentur Digitas Pixelpark. Als freier Autor schreibt er über Medien und Marken und sehr unregelmäßig auch in seinem Blog weicher-tobak.de. Er hat Wirtschafts- und Technikjournalismus studiert, seinen dualen Bachelor im Verlag der F.A.Z. absolviert und seit mindestens 2011 keine 20-Uhr-Tagesschau verpasst.